"Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus"

Seite 2: "Wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen und nicht damit, wie wir uns die Welt wünschen"

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Nach ihrem Buch wollte der Westen den Islam für seine eigenen politischen Zwecke benutzen, wurde dabei aber unter der Hand selbst instrumentalisiert. Das Vorhaben, über die Moschee in München Einfluss auf die hiesigen Muslime zu gewinnen, um sie dann für den Kampf gegen die Sowjetunion einzusetzen, bescherte der ägyptischen Muslimbruderschaft eine unerhoffte Machtbasis in Europa. Wie kam denn das Zustande?

Ian Johnson: Als die USA begann, die Bruderschaft zu umwerben, war diese an ihrem Tiefpunkt angelangt, sie war verbannt worden und verfügte über keinerlei Stützpunkte mehr. Mit den USA bekam einer ihrer zentralen Führungskräfte, Said Ramadan, einen starken Bündnispartner. Er traf den US-Präsidenten und bereiste die muslimische Welt als Kopf der "Moscheebaukommission", der legalen Vorgängerinstiution der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands.

Das war natürlich viel Antrieb für die Muslimbruderschaft in dieser schwierigen Zeit. Vergessen wir nicht, dass dies alles vor der Masseneinwanderung sogenannter "Gastarbeiter" nach Deutschland in den 60er und 70er Jahren geschah und als viele Muslime einwanderten war die Muslimbruderschaft bereits - dank der CIA - eine gut etablierte Institution. Dies half natürlich die politischen Strukturen des europäischen Islam aufzubauen, wie wir ihn heute kennen.

Sie schreiben dass die Aktionen gegen Amerika bedeutend mehr von europäischen denn von amerikanischen Muslimen ausgehen. Warum?

Ian Johnson: Beziehen sie sich gerade auf 9/11? Ich denke, der Grund liegt darin, dass die europäischen Muslime einfach mehr radikalisiert sind als die in Amerika. Hierfür gibt es wiederum viele Gründe, zum Beispiel die verschiedenen Einwanderungsmuster. Die muslimischen Einwanderer in die USA waren besser ausgebildet als die nach Europa.

Das brachte in Europa mit sich, dass die dort von der Gesellschaft isolierten Muslime empfänglicher für die Rhetorik der Muslimbruderschaft waren. Aber vielleicht hat in den USA ein wenig auch das Glück eine Rolle gespielt. Die Muslimbruderschaft besitzt nämlich auch in den USA lang zurückreichende Wurzeln und es möglich dass deren Einfluss von den Muslimen in den USA selbst eingedämmt wurden.

Hätte man aus diesem gescheiterten Versuch nicht schon beizeiten lernen können, dass die Unterstützung radikalislamischer Gruppen (wie später der Taliban) für den Westen selbst gefährlich werden könnte?

Ian Johnson: Ja, wir hätten viel aus diesem Kapitel der Geschichte lernen können, aber typischerweise haben wir es nicht. Demokratien verfügen anscheinend nur über kein sehr gutes Langzeitgedächtnis und sind leicht abzulenken. Die Amerikaner waren bald in Vietnam zugange und West-Deutschland wurde von der RAF erschüttert. Was vorher war, geriet in Vergessenheit.

Sind islamistische Gruppen ihrer Ansicht nach immer noch Instrumentalisierungsversuchen der CIA ausgesetzt?

Ian Johnson: Ja, ich denke schon und nicht nur von Seiten der CIA. Denn wir können die ganze Zeit über Politiker beobachten, die sich an islamistische Gruppen wenden, damit diese für sie alle möglichen Probleme wie Jugendkriminalität, Arbeitslosigkeit, geringe Bildung in den migrantischen Communities et cetera lösen.

Viele dieser Probleme sind nicht religiös verursacht, aber wir wenden uns zu deren Lösung an die Religion und suchen hier den Dialog mit religiösen Gruppen. Dabei übernehmen wir die Rhetorik von Islamisten wie der Muslimbruderschaft: Denn wir akzeptieren, dass der Islam die Lösung ist.

Welche Rolle spielt die Muslimbruderschaft in den Aufständen in den arabischen Ländern? Wie sollte der Westen auch angesichts der jüngsten Ereignisse in Nordafrika mit dem Muslimbrüdern umgehen?

Ian Johnson: Die Muslimbruderschaft ist von der Entwicklung sicherlich überrascht worden. Sie ging immer noch von dem Grundsatz aus, als oppositionelle Gruppe in autoritären Gesellschaften zu operieren, was bedeutet, ihre Mitglieder mussten achtsam agieren und vorsichtig organisieren und die Bereitschaft mitbringen in Gefängnissen eine Leidenszeit auf sich zu nehmen. Das sind zwar heroische Taktiken aber in bisschen langsam im Vergleich zu den Umstürzen, die Nord-Afrika gerade erlebt.

Andererseits gibt es die Muslimbrüderschaft seit 83 Jahren. Es ist die bestorganisierte Gruppe in Ägypten, die kadermäßig aufgebaut und in der Lage ist eine Wahlkampagne durchzuführen. Es ist eine herausragende Kraft in Ägypten. Der Westen wird sich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Denn wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen und nicht damit, wie wir uns die Welt wünschen. Aber wir sollten uns nicht einbilden, es dabei mit Freunden oder Partnern zu tun zu haben. Im besten Falle werden sie schwierige und unangenehme Nachbarn in einer problembeladenen Zone der Welt sein.

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