"Nach unseren Regeln": Von Meinungsfreiheit und Meinungshoheit

Seite 3: Frei von unliebsamen Meinungen

In der Twitter-Debatte geht es allem Anschein nach nicht um Meinungsfreiheit, sondern um Meinungshoheit. Und die sehen interessierte Kreise durch Musk schwinden.

Es wundert nicht, dass sich unter den US-Organisationen, die mit einem Appell zum Werbe-Boykott gegen Musks Twitter-Übernahme vorgegangen sind, auch solche finden, die eng mit einer politischen Gruppierung, in dem Fall der der Demokraten verknüpft sind. Damit kommen wir zu einem weiteren Meilenstein der Meinungsfreiheits-Debatte im Internet.

Während Hillary Clinton 2016 unfundierte Gerüchte über das bis heute nicht restlos aufgeklärte "Russiagate" streuen konnte, blockierten Twitter und Facebook 2020 einen Bericht der New York Post über Hunter Bidens Laptop, der dem Bericht zufolge in einem Reparaturladen in Delaware gefunden worden war.

Twitter bildete damit den Diskurs der Mainstream-Medien ab, die in der von Trump aufgegriffenen Geschichte eine Schmutzkampagne sahen, so auch in Deutschland. Damals schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung:

Das Drehbuch, dem Trump folgt, ist das gleiche wie vor vier Jahren: Kurz vor der Wahl wird der Gegner mit so viel Dreck wie möglich beworfen, in der Hoffnung, dass irgendwas schon hängen bleiben und die Wähler misstrauisch machen wird. Wie dem auch sei: In den Umfragen schlägt sich der vermeintliche Skandal jedenfalls bisher nicht nieder. Es ist eben ein Unterschied, ob ein amtierender FBI-Direktor offiziell gegen eine Präsidentschaftskandidatin ermitteln lässt, oder ob aus trüben Quellen vage Vorwürfe gegen den weitgehend unbekannten Sohn eines Kandidaten erhoben werden.

SZ

Das Federal Election Comittee (FEC) entschied später, dass Twitter die Story zu recht blockiert habe, weil nicht habe ausgeschlossen werden können, dass die Dokumente durch einen (russischen) Hacker-Angriff erlangt wurden. Noch etwas später sollte sich herausstellen, dass US-Geheimdienste entsprechende Gerüchte aktiv streuten. Die Story war doch keine Ente.

Und so vollzogen jene Medien mitunter akrobatische Verrenkungen, um ihre Fehleinschätzung zu rechtfertigen. Nachdem die Washington Post im März 2022 Neues zum Laptop Hunter Bidens veröffentlichte, ruderten auch die New York Times und die Süddeutsche leise zurück – und hinterließen ein Glaubwürdigkeitsproblem. Noch einmal die Süddeutsche:

Damals, in den entscheidenden Monaten des Präsidentschaftswahlkampfs 2020, hatte die Geschichte Sprengkraft. Dennoch blieb sie ein ungelöstes Rätsel. Viele Medien erhielten keinen Zugang zu dem Material, konnten es nicht überprüfen und hielten sich bei der Berichterstattung zurück. Sofort kam der Verdacht auf, die Geschichte sei zu unglaublich, um wahr zu sein.

SZ

Wie oben beschrieben – ganz so zurückhaltend waren sie dabei nicht. Und das bis heute.

Medien als Gatekeeper

So hat die Los Angeles Times Ende Oktober 2022 einen Kommentar veröffentlicht, warum Elon Musk mit seinem Versprechen, die Meinungsfreiheit uneingeschränkt wiederherzustellen genau diese Meinungsfreiheit bedrohen könnte. Das Kernargument liest sich so:

Wenn die Arenen des öffentlichen Diskurses mit Desinformation überflutet werden, verliert die freie Meinungsäußerung ihren Wert. Wenn das Publikum nicht mehr weiß, was wahr und was falsch ist, kann es dazu verleitet werden, allem zu misstrauen, und es wird unmöglich, Menschen zu überzeugen, selbst mit den überzeugendsten Argumenten oder Beweisen.

