"Nach unseren Regeln": Von Meinungsfreiheit und Meinungshoheit
- "Nach unseren Regeln": Von Meinungsfreiheit und Meinungshoheit
- "Der Vogel wird nach unseren Regeln fliegen" – Twitter-Revolution bitte nur im Ausland
- Frei von unliebsamen Meinungen
- Auf einer Seite lesen
Apple boykottiert im Namen der Meinungsfreiheit Elon Musk? Eine Farce – denn der demokratische Diskurs ist nicht erst seit der Twitter-Übernahme unter Beschuss.
Dann macht er eben ein eigenes Telefon. Der wie kaum ein anderer polarisierende technokapitalistische Wunderknabe Elon Musk backt keine kleinen Brötchen. Und wenn Google und Apple Twitter boykottieren, muss Elon eben selbst tätig werden. Ganz so einfach will er Tim Cook und Co. dann aber doch nicht von der Leine lassen.
Und so feuerte Musk feuerte am Montag eine Tweet-Salve in Richtung Apple ab, in der er dem Konzern vorwarf, seine Anzeigen auf Twitter zurückgefahren und damit gedroht zu haben, Twitter aus dem App-Store zu schmeißen. Für Musk weniger ein persönlicher Angriff als einer gegen die freie Meinungsäußerung, die er für viele verkörpert – klar, Musk hatte ja auch im Vorfeld der Twitter-Übernahme große Versprechungen gemacht, als er Bots, Fake-Accounts und Zensur den Kampf ansagte.
In diesem Tenor kündigte er ebenfalls am Montag an, die internen "Twitter Files on free speech suppression" demnächst auf der Plattform zu veröffentlichen. "Die Öffentlichkeit verdient, es das zu erfahren", so der gebürtige Südafrikaner.
Er werde auch die Mechanismen im Umgang mit der Geschichte um Präsidentensohn Hunter Bidens "laptop from hell" offenlegen, ließ er zuvor wissen. Tatsächlich bietet diese Geschichte durchaus Stoff für die Diskussion um die Meinungsfreiheit im Internet. Doch dazu später mehr.
Dass sich Apple für die Meinungsfreiheit einsetzt, dürfte jedenfalls relativ schwer zu vermitteln sein. Von der Zusammenarbeit mit der National Security Agency (NSA) einmal abgesehen, hat sich der Konzern mit einem Kapitalwert, der den aller Dax-Unternehmen übersteigt und einem Walled-Garden-System nicht gerade einer freien Internetkultur à la "Sharing is Caring" verschrieben.
Das hält Apple natürlich nicht davon ab, gegenteiliges zu behaupten. So zuletzt 2020 in der Apple Human Rights Policy:
Hand in Hand mit dem Schutz der Privatsphäre unserer Nutzer geht unser Engagement für die Informations- und Meinungsfreiheit. Wir glauben an die entscheidende Bedeutung einer offenen Gesellschaft, in der Informationen frei fließen, und wir sind überzeugt, dass wir Offenheit am besten fördern können, wenn wir uns weiterhin engagieren, auch wenn wir mit den Gesetzen eines Landes nicht einverstanden sind.
Apple Inc.:Our Commitment to Human Rights
Ein interessanter letzter Satz. Denn er muss offenbar auch auf China zutreffen, wo die westlichen Medien ja gerade den großen Protest gegen die Corona-Maßnahmen feiern, den sie in ihren eigenen Ländern nach Kräften unterdrückten. Ausgebrochen ist der Protest unter anderem bei Foxconn, der Firma, die Apples iPhones herstellt. Und damit sind wir beim eigentlichen Thema.
Zero Covid, Zero Selbstreflexion
"Die Maßnahmen in China kann man ja nicht mit denen in Deutschland vergleichen", werden manche sagen. Sehr wohl vergleichen kann man aber die Überzeugungen, die zu den Maßnahmen führten. "Zero Covid" ist in Deutschland kein Fremdwort. Unter den Verfechtern war immerhin die Crème de la Crème der deutschen (Fernseh-)Wissenschaft: Viola Priesemann sprach sich dafür aus, Melanie Brinkmann sprach sich dafür aus – und ja, auch Christian Drosten.
Und nicht zu vergessen Otto Kölbl, Mitautor des berüchtigten Strategiepapiers des Bundesinnenministeriums. Der hatte zwar nichts mit der zweifelhaften Gain-of-Function-Forschung am Hut, dafür aber mit Mao und der kommunistischen Partei. Nur folgerichtig, dass der Herr dann auch Geld aus Peking bekam. So viel zum Thema China und Widerstand.
Das Stichwort heißt – wie so oft dieser Tage – Doppelmoral. Und die zeigt sich nicht nur gegenüber dem Zero-Covid-Ansatz und dem Umgang mit den "mutigen" Demonstranten in China, sondern auch in den Grenzen des Sagbaren in den sozialen Medien. Die (bürgerliche) Meinungsfreiheit scheint hier mit der (staatlichen) Meinungshoheit zu kollidieren.
Man muss vorausschicken: Natürlich hat die Meinungsfreiheit in den Sozialen Medien ihre Grenzen. In diesem Kontext wird sich gerne auf den US-Begriff der Hate Speech berufen.
Die Bundeszentrale für politische Bildung zählt Beleidigung und Volksverhetzung zu den "wichtigsten" Delikten:
Beleidigung ist die ehrverletzende Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung einer anderen Person. Volksverhetzung begeht unter anderem, wer gegen (abgrenzbare) Teile der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder sie in ihrer Menschenwürde angreift (§130 Abs. 2 Nr. 2 StGB).
Bundeszentrale für politische Bildung
Ähnlichkeiten zu den Diskursen in Corona- und Ukraine-Krise sind nicht rein zufällig. Hier wurde, auch in den sozialen Medien und auf Twitter, von "Sozialschädlingen" gesprochen. Von Menschen, auf die die ganze Nation mit dem Finger zeigen soll, die keinen Beatmungsplatz bekommen sollen, die das Volk in Geiselhaft nehmen oder schlicht "Bekloppte" sind.
Nichts davon wurde zensiert. Und doch fand eine Zensur statt – anders, als es das Grundgesetz vorsieht. Und zwar von Inhalten, die dem (Regierungs-)Konsens widersprachen.