Nauru: Die Kehrseite der Flüchtlingspolitik Australiens
Geleakte Dokumente berichten von sexuellen Übergriffen, Gewalt, Selbstverletzungen und Suizidversuchen im Flüchtlingslager der Pazifik-Insel
Auf der Pazifik-Insel Nauru ist man nicht gerade offen für Besuche von Journalisten oder UN-Emissären. Journalisten müssen 8.000 US-Dollar für ein Visum berappen, die Genehmigung zieht sich hin. UN-Vertretern wird die Einreise verweigert oder so erschwert, dass sie aufgeben.
Zu lesen ist das in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International von Anfang August dieses Jahres über die Zustände in dem Flüchtlingsaufnahmelager in Nauru. Kapitelüberschriften lauten "Schweigemauer" und "Angriffe, sexuelle Gewalt und Straflosigkeit".
Beides sagt schon einiges aus über die Kehrseite des australischen Modells der Flüchtlingszurückweisung. Bootsflüchtlinge werden systematisch abgefangen und zur Umkehr gezwungen. Nicht zurückgewiesene Flüchtlinge kommen in Auffanglager auf den Inseln Nauru und Manus (im Norden von Papua-Neuguinea). Die Bedingungen im Flüchtlingslager sind alles andere als menschenwürdig, so der Bericht von Amnesty International.
Australisches Modell zur Nachahmung empfohlen
Im Frühjahr 2015 empfahl der damalige australische Ministerpräsident Tony Abbott seine Flüchtlingspolitik der EU zur Nachahmung. Als im Herbst letzten Jahres der Flüchtlingsandrang über die Balkan-Route hierzulande für hitzige Reaktionen sorgte, wurde die australische No-Lösung in vielen Diskussionsbeiträgen als nachahmenswertes Modell gutgeheißen.
Als prominentester Befürworter unter den Politikern machte sich der österreichische Außenminister Kurz Anfang Juni dieses Jahres für eine Insellösung der Flüchtlingsfrage im Mittelmeer nach australischem Modell stark (EU-Flüchtlingspolitik: Kurz für das australische Insel-Modell). Kurz darauf, so berichtete der Standard später, unterrichtete der österreichische Botschafter in Australien, Helmut Böck, den Chef der Diplomatie darüber, wie verheerend die Zustände in den Internierungslagern auf Nauru und Manus Island seien.
Seither war von Kurz öffentlich nichts mehr deutlich Vernehmbares zum nachahmenswerten Modell Australiens zu hören. Dagegen mehrten sich in Österreich die Berichte über die menschenverachtende Behandlung der Flüchtlinge, Auslöser war der eingangs genannte Amnesty-Bericht.
Vor allem Kinder sind Opfer von Übergriffen
Es war nicht der erste kritische Bericht über die Zustände, es gibt eine ganze Reihe davon, schreibt der Guardian heute und legt nach: 2.000 Dokumente, Berichte mit insgesamt 8.000 Seiten, angefertigt vom Personal des Flüchtlingslagers in Nauru (Sicherheitspersonal, aber auch Sozialarbeiter), die Zwischenfälle dokumentieren: Schläge, sexuelle Übergriffe, Erpressungen, Traumata der Flüchtlinge, die dort trotz prinzipiell guter Aussichten auf Asylbewilligung oft bis zu drei Jahre festsitzen.
Laut den Reports sind vor allem Kinder Opfer von Übergriffen, auch sexueller Natur. Gewalt wird vom Sicherheitspersonal, von Sozialarbeitern ausgeübt, aber auch von Flüchtlingen untereinander. Die Atmosphäre führe dazu, dass manche Flüchtlinge am Punkt des Durchdrehens sind bis hin zu Selbstverletzungen und Suizidversuchen.
Die vom Guardian veröffentlichten internen Dokumente decken den Zeitraum zwischen 2013 und 2015 ab. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR bemerkte in seiner Reaktion, dass sich die Berichte über die Zwischenfälle in dem Flüchtlingslager mit dem decken, worüber man seit längerem Bedenken habe: die psychische Gesundheit und die generellen Lebensbedingungen der Flüchtlinge und Asylbewerber auf Nauru.
Die Geschäftsbeziehungen von Ferrovial
Die australische Regierung kündigte Untersuchungen an. Übel sind die sich häufenden Nachrichten über die desolaten Zustände auch für den privaten Betreiber der Lager in Nauru und Manus, Broadspectrum, früher Transfield Services. Man wollte schon länger aus dem Vertrag aussteigen. Stattdessen pochte die australische Regierung auf vertragliche Vereinbarungen, einschließlich der Verlängerung bis Oktober 2017.
Der Besitzer der Mehrheitsanteile von Broadspectrum ist seit Mai das spanische Bauunternehmen Ferrovial. Damit hat man den Vertrag übernommen und den schlechten Ruf, der damit zusammenhängt.
Das australischen Human Rights Law Centre (HRLC) und die Menschenrechtsorganisation No Business in Abuse (NBIA) haben laut einem Bericht des österreichischen Standard, "Finanzhäuser wie Deutsche Bank, RBS, HSBC, Goldman Sachs, BNP Paribas und Citigroup aufgefordert, jegliche Geschäftsbeziehungen mit Ferrovial einzustellen, bis sich das Unternehmen aus dem Lagergeschäft zurückziehe und die Asylsuchenden nach Australien gebracht werden".