Wenn Plattformen mit Propaganda und politischen Unwahrheiten gespickt sind, die darauf abzielen, Wahlergebnisse zu verfälschen, schwinden die Aussichten auf einen echten Diskurs über Fragen der öffentlichen Politik oder lokale Angelegenheiten.

Los Angeles Times

Das mag für sich genommen sogar einigermaßen nachvollziehbar sein, vor dem Hintergrund der Laptop-Episode erweist sich eine solche Einstellung gegenüber der Meinungsfreiheit mit den (Mainstream-)Medien als "Gatekeeper" aber als problematisch.

Natürlich, im Idealfall bürgen anerkannte Medien für die Qualität von Information. Aber zu behaupten, dass qualitative Information nur von anerkannten Medien stammen kann wäre ein falscher Umkehrschluss. Zumal: Die beste Information ist die, die objektiv überprüfbar ist.

Eine Haltung indes, die Meinungsfreiheit per se für staatsgefährdend erklärt, sollte zumindest bei der deutschen Bevölkerung alle Alarmglocken schrillen lassen:

Für die Staats- und Parteiführung bedeutete Meinungsfreiheit ein Risiko, vor dem es den sozialistischen Staat zu schützen galt. Entsprechend rigoros ließen die Herrschenden ihre Geheimpolizei gegen die Verbreitung von so genannter "staatsfeindlicher Hetze" (Strafgesetzbuch der DDR §104-106) vorgehen.

"Demokratie statt Diktatur", Stasi-Unterlagen-Archiv

Meinungsfreiheit für alle

Es ist wichtig, zu erwähnen: Meinungsfreiheit gilt für alle. Und Doppelmoral muss man auch einem Elon Musk vorwerfen, der bekannt für seine aggressive und pressefeindliche Unternehmenspolitik ist. Zudem ist der Starlink- und SpaceX-Erfinder auch ein gewichtiger Vertragspartner des Pentagon.

Auch in Bezug auf Twitter sollte man sich keinen Illusionen hingeben: Der Mann, der mit 28 für 307 Millionen Dollar seine erste eigene Firma verkauft hat, hat Twitter nicht nur als Statement für die Meinungsfreiheit gekauft: Er will mit der Plattform Geld verdienen.

Man sollte nicht vergessen, das Musk mit seiner Firma Neuralink an Computer-Gehirn-Schnittstellen forscht. Und wie hilfreich Überwachung und Datensammeln für Deep Learning sind, hat Telepolis zuletzt thematisiert (vgl. Eine "bessere Weltordnung": Friedliche Kampfansage an die Supermacht USA).

Musk treibt also trotz möglicher positiver Effekte auf die Meinungsvielfalt das voran, was die US-amerikanische Politologin Jodi Dean 2002 in ihrem Buch "Publicity’s Secret – How Technoculture capitalizes on Democracy" beschrieben hat:

Unabhängig davon, wie sehr sich die Politik in Netzwerke von Emotionen und Spektakeln verstrickt, glauben viele weiterhin, dass die Herrschaft ‚der Öffentlichkeit’ durch Praktiken gestärkt wird, die die Produktion und Verbreitung öffentlicher Meinung ermöglichen – Praktiken, die im Allgemeinen mit Technologien der Überwachung und Erwartungen an die Unterhaltung verbunden sind.

Jodi Dean

Wer Musks Meinungsfreiheits-Mission vor diesem Hintergrund skeptisch sieht, fühlt sich unwillkürlich an eine prophetische Werbung aus dem dahingehend bezeichnenden Jahr 1984 erinnert: Ihr Claim lautete: "Es war an der Zeit, dass ein Kapitalist eine Revolution beginnt." Das Unternehmen hieß: Apple.