Nepal: Ein Jahr zum Vergessen

Seite 3: Der Bürger stimmt mit den Füßen ab

Wie die Bürger und Wähler dies seit nun über drei Jahrzehnten mehr oder weniger klaglos hinnehmen und die oft desaströsen Konsequenzen ertragen, ist auch dem Autor zum Großteil noch immer ein Rätsel. Dass die Nepalesen, wie der Autor an anderer Stelle erwähnte, wie jedes andere Volk genau die Regierung haben, die sie verdienen, erklärt das Phänomen doch nur teilweise.

In Pakistan und Indien landen korrupte Politiker und Bürokraten immer häufiger im Gefängnis (ganz zu schweigen von China) und dort ist zumindest die öffentliche Karriere mittlerweile beendet, wenn einem Volksvertreter das Etikett "korrupt" anhaftet. In Nepal verschwinden solche Personen maximal zwei Jahre in der Versenkung und tauchen dann ungestraft wieder auf.

Gründe könnten sein, dass Nepals Bürger selbst 1990 keine großen Hoffnungen in die Demokratie setzten, nie in irgendeiner Form von Politik und Staat profitierten, bis heute ausschließlich das eigene verwandtschaftliche Netzwerk zur Sicherheit und Lebensführung besitzen und deshalb immer häufiger dem politischen Betrieb mit völligem Desinteresse begegnen … wer wollte ihnen das verübeln?

Tatsache ist, dass durch den riesigen Fremdarbeiterboom im Persischen Golf, Malaysia, Südkorea