Namensstreit in Thessaloniki

Seite 2: Doppelagent zur Absicherung des eigenen Schicksals

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Ab 1942 war Chrysochoou unter dem Drecknamen "3" auch als Informant für die Organisation ZEUS aktiv. Diese stand in engem Kontakt zur Exilregierung der Griechen in Kairo. Das doppelte Spiel wird von Historikern als Versuch Chrysochoous gewertet, sich von eventuellen späteren Vorwürfen der Kollaboration frei zu waschen. Denn tatsächlich verweigerte der Offizier Befehlen der Exilregierung den Gehorsam.

Als er zum Ende der Besatzungszeit vom von den Besatzern eingesetzten Premier Ioannis Rallis zu einer Art Minister von Makedonien und Thrakien erhoben wurde, schickte die Exilregierung am 3. Oktober 1944 mit der Nummer 47 ein Telegram. "Ihr Zeichen drei-neun. Papandreou höchstpersönlich ist nicht in der Lage der Einsetzung von Chryosochoou unter Rallis zuzustimmen oder abzusegnen. Dieser muss den Befehlen des Vertreters der Regierung zustimmen. STOP", steht in dem Schreiben.

Georgios Papandreou war damals der Premier der Exilregierung der Griechen. Chrysochoou schrieb die Anweisung in den Wind, er berief sich darauf, im Ministeramt nationalen Interessen zu dienen. Chrysochoou wiederholte diese Einstellung noch am 10. Oktober 1944 gegenüber dem Anführer der Organisation ZEUS, Georgios Margetis. Die wiederholte Ablehnung zum Befehlsgehorsam bewirkte, dass die Organisation ZEUS an den alliierten Generalstab des Mittleren Ostens telegraphierte, "…wir haben jeglichen Kontakt mit ihm abgebrochen".

Chrysochoou wurde wenige Tage vor dem endgültigen Abzug der Wehrmacht aus Griechenland von der kommunistisch geprägten Widerstandsarmee ELAS verhaftet. In einer Volksgerichtsverhandlung wurde er als Kollaborateur verurteilt. Später befreiten ihn die Briten. Diese wollten ein politisches und militärisches Gegengewicht zur ELAS schaffen. Chrysochoou fanden sie für ihr Vorhaben nützlich.

Keine wirkliche Aufarbeitung

Eine Aufarbeitung der durch die Kollaborateure unmittelbar oder mittelbar verursachten Mitschuld an Kriegsverbrechen hat im Nachkriegsgriechenland noch nicht wirklich stattgefunden. Bis in die Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts standen einem solchen Vorhaben die Interessen der westlichen Großmächte, die maßgeblich an der Wiedereinsetzung der Kollaborateure in Amt und Würden mitgewirkt haben, entgegen.

Die fehlende Aufklärung bedingte auch, dass diejenigen, die sich im Weltkrieg und später im griechischen Bürgerkrieg illegal bereichert haben, ihr Vermögen wahren konnten. Viele der später höheren Verwaltungsbeamten, Militärs und Putschisten wurden von willfährigen Stadtverwaltungen mit Denkmälern und Straßenbenennungen geehrt. Chrysochoou ist kein Einzelfall.

Einzigartig ist jedoch, was rund um die Umbenennung der nach ihm benannten Straße geschieht.

Nar statt Chrysochoou

Die drei nun von den Nachfahren Chrysochoous Angezeigten hatten sich seit Herbst 2016 bemüht, die Geschichte des ihrer Meinung nach fälschlich geehrten an die Öffentlichkeit zu bringen und für eine Umbenennung der Straße zu sorgen. Im Stadtrat von Thessaloniki stimmten die Stadträte aller Parteien bis auf die Goldene Morgenröte dem entsprechenden Antrag zu. Der dezentralisierte Regionalrat von Makedonien und Thrakien stimmte ebenfalls zu.

Die Chrysochoou Straße heißt nun seit dem 22. August 2018 Alberto Nar Straße. Der 1947 geborene und am 2. März 2005 verstorbene Journalist, Schriftsteller und Holocaustforscher Nar, selbst jüdischer Abstammung, hatte zahlreiche Werke über die jüdische Geschichte der zweitgrößten griechischen Stadt geschrieben.

Triantafyllos Mitafidis, der nun selbst von Syriza unterstützt als Bürgermeister Thessalonikis kandidiert, kann zusammen mit den Mitangezeigten nicht verstehen, warum die Kinder von Chrysochoou ihn und seine beiden Mitstreiter und nicht den Stadtrat und die Regionalverwaltung angezeigt haben. Den drei droht neben der Geldstrafe im Fall der Verurteilung Haft.

Die Kinder des Entehrten berufen sich darauf, dass ihr Vater angeblich im Auftrag der Exilregierung mit den Nazis kooperiert habe. Tatsächlich hatten sie im März 2018 auch Bürgermeister Yannis Boutaris mit juristischen Folgen gedroht.

Die Angezeigten gaben eine gemeinsame Erklärung heraus, die mit den Worten schließt: "der Klage wird nicht nur durch die überwältigenden Beweise und Dokumente widersprochen, auf denen die Entscheidung des Stadtrats von Thessaloniki beruhte, sondern auch mit den jüngsten Beweisen, die durch historische Forschungen ans Licht gebracht wurden".

Die jüngere Geschichte Griechenlands, der Weltkrieg und die folgende Bürgerkriegszeit gehören bislang im Schulunterricht zu den stiefmütterlich und nur kurz behandelten Themen. Vielleicht ändert sich das, wenn die Ereignisse endlich aufgearbeitet werden. Einigen heute wirtschaftlich reichen und politisch einflussreichen Familienclans dürfte dies dann nicht gefallen.