"Nationale Interessen wahren"

Wie Washington die Unterstützung für seinen Irak-Feldzug erkauft

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Wenige Wochen vor dem wahrscheinlichen Angriff der US-Streitkräfte auf den Ölstaat Irak hat Washington den Druck auf die Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen massiv erhöht. Erreicht werden soll eine Zustimmung von zumindest neun der fünfzehn Mitglieder des Gremiums (Machtpolitik unter dem Deckmantel von Freiheit und Demokratie).

Die Bush-Administration wird im Fall eines neuen Krieges gegen den Irak nicht auf materielle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen sein. Beim Werben um Zustimmung im Sicherheitsrat geht es den in den USA dominierenden "Falken" vielmehr um den psychologischen Faktor. Die Zustimmung einer Mehrheit im Sicherheitsrat würde auch der im entstehen begriffenen Opposition im eigenen Land den Wind aus den Segeln nehmen. Zwei Fliegen wären mit einer Klappe geschlagen.

Auch wenn der US-Präsident eine einstimmige Unterstützung seines Kriegskurses im Sicherheitsrat der UN nach wie vor für "wünschenswert" hält, ist eine solche Wendung illusorisch. Das Stimmungsbild unter den fünf ständigen Mitgliedern ist unverändert: Frankreich wendet sich gegen einen Krieg, auch China ist kritisch. Russland schließt sich den beiden tendenziell an, ist aber wie in vorigen internationalen Konflikten ein Wackelkandidat. Die USA und Großbritannien favorisieren einen Krieg.

Nachdem die Positionen von Deutschland, Spanien und Bulgarien geklärt sind, stehen drei Gruppen aus den zehn nicht-ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates im Visier Washingtons. Eine bilden die islamischen Staaten Syrien und Pakistan - das nun bereit zu sein scheint, zugunsten der USA zu votieren -, die zweite die beiden lateinamerikanischen Mitglieder Mexiko und Chile. Zum dritten sind es die afrikanischen Staaten Angola, Guinea und Kamerun. Vor allem Guinea, das ab heute den Vorsitz im Sicherheitsrat von Deutschland übernimmt, könnte entscheidend werden. Angola dürfte sich für die USA entscheiden, Kamerun hat stärkere Verbindungen zu Frankreich. Francois Fall, der Außenminister von Guinea, sagte gestern, das Land - eines der ärmsten der Welt - werde seine Unabhängigkeit wahren und seine Entscheidung nicht von Geldzuwendungen abhängig machen.

Mexiko und Chile

Mexiko sprach sich seit Beginn des Konfliktes für eine friedliche Einigung zwischen den USA und Irak aus und folgte damit einer Tradition mexikanischer Außenpolitik, die sich gegen Unilateralismus wendet. Nach Umfragen sprechen sich 70 bis 83 Prozent der Mexikaner gegen einen Krieg aus. Erst nachdem der mexikanische Präsident Vicente Fox tagelang intensiv aus Washington und Madrid "überzeugt" wurde, änderte er seine Meinung und mochte eine Zustimmung zum Krieg in einer Rede vor dem US-mexikanischen Handelsrates am vergangenen Dienstag nicht mehr ausschließen. Zugleich ging den Botschaften des mittelamerikanischen Landes in aller Welt eine Mitteilung zu. Mexiko, hieß es darin, werde "im Einklang nationaler Interessen" handeln. Das sind in diesem Fall die der USA.

Der Grund für den Stimmungswandel liegt in den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Seit unter dem ehemaligen US-Präsidenten William Clinton die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA eingerichtet wurde, hat sich die mexikanische Industrie massiv verändert. Nach Angaben des mexikanischen "Netzwerkes gegen Freihandel" setzte einhergehend mit der Privatisierung eine rapide Monopolisierung der Wirtschaft ein. Heute kontrollierten 10.000 Unternehmen gut 30 Prozent der Exportwirtschaft. Beinahe einziges Ziel der Ausfuhren ist der nördliche Nachbar. Stimmte Mexiko im Sicherheitsrat gegen die USA, wäre eine Vergeltung für Washington denkbar einfach.

Ähnlich verhält es sich im Fall von Chile, das neben Mexiko als zweiter Transmitter der US-Politik in Lateinamerika gilt. Von der dortigen Regierung wird seit geraumer Zeit ein bilaterales Handelsabkommen mit Washington angestrebt, das dem Land die Märkte von Kanada, den USA und Mexiko öffnen würde. Der sozialdemokratische Präsident Ricardo Lagos schwärmt schon jetzt von den "Chancen dieser Öffnung" und prognostiziert ein Exportzuwachs von bis zu 18 Prozent. Stimmte Chile gegen die USA, würden diese Träume schneller platzen, als es Lagos lieb sein kann, denn das Land hat sich mit der Annäherung an die USA in der Region wirtschaftspolitisch isoliert und stünde von einem auf den anderen Tag alleine da.

Die Vorbereitungen der USA auf den Irak-Krieg sind ein selten klares Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Abhängigkeit für die Politik der US-Großmacht verwandt wird. Sie sind zugleich ein starkes Argument für die Stimmen in Entwicklungsstaaten, die sich für eine alternative Politik aussprechen. Zu ihnen gehört auch die Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM), die jüngst im malaisischen Kuala Lumpur ein Revival erlebt hat.

Bis dieses Gegengewicht geschaffen ist, erleiden die Vereinten Nationen vor aller Augen einen weiteren Bedeutungsverlust. Der direkte oder indirekte Stimmenkauf der USA im Sicherheitsrat macht die fehlende Stabilität internationaler Regimes unter dem Druck der einzig verbleibenden Großmacht deutlich. Unwahrscheinlich ist, dass die derzeit noch gegen den Krieg votierenden Staaten die bisher unentschlossenen Mitglieder des Sicherheitsrates mit Gegenanreizen auf ihre Seite ziehen werden. Wahrscheinlich hingegen ist ein Einknicken der noch verbleibenden Angriffsgegner. Nach dem Krieg will niemand vom Geschäft ausgeschlossen sein.