Nato und Russland: Kommt nach dem Ukraine-Krieg der Showdown im Schwarzen Meer?
Seite 2: Wirtschaftliche Interessen im Schwarzmeerraum
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Unter den russischen Interessen im Schwarzmeerraum spielen nicht zuletzt auch ökonomische Interessen eine wichtige Rolle. So handelt es sich beispielsweise bei dem Handelshafen Novorossijsk mit einem Warenumschlag von über 120 Mio. t im Jahr um den wichtigsten russischen Handelshafen, und das Schwarze Meer spielt eine zentrale Rolle für die russische Anbindung an den Welthandel.
In ihrer Analyse der maritimen Strategie Russlands im Schwarzen Meer weist Marion Kipiani darauf hin, dass die Nutzung maritimer Ressourcen, unter anderem die Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen sowie der Bau von Unterwasserpipelines von großer Bedeutung für die russische Wirtschaft seien, da der Handel mit Energieressourcen wie Öl und Gas knapp 60 Prozent der gesamten russischen Exporteinnahmen ausmache.
In einem Artikel von August 2022 thematisierte auch James Jay Carafano die Bedeutung des Schwarzen Meeres für die Durchsetzung russischer Interessen, die durch die Blockade ukrainischer Häfen besonders deutlich geworden sei.
Diese habe aufgezeigt, dass Russland durch seine militärische Präsenz im Schwarzen Meer in der Lage sei, die Lebensmittelversorgung weltweit erheblich zu beeinträchtigen, was die internationale Aufmerksamkeit auf die Sicherheit im Schwarzen Meer erhöht habe.
Gescheiterte Verhandlungen
Nach einem Interview von Dawyd Arachamija, der bei den Istanbul-Gesprächen die ukrainische Verhandlungsdelegation leitete, wurde am 24. November 2023 öffentlich, dass Russland bei den Istanbul-Verhandlungen Ende März 2022 zu einem Rückzug seiner Truppen im Austausch gegen eine Neutralität der Ukraine bereit gewesen wäre.
Auch in Bezug auf eine Deeskalation in der Schwarzmeerregion hätte es im Dezember 2021 womöglich noch Verhandlungsmöglichkeiten gegeben. So ging beispielsweise aus einem Vertragsentwurf des russischen Außenministeriums vom 17. Dezember 2021 deutlich hervor, dass es für eine Deeskalation in der Schwarzmeerregion aus russischer Perspektive nötig sei, dass die sukzessive Aufrüstung und Eingliederung weiterer osteuropäischer Staaten in die Nato, insbesondere der Ukraine, sowie die dauerhafte, aber auch die temporär im Zuge immer häufigerer Manöver erfolgende Ansammlung massiver Nato-Truppenverbände an seinen Grenzen zu beenden und außerdem keine neuen Mittelstreckenraketen in Osteuropa zu stationieren.
Darin heißt es unter anderem: "Die Vertragsparteien setzen auf Dialog und Interaktion zur Verbesserung von Mechanismen zur Verhinderung von Zwischenfällen auf und über der Hohen See – vor allem im Baltikum und in der Schwarzmeerregion."
In ebendiesem Dokument wurde des weiteren von russischer Seite kritisiert, dass es durch die geplante Eingliederung der Ukraine in die Nato ermöglicht werde, Raketen mit minimaler Flugzeit nach Zentralrussland und andere destabilisierende Waffen in der Ukraine zu stationieren.
Gravitationszentrum für die Zukunft Europas?
Im Oktober 2023 wurde der Parlamentarischen Versammlung der Nato von Lord Mark Lancester ein Report mit dem Titel "Troubled waters - How Russia’s war in Ukraine changes Black Sea Security" vorgelegt, in dem die Schwarzmeerregion als "increasingly dangerous strategic fault line between Nato and Russia" bezeichnet wird.
Darin beschreibt Lancester den Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine als Wendepunkt im Hinblick auf die strategische Bewertung der Schwarzmeerregion.
Wie vor ihm Ben Hodges, Marion Kipiani und James Jay Carafano fordert Lancester eine verstärkte Präsenz der Nato im Schwarzmeerraum und betont, dass die Bedeutung des Schwarzen Meeres für die europäische Sicherheit in den kommenden Jahren stark zunehmen werde.
Auch ein im Dezember 2023 veröffentlichtes Strategiepapier der Atlantic Council Task Force on Black Sea Security und ein im Juni 2023 erschienener Report der Heritage Foundation vertreten diese Auffassung und thematisieren teilweise erstaunlich offen, dass ein Ende des Krieges in der Ukraine durch eine Verhandlungslösung wahrscheinlich nicht nur die Krim und/oder den Donbass in russischer Hand belassen, sondern auch wirtschaftliche Gewinne verhindern und eine instabile Schwarzmeerregion aufrechterhalten würde, die den russischen Interessen dienen, aber den westlichen Interessen zuwiderlaufen würde.
Der Report der Heritage Foundation geht so weit, das Schwarze Meer als "Gravitationszentrum für die Zukunft Europas" zu bezeichnen und postuliert, dass es von Maßnahmen bald abhänge, ob sich die Zukunft zum Guten oder zum Schlechten wende, weswegen die USA und ihren Verbündeten ihre wirtschaftlich-militärische Präsenz in der Schwarzmeerregion zu verstärken sollten.