"Nationalismus wird uns immer ins Elend führen"

Seite 4: Eigentlich hat die Konterrevolution gesiegt

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Wie geht es denn so mit dem neuen Heimatminister?

Konstantin Wecker: Ich habe schon das Gefühl, dass jetzt einige in der CSU genug von ihm haben. Vor kurzem habe ich wieder auf Kloster Banz gespielt. Die Hanns-Seidel-Stiftung ist ja eine reine CSU-Stiftung. Und da gibt es viele, die zu dieser Liberalitas Bavariae stehen. Es gibt Konservative in der CSU, die sind bekennend konservativ und auch neoliberal, aber sie haben ein demokratisches Grundverständnis und das wollen sie auch bewahren. Solche Konservativen respektiere ich, mit denen kann man zusammensitzen und mit denen kann man reden, diskutieren und sich auch gerne herzhaft streiten. Mit den Völkischen kann man nicht mehr zusammensitzen.

Das Völkische ist das eine, das andere ist aber bei Horst Seehofer, Boris Johnson oder Sebastian Kurz diese gewisse Schamlosigkeit in Bezug auf die eigene Karriere.

Konstantin Wecker: Natürlich Gewinnler. Gnadenlose Gewinnler.

Und wie geht man damit eigentlich um? Dieser Typus ist erfolgreich.

Konstantin Wecker: Eigentlich haben sie keinen Erfolg. Sie haben natürlich dadurch einen Erfolg, dass Teile der letzten CDU/CSU-Komödie ein abgekartetes Spiel waren, mit tragischem Hintergrund allerdings. Das einzige, was Seehofer tatsächlich zu interessieren scheint, ist, dass er Merkel weghaben will. Die hätte wiederum Seehofer einfach entlassen können. Ich bin Frau Merkel nicht politisch d'accord, aber mir hat einiges von ihr gefallen. Da waren Sachen, wie eben das "Wir schaffen das", das kam von ihr und aus ihrem Inneren.

Ansonsten ist die Politik - nun ja. Ich weiß ja noch, wie sie die Petra Kelly zerstört haben. Was habe ich die Petra Kelly geliebt, was für eine wunderbare Frau war das und was hat die damals auf die Beine gestellt. Die wollte eine andere Politik machen und ist dann von der eigenen Partei zerlegt worden.

Ich weiß genau, warum ich selbst niemals in die Politik gegangen bin, aber ich verurteile niemanden, der dies macht. Aber man sollte erkennen und sich darauf beschränken, was die Aufgabe als Künstler ist. Und die Aufgabe ist ganz bestimmt nicht die, diplomatisch zu sein. Man kann ja versuchen, das als Künstler zu sein, dann verliert man ein bestimmtes Publikum nicht. Aber das ist nicht die Aufgabe.

Wenn wir uns ein Wettrennen Schlagerstars gegen kritische Liedermacher vorstellen würden, dann würdige ich sagen, die Schlager liegen gerade ziemlich weit vorne.

Konstantin Wecker: Natürlich. Die Aufmerksamkeit, die mediale Bedeutung, klar. Wahrscheinlich aber auch in einem sportlichen Laufwettbewerb (lacht).

Ist das irgendwie Teil der Probleme, die wir gerade erörtert haben, und wenn ja, ist es ursächlich oder Auswirkung?

Konstantin Wecker: Es gab, glaube ich, nur einmal eine Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, das war in der Liedermacherzeit Anfang der 1980er, Ende der 1970er Jahre. Da gab es den Schlager, wir haben drüber gelacht, aber er hat nicht annähernd diese Publikumswirksamkeit gehabt. Bestimmte Publikumskreise, meistens waren es die älteren, die waren schon vorhanden, aber jetzt ist es wieder die Jugend, die den Schlager feiert. Interessanterweise mit einer gewissen Ironie, aber sie feiern ihn. Sie wollen schon ein bisschen Abstand nehmen von den Inhalten, aber sie wollen auch die Party.

So wie bei den ironisch getragenen Trachten.

Konstantin Wecker: Meine Frau zum Beispiel ist in den Achtzigern groß geworden als Teenie und das war eine ungeheuer politische Zeit. Die große Friedensbewegung und da ist man mit Liedermachern aufgewachsen. Viele, die das damals erlebt haben, sind auch heute noch in meinem Publikum. Aber das ist in den neunziger Jahren total gekippt. Das war ein Sieg des Neoliberalismus, eigentlich hat die Konterrevolution gesiegt.

Diese Konterrevolution hat lange Zeit drauf gewartet, sich mit Thinktanks vorbereitet, und in den neunziger Jahren haben sie zugeschlagen und der Jugend ganz bewusst und gezielt eingeredet, dass es viel wichtiger ist, tolle Markenkleidung zu tragen, als auf eine Demo zu gehen. Dann war Demo plötzlich peinlich. Es war nicht peinlich, im Laden in der Schlange zu stehen, um sich die dreizehnte Jeans zu kaufen.

Und der Schlager hat mitgemacht.

Konstantin Wecker: Der Schlager hat davon profitiert. Erstmal gäbe es gegen so einen Schlager gar nicht so viel zu sagen. Ich kenne ja noch die ganzen Schlagerschreiber von früher, die haben fette GEMA-Gebühren verdient und waren halt lustig drauf. (lacht) Aber es war kein Politikum damals. Heute ist der Schlager eigentlich ein Politikum.

Etwas ist interessant und deswegen bin ich ein bisschen weniger ängstlich. Vor 1933 gab es ja eine Ballung von Genies. Zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg gab es all diese grandiose Dichter, Musiker und Komponisten, die sogar teilweise sehr populär waren. Selbst die Schlager waren damals gute Schlager. Viel kam von jüdischen Komponisten und Sängern, die dann, wie Maurus Pacher sagte, "zum großen Geschenk Hitlers an Hollywood wurden". Großartige Autorinnen und Autoren, die Räterepublik, man denke nur an Kurt Eisner, Ernst Toller. Erich Mühsam, Egon Friedell, Brecht, Mascha Kaleko - was war das für eine Zeit!

Im Nachhinein könnte man fast sagen, das war ein letztes großes Aufbäumen großer Geister, bevor dann die Niedertracht ihren Einzug hielt. Dieses Aufbäumen vermisse ich im Moment (lacht), und deswegen hoffe ich, dass die Niedertracht nicht zu schrecklich sein wird.

Das ist eine Wette, aber hoffentlich stimmt es.

Dieser Interview wurde anlässlich von Konstantin Weckers Tournee im beschaulichen Kärntner Örtchen Finkenstein geführt. Das komplette Interview erscheint in Kürze auf skug.at.

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