"Nationalismus wird uns immer ins Elend führen"

Seite 3: Ein "tänzelnder Nationalismus"

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Man kann trotz all der besorgniserregenden Entwicklungen den Eindruck haben, die Menschen werden in vielen Beziehungen zivilisierter. Tatsächlich nimmt beispielsweise die Gewalt gesamtgesellschaftlich ab. Kirmesfeste waren ja zum Beispiel früher eine einzige Schlägerei.

Konstantin Wecker: (lacht) Ja genau, ich erinnere mich.

Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die Menschen werden zivilisierter und es mag - so wie im Hannes-Wader-Zitat zuvor andeutet wurde, auch etwas mit der Kunst zu tun haben. Nur, kann die Kunst in der Krise keine Haltung verordnen, sondern die müssen sie Einzelnen selbst beweisen.

Konstantin Wecker: Man kann mit der Kunst inspirieren und Mut machen, dass diejenigen, die das hören oder lesen zu sich selbst stehen. Die Leute sollen ja nicht zu mir stehen, wenn sie meine Musik hören. Das ist nicht die Aufgabe der Kunst, es geht darum, Mut zu machen, zu sich selbst zu stehen.

Thomas Merton, ein katholischer Mönch und Priester, der sich schon sehr früh gegen den Vietnamkrieg engagiert hat, sagte einmal, man dürfe nicht den Fehler machen beim Engagement gegen den Krieg einen Erfolg zu erwarten. Davon sollte man sich nicht verblenden lassen. Man muss es deswegen tun, weil man die innere Gewissheit hat, man muss es tun. Das war der Fehler bei den Ideologisierungen. Ein Fehler, den man den Leuten gar nicht übelnehmen kann, weil sie dachten, man braucht eine Ideologie, um die ganze Welt gerechter zu machen. Nur, es funktioniert nicht. Man muss machen, was man macht, so wie sich Gandhi oder Sofie Scholl aus ihrer Würdeheraus engagierten und nicht weil sie meinten ,sie könnten damit sofort die Welt verändern.

Reden wir an dieser Stelle einmal über etwas Unangenehmes. Viele Linke verlieren gerade die Nerven. Sie fürchten sich vor ihren Mitmenschen und versuchen, diese dann zu manipulieren. Mitunter übernehmen sie dann auch gewisse Themen von den Rechten. Man nennt dies dann mitunter linken Populismus, wobei dies widersinnig ist, denn der wird immer sogleich rechts.

Konstantin Wecker: Das sehe ich genauso.

Unverkennbar gibt es aktuell Tendenzen, die linke Politik zu erneuern, indem die "soziale Frage" betont wird und die moralischen Fragen hintangestellt werden sollen. Selbstverständlich geht es dabei immer nur um die Sache mit den Flüchtlingen. Auf welche Resonanz stößt in dieser hitzigen Debatte eine Liedzeile wie "Ich habe einen Traum, wir öffnen die Grenzen und lassen alle herein, alle, die fliehen vor Hunger und Mord, und wir lassen keinen allein."

Konstantin Wecker: Ich denke, da mag es zahlreiche und auch richtige politische Überlegungen geben - überhaupt keine Frage - aber ich werde in diesem Punkt "Ich habe einen Traum" beharrlich bleiben. Da bleibe ich bedingungslos. Und ich denke nicht daran, dieses Thema von Flucht und Vertreibung, auch nur in irgendeiner Weise so aufzunehmen, dass ich damit dann den Rechten etwas an Zustimmung abjagen kann.

Ich denke nicht dran, weil ich jede Form von Nationalismus, auch einen gemäßigten linken Nationalismus, grundsätzlich ablehne. Für mich ist Nationalismus einfach nur Scheiße. Ich verwende diese Worte nur ungern, aber man kann das auch mal provokativ so sagen. Wir haben diese Riesenchance gehabt durch die Bewältigung dieser grausigen Vergangenheit und sollten sie jetzt nicht verschenken.

