Nachrichten aus der Parallelwelt der Klimaökonomen

Seite 4: Klimawandel als Demokratieproblem

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Um mit Technikwenden umzugehen, sind die Modelle der Umweltökonomen aber das falsche Instrument - sagt Patt, aber sogar im IPCC-Bericht selber steht: "Neoklassische Modelle haben eine begrenzte Aussagekraft, um Übergänge zwischen Entwicklungspfaden zu erklären."

Dem pflichtet auch Matthew Paterson bei. Der Politologe der Universität Ottawa hat sowohl als Hauptautor in der WG3 des IPCC mitgearbeitet, wie er auch über das IPCC forscht - der oben erwähnte Artikel in "Nature Climate Change" stammt unter anderem von ihm. "Neoklassische Modelle", sagt er am Telefon, "betrachten den technischen Wandel als etwas, das mit einer konstanten Rate einfach geschieht." Modelle müssen, wenn sie mehr sein wollen als Kaffeesatzleserei, auf Erfahrungswerten aufbauen - wie sollten solche Modelle Gesellschaften vorhersehen können, die anders funktionieren?

"Die Vorstellung einer anderen Welt, in der die Leute anders zusammenleben, anders konsumieren, sich mit dem Fahrrad bewegen: Das ist mit Modellrechnungen überhaupt nicht kompatibel", sagt Paterson. Aber eine Gesellschaft, die die Umwelt nutzt, ohne sie zu zerstören, wird sehr anders sein müssen. Patersons Hauptkritik ist aber noch grundsätzlicher als die von Spash und Patt:

Das IPCC bemüht sich sehr, seine Resultate als Konsens der Wissenschaften darzustellen. Aber Wissenschaft ist kein Konsensprojekt. Viele Diskussionen um das IPCC verlaufen nach dem Muster: "Das IPCC sagt, was geschehen müsste, aber die Politik macht nicht mit - was läuft also falsch?" Diese Idee, dass die Wissenschaft die Wahrheit verkündet und die Politik danach handeln sollte, ist realitätsfremd.

Matthew Paterson

Wichtig, so Paterson, wäre es zu fragen, welche Zwänge die Menschen daran hindern zu tun, was sie für richtig halten. Dazu werde in Disziplinen wie Soziologie oder Humangeografie viel geforscht, und diese Forschung sei politisch höchst relevant. Aber im IPCC fehlten ihre Einsichten weitgehend.

Meine letzte Gesprächspartnerin ist Amy Dahan-Dalmedico vom Centre Alexandre-Koyré in Paris. In ihrem Buch "Les modèles du futur" schreibt die Wissenschaftshistorikerin: "Der Kern des zeitgenössischen ökonomischen Denkens reduziert Umweltschäden auf Externalitäten, die man internalisieren könnte, indem man ihnen einen Preis gibt."

Ein derart auf ein ökonomisches Problem reduziertes Denken, sagt Dahan im Gespräch, schließe die Möglichkeit, sich wahre Alternativen vorzustellen, von vornherein aus. Die Folgerung, die sie daraus zieht, richtet sich nicht nur an das IPCC, sondern an das ganze "klimapolitische Regime" - an die Wissenschaften, die Uno, die Regierungen, Umweltorganisationen: "Der Klimawandel muss neu aufgefasst werden - als eine Frage der Demokratie."

Marcel Hänggi ist freier Wissenschafts- und Umweltjournalist und Buchautor in Zürich.

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