Nato und Russland: Wie groß ist die Kriegsgefahr?
Seite 2: Ist die Minsk-Diplomatie am Ende?
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Zudem scheint die Diplomatie zwischen Deutschland und Russland am Ende zu sein. Am 17. November veröffentlichte das russische Außenministerium die Korrespondenz zwischen Moskau, Paris und Berlin zur Vorbereitung des nächsten Treffens im Normandie-Format. Die Publikation solcher Briefe ist in der Diplomatie absolut unüblich.
Moskau sah – angesichts ständiger Verfälschungen seiner Positionen zum Krieg im Donbass in den großen deutschen Medien – offenbar keine andere Möglichkeit mehr, seine tatsächliche Position in der EU publik zu machen.
Moskau erklärte, ein weiteres Normandie-Treffen mache nur Sinn, wenn Kiew bereit sei, sich mit Vertretern der "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk zu treffen, so wie es im Minsker Abkommen festgeschrieben wurde.
Aber Berlin und Paris wollen in dieser Frage keinen Druck auf Kiew ausüben. Kiew will das Minsker Abkommen nachverhandeln, was von den "Volksrepubliken" und Moskau scharf kritisiert wird.
Nach dem ukrainischen Truppenaufmarsch im Donbass im Mai dieses Jahres erklärte Putin, dass man einem Angriff auf die beiden Gebiete nicht tatenlos zusehen werde. Die Bereitschaft, die rund 800.000 Menschen mit einem russischen Pass in den beiden "Volksrepubliken" im Falle eines ukrainischen Angriffs zu schützen, wurde in den vergangenen Wochen von hohen russischen Politikern und auch vom russischen Generalstab bekräftigt.
In Moskau heißt es, man sei bereit, den Donbass zu besetzen, wenn die ukrainische Armee dort angreift oder wenn die USA Raketen in der Ukraine aufstellen.
Dass es in der Ukraine tausende westlicher Militärberatern gibt – nach russischen Angaben 10.000 – kommt in den deutschen Medien kaum vor. Ebenso wie die gefährliche Rolle rechtsradikaler Bataillone in der Ukraine und die Militarisierung der ukrainischen Gesellschaft. Oder der am 26. Oktober durchgeführte erste Angriff einer ukrainischen Bayraktar-Kampfdrohne türkischer Produktion auf eine Stellung der "Volksrepublik Donezk".
Kiew versucht – mit Deckung der USA – Russland aus der Reserve zu locken und russische militärische Kräfte zu binden. Es ist ein gefährliches Spiel. Denn die Truppenverlegungen in der Ukraine und die ständigen Nato-Manöver im Schwarzen Meer erhöhen die Gefahr einer ungewollten Konfrontation.
In der russischen Führung hält man es für möglich, dass die Nato in der Ukraine eine Provokation vorbereitet. Verteidigungsminister Sergej Schojgu erklärte am 21. Dezember auf einer Versammlung hoher Militärs, 120 Berater einer US-Militärfirma würden in Orten nahe der "Volksrepublik Donezk" – in Awdejewka und Priasowsk – Stellungen für Angriffe von ukrainische Soldaten auf das Gebiet vorbereiten. In den Orten Awdejewka und Krasni Liman seien Behälter mit unbekannten chemischen Stoffen gelagert worden.
Russland immer noch stark abhängig von Importen
Russland hat zwar seit 2014 seine Unabhängigkeit im Bereich der Lebensmittelproduktion gestärkt und ist auf dem Weltmarkt ein wichtiger Getreideexporteur. Aber bei den Waren des täglichen Bedarfs ist man nach wie vor stark auf ausländische Waren angewiesen.
Experten der Moskauer Higher School of Economics haben errechnet, dass Russland im Bereich der Waren des täglichen Bedarfs zu 75 Prozent von Importen aus dem Ausland abhängig ist. Lebensmittel, Autos und Benzin flossen in die Untersuchung nicht mit ein.
Die höchste Abhängigkeit Russlands besteht bei Auto-Ersatzteilen mit 95 Prozent, Kinderspielzeug (92 Prozent), Schuhen (87 Prozent), Telekommunikation (86 Prozent), Kleidung (82 Prozent), Fernseher (78 Prozent). Der Anteil der russischen Mikroelektronik bei in Russland verkauften Waren liegt heute bei zehn Prozent.
Was ist die Ursache für diese katastrophale Situation? Während der Schocktherapie unter Präsident Boris Jelzin in den 1990er-Jahren sind nicht nur ganze Industriebranchen, sondern auch ganze Ausbildungszweige und wissenschaftliche Institute zusammengebrochen und nie wieder in Betrieb genommen worden. Es ist heute billiger, ausländische Handys und Bauteile für Fernseher in Asien zu kaufen, als selbst neue Fabriken zu bauen.
Russland hat sich mit dem Beginn der Präsidentschaft von Wladimir Putin im Jahre 2000 auf eine internationale Kooperation im Bereich des Flugzeugbaus eingelassen, ohne gleichzeitig eigene Standbeine im Bereich der Zivilluftfahrt zu entwickeln.
Das erste kleine nachsowjetische Mittelstreckenflugzeug, Suchoi Superjet 100, das 2011 den Flugbetrieb aufnahm, besteht zu einem großen Teil aus ausländischen Komponenten.
Der Bau des ersten großen nachsowjetischen Mittelstreckenflugzeugs, MC 21, geriet 2018 in Gefahr, weil die USA gegen eine russische Firma, die Material für die Herstellung von Verbundstoff für die Flügel des MC-21-Liners in den USA kaufen wollte, Sanktionen verhängte.
Russland musste in aller Eile einen eigenen Verbundstoff und auch ein eigenes Triebwerk für das neue Mittelstreckenflugzeug entwickeln. Denn eigentlich sollte die MC 21 mit einem US-amerikanischen Triebwerk fliegen.
Die Serienfertigung der MC 21 soll im nächsten Jahr beginnen, wurde aber schon mehrmals verschoben. Die russische Zivilluftfahrt fliegt vorwiegend mit geleasten Flugzeugen aus westlichen Staaten.
Die russische Regierung ist stolz auf die Digitalisierung in allen Bereichen des russischen Lebens. Allerdings steht das Prestigeprojekt "Rosnano", eine 2011 unter Leitung von Anatoli Tschubais gegründete staatliche Aktiengesellschaft, vor dem Bankrott.
Rosnano hatte 97 Fabriken und Entwicklungszentren bei der Erforschung und Produktion von Produkten aus dem Bereich der Nanotechnologie großzügig mit staatlich gesicherten Krediten unterstützt. Doch Mitte November verbot die Moskauer Börse überraschend den Handel mit den Wertpapieren von Rosnano, denn das Unternehmen kann seine Schulden nicht bezahlen.
Die russische Wirtschafts- und Finanzpolitik wird heute von Wirtschaftsliberalen bestimmt. Es gibt jedoch auch eine linksnationalistische Strömung, der sich für eine starke Sozialpolitik, eine aktive staatliche Investitionspolitik und in einigen Wirtschaftsbereichen für die Wiedereinführung von Planwirtschaft eintritt.
Zu dem linksnationalistischen Sektor gehört ein Kreis von Ökonomen und Unternehmern, die sich im "Moskauer Wirtschaftsforum" zusammengeschlossen haben. Dieser Expertenkreis fordert von der Zentralbank die Senkung des Leitzinses von zurzeit 8,5 Prozent, denn dieser bedeute das Aus für kleine und mittlere Unternehmen. Außerdem fordert das Forum die Erhöhung der Renten. Finanziert werden soll diese Erhöhung mit den üppigen Finanzreserven.