Ausschließlich übrigens in Deutschland und nicht in Österreich, wo man lange noch so getan hat, als sei Hitler einmarschiert und als wäre er nicht begeistert empfangen worden. Die Voraussetzungen waren also im Nachkriegsdeutschland besser als in vielen anderen Ländern der Erde. Wir konnten in Deutschland lernen, was für ein Elend aus Nationalismus und Rassismus entstanden ist - und wir haben es auch getan. Wir haben die Chance zu Demokratie und wir haben in Deutschland dieses großartige Grundgesetz.

Was gerade passiert mit Seehofer könnte mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes widerlegt werden. "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Die des Menschen und nicht die des Deutschen! Und der Staat hat die Verpflichtung, diesen Grundsatz auch durchzusetzen. Damit ist alles gesagt und es könnte juristisch vorgegangen werden nur mit diesem einen Artikel im Grundgesetz.

Sie meinen also diese konservative Hypothese, wir bräuchten einen gemäßigten Nationalismus, um den Leuten etwas zur Identifikation anzubieten, sei falsch? Also keine harmlose Gruppenidentität mit Fähnleinschwingen bei der Fußball WM?

Konstantin Wecker: Frank Schirrmacher hat damals geschrieben bei dem "deutschen Sommermärchen" 2006, dies sei ein "tänzelnder Nationalismus". Das hat mich damals schon so aufgeregt. Denn es war deutlich zu sehen, er wollte den Nationalismus zurückholen und hat langwierig gesucht, wie man das denn ein bisschen netter nennen kann. Er hat sich sicherlich sehr viele Gedanken gemacht über diese Formulierung. Ein tänzelnder Nationalismus ist aber genauso falsch. Warum tänzelnd, warum gemäßigt? Nationalismus wird uns immer ins Elend führen. Es kommt noch etwas hinzu. Ich habe mit dem Neurobiologen Gerald Hüther zwei Auftritte gehabt. Wir haben uns da kaum abgesprochen und während eines gemeinsamen Seminars sagte ich plötzlich zu ihm: "Mensch, Du bist ja ein Anarcho." Das Wort hat ihm vielleicht nicht so gefallen.

Das ist belastet.

Konstantin Wecker: Genau. Es ist belastet, aber er ist es trotzdem. Und wir verstehen uns sehr gut. Ich komme von der Poesie her und er von der Neurowissenschaft. Er sagt, zehntausend Jahre Hierarchie haben für die, die oben waren, funktioniert und haben vieles bewirkt an technischen Entwicklungen.. Aber jetzt geht es nicht mehr, weil die Welt zu komplex geworden ist.

Es stimmt, die Menschen sind zivilisierter geworden und in großen Firmen beispielsweise geht es nicht mehr mit dem reinen Gebrüll des Chefs. Das ist vorbei. Was vor dreißig Jahren noch war: "Fräulein Müller bringen Sie mir den Kaffee", das geht in dieser Form nicht mehr. Natürlich gibt es immer noch Unterdrückung, aber es ist ein neues Bewusstsein entstanden. Auch durch das Internet, das ja ein nicht hierarchisches System wäre.

Potenziell.

Konstantin Wecker: Ja, zumindest potenziell. Es kann natürlich hierarchisch ausgenützt werden. Gerald Hüther meint nun, hierarchische Systeme können in Zukunft nicht mehr funktionieren, weil damit die Komplexität der Welt nicht mehr eingefangen werden kann. Das kommt mir alten Anarcho entgegen, wohlwissend, dass dies eine Idee oder ein Traum ist. Aber genau dazu ist die Kunst da, die Flamme einer Idee lodern zu halten, selbst in bittersten Zeiten.

Väter und Söhne

Ein häufiges Motiv in ihrem Werk behandelt eine Art Generationendialog. Sie haben viel über ihre Eltern geschrieben (die dabei übrigens ziemlich gut wegkommen, das sind Porträts auf Goldgrund) und das Glück, dass sie mit diesem antiautoritären Elternhaus gehabt haben. Sie haben aber auch die bange Sorge zum Ausdruck gebracht, was passiert, wenn Ideologie zwischen Menschen in einer Familie tritt, wie beispielsweise in dem Stück "Vaterland". Was fällt Ihnen heute zur "Generation Abliefern" ein? Es ist ja meist so, wenn 68er sich an ihre Jugend erinnern, dann meist nur daran, wie sie wochenlang bekifft in der Ecke rumlagen. Heute hingegen haben alle dauernd viel zu tun …

Konstantin Wecker: Ich hab hier ein bisschen ein Problem über die Generation zu reden, der ich nicht angehöre, weil ich sie ja in ihrer Gesamtheit nicht kenne. Ich kenne meine Kinder und die Freunde meiner Kinder und die sind untypisch für die Abliefern-Generation. Die wenigen jungen Leute, die bei mir ins Konzert kommen, die kommen meistens über die Eltern.

