Napoleon im Kino: Ridley Scotts Waterloo
Seite 2: Austerlitz
Bemerkenswert für den schludrigen Umgang Scotts mit seinem Gegenstand ist die Darstellung des berühmtesten Siegs Napoleons in der Winter-Schlacht von Austerlitz. Tolstoi hat aus ihr eine Ode an Napoleon gemacht, fast jeder Historiker sieht sie zumindest als taktisches Meisterstück an.
Scott konzentriert sich auf oberflächliche und irreführende Nebenaspekte, um ein paar spektakuläre Digitaleffekte vorzuführen: Der vereiste See war an einem Randbezirk des Schlachtfelds und keineswegs Ursache der Niederlage der überlegenen Truppen.
Wer nicht weiß, dass die Franzosen die Österreicher mit einer Finte von ihren befestigten Bergstellungen herunterlockten, erfährt es bei Tolstoi, aber nicht bei Scott.
Und die sprichwörtliche "Sonne von Austerlitz" darf bei ihm auch nicht scheinen. In dieser und in vielen anderen Schlachtszenen lässt Scott einen Großteil der Farben weg, und sein Film tendiert durchgehend zu einer Schmutzwäschepalette aus Grau und Braun, Düsternis und Schlamm.
Man muss Napoleon nicht verehren und verklären, um das zu bemängeln.
Zwei Hauptdarsteller mit großem Talent
Wovon die Kinoversion letztlich fast allein lebt, sind seine zwei Hauptdarsteller: Joaquin Phoenix und Vanessa Kirby verkörpern ihre Charaktere mit großem Talent. Phoenix grimassiert und dreht seine Figur immer wieder ins Groteske, ansonsten dominiert eine mürrische sardonische Gereiztheit, als wolle er es mit Rod Steiger aufnehmen.
Das ist zwar amüsant anzusehen, denn Phoenix bleibt am Ende immer Phoenix, untergräbt aber unser Verständnis für alle Aspekte vom Charakter Bonapartes, die offenbar weder Regisseur noch Hauptdarsteller interessiert haben.
Die Chemie zwischen Phoenix und Kirby ist aber unbestreitbar – die ödesten Sexszenen der Kinogeschichte verhindert das jedoch auch nicht.
Aber der Film geht noch weit darüber hinaus, indem er Josephine fast zur Hauptfigur und jedenfalls zur Antriebsquelle eines spröden, undurchschaubaren und wenig charismatischen Napoleon macht, der unter der Fuchtel seiner Gattin und seiner Mutter steht und manchmal zu einem grotesken Zwerg schrumpft.
Das bricht nicht nur mit den Erwartungen des Kinos, es ist auch unhistorisch: Faktenwahrheit interessiere ihn nicht, erklärte Scott dazu - das ändert nichts daran, dass er die Möglichkeiten des Kinos, einer historischen Figur und einer realen Epoche Bild-Gestalt zu geben, verschenkt.
Visuell ok und ein paar Überraschungen
Vieles ist auch stilistisch überaus mangelhaft und geradezu unbeholfen: Übergänge, Zeitsprünge über zwei, drei Jahre ohne Kontexte zwischen den Szenen; Momente, die von einem Schritt zum nächsten übergehen, ohne die Handlung weiterzuentwickeln, ohne dass wir Motivationen oder innere Logik verstehen. Man merkt, dass der Film stark beschnitten wurde, um die immer noch große Länge zu erreichen, die er jetzt hat.
Trotzdem ist Scotts Film visuell noch am ehesten gelungen – ein unheroisches Portrait, das uns eine graue, kühle, regnerische Welt zeigt: ohne "die Sonne von Austerlitz", ohne Pathos und bunte Farben, auch mit sanfter Barockmusik statt den historischen korrekten Klängen des Napoleon-Fans Beethoven.
Wer sich auf all das einlässt, wird immerhin ein paar wenige interessante Überraschungen erleben. Der Rest muss auf das kommende Jahr hoffen: Dann wird Steven Spielberg endlich das berühmte, unverfilmte Drehbuch Stanley Kubricks in Angriff nehmen.