Allerdings, viele meiner Freunde sind Taxifahrer und die erzählen mir Dinge über die jungen Unternehmensberater, da sage ich mal, das sind harte Urteile. Die lassen teilweise ganz bewusst die Sau raus, damit der Taxifahrer merken soll, was er für ein Untermensch ist im Gegensatz zu den Reichen, Jungen, Aufstrebenden. Aber man bemerkt auch die Angst, die sie untereinander haben. Dauernd wird sich ein Bild aufgebaut: "Wir schaffen es nach oben." Dadurch entsteht permanent die Angst zu verlieren. Es ist mir aber schwer darauf eine Antwort zu geben.

Das ist bereits eine. Viele ihrer Songs behandeln ja einzelne Beobachtungen und keine Analyse repräsentativer Gesellschaftsquerschnitte.

Konstantin Wecker: Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass meine Eltern völlig untypisch für die Generation der Eltern eines Siebzigjährigen waren. Dies erwähne ich ganz bewusst immer wieder. Wenn ich in meinem Lied schreib: "Ich habe eine großes Herz für die Träumer und Versager", dann meine ich damit schon auch meinen Vater. Weil der ja in gesellschaftlichem und finanziellem Sinn ein Versager war. Was er sicherlich nicht gern gehört hätte. Aber was für ein wunderbarer, warmherziger und weiser Mann ist er geworden.

Wir müssen den Worten mehr auf den Grund gehen. Versager heißt, "ich versage mir etwas". (lacht) Hat doch was, oder? Ich versage mir, teure Markenkleidung zu tragen, ich versage mir, andere auszubeuten, und ich versage mir, Euren Quatsch mitzudenken. Ich bin ein Versager.

Vor wenigen Tagen gab es eine Präsentation des Kärntner Dichters und Aphoristikers Joško Gallob, der es auch im Leben zu nichts gebracht hat - wenn man das so ausdrücken will. Er ist bereits vor zwanzig Jahren gestorben und jetzt wurde ein kleines Bändchen über ihn herausgegeben. Gallob war ein ziemlich anarchistischer Typ und das ganze Dorf hat sich immer aufgeregt, dass er bis Mittag im Bett lag.

Konstantin Wecker: (lacht) Ja, Wahnsinn! Sehr gut.

Von Ihnen stammt der Satz: Die Weisheit der Kindern wird gestört durch Erwachsene. Als konsequente erkenntnistheoretische Anarchisten müssen wir uns die Frage stellen, die Sie gestellt haben, ob nämlich die Fantasiefreunde der Kinder vielleicht gar nicht bloß erfunden sind.

Konstantin Wecker: Ganz genau.

Ich halte das für einen guten Ansatz. Bei meinen kleinen Sohn habe ich beobachtet, dass seine Zauberhasenbande an eine Struktur stößt. Was diesen seltsamen Wesen passiert, ist nicht beliebig.

Konstantin Wecker: Wie klein ist der?

Fünf. Weiß der Himmel, wer die sind, und man sollte natürlich skeptisch sein, was deren Zauberkräfte betrifft, aber die Welt dieser Hasengesellen scheint wie eine Art Sphäre vorhanden zu sein. Wie biegt man es hin, dass man den kleinen Leuten nicht ihre poetische Größe nimmt?

Konstantin Wecker: (Pause) Indem man sie ernst nimmt. Und zwar von Herzen ernst nimmt. Es gibt diese zwei Arten von ernst nehmen. Es gibt das ernst nehmen der tollen Erwachsenen, die alles natürlich wissen und die dann sagen "Na klar, hast Du schon Recht Bub." Aber es gibt auch andere Erwachsene - und hier muss ich leider nochmals zu meinem Vater kommen. Der konnte bis ins hohe Alter staunen. Der hätte auch über meine Zauberhasen gestaunt. Der hätte nie sofort gesagt, ach das gibt es nicht oder es sich selbst gesagt.

Manchmal habe ich sogar das Gefühl, es ist sogar Neid. Unbewusster Neid, dass wir das alles nicht mehr haben. Deswegen wollen wir die Kinder immer gleich zu etwas "ganz wichtigem" anhalten. Zum Zimmer aufräumen, Hausaufgaben machen. Wir glauben also zu wissen, was Kinder tun müssen, anstatt von ihnen zu lernen, anstatt das mit ihnen auszuleben.

Nils Bohr hat einmal gesagt, Materie sei kondensiertes Licht und mein Freund Hans Peter Dürr sagte schlicht, Materie gibt es eigentlich gar nicht. Auch die Zauberhasen sind, genau wie die das womit wir die Welt erklären, Symbole. Worte sind Symbole. Die Worte und Bilder können Symbole sein für etwas, das Kinder spüren. An Bedrohung zum Beispiel oder dass sie eine Präsenz dessen spüren, was wir verloren haben, nämlich die des unerklärlichen Wunderbaren.

Vermutlich kommen sie ja von dort. Aus jener Welt, die gerade noch Rilke ansprechen konnte. Ein kecker Satz, sicherlich. Aber Rilke war in der Lage, Ebenen und Räume anzusprechen, die sich nur erahnen lassen. Rilke und so viele andere Dichterinnen und Dichter, die konnten das.

Wenn mein Sohn was zu Grabe getragen hat, weil ein Fantasiefreund gestorben ist, dann ist da auch etwas gestorben. Diese unglaubliche Fähigkeit von kleinen Kindern - wenn wir sie ihnen lassen -, im Jetzt zu sein. Also da beneide ich jeden, der kleine Kinder hat. Das war so eine schöne Zeit, als meine Kinder klein waren. Heute ist es auch schön. Aber das war damals die glücklichste Zeit in meinem Leben.

Sie haben einmal gesagt, Sie hätten so ein besonderes Gefühl gegenüber Dieter Hildebrandt gehabt, weil der immer alles gewusst und alles richtig gemacht habe. Und das habe eine durchaus einschüchternde Wirkung auf sie gehabt.

Konstantin Wecker: (lacht) Nein, eingeschüchtert hat es mich nie. Das wurde falsch kolportiert oder ich habe es falsch gesagt. Eingeschüchtert hat er mich nie. Es hat mich allenfalls nur in einem Punkt etwas gehemmt: Wenn Dieter Hildebrandt bei mir im Konzert war, dann habe ich mich nicht getraut, witzig zu sein, weil ich dachte, das kann einfach nur der Dieter. So gut wie er kann ich es nie machen. Ich habe es ihm dann mal erzählt und er hat sich tot gelacht. Ansonsten, aber es stimmt schon, ich habe mich wahnsinnig gefreut, als ich, zehn Jahre, nachdem er mich gefördert hatte im Scheibenwischer, ihn endlich gefragt habe: "Sage mal, magst Du eigentlich meine Lieder?"

Eine mutige Frage.

Konstantin Wecker: Ja. Und dann hat er mich in seiner typischen Art lächelnd angeschaut und gesagt: "Konstantin, 'Genug ist nicht genug', da tanze ich, wenn ich das höre, im Wohnzimmer herum." Da war ich erleichtert.

Er war eine intellektuelle Größe, weil er ja nie angegeben hat und nie belehrend war. Während meiner Drogengeschichte hat er ein großes Herz gehabt und sagte zu mir, dass sie Dich verurteilen ist okay, denn andere werden auch verurteilt, warum sollst Du nicht verurteilt werden, als Prominenter. Aber dann sagte er und wiederholte das auch im Fernsehen: "Durch den Knast verliert man keinen Freund." Ich sollte ja beim Scheibenwischer auftreten und bin einen Tag vorher verhaftet worden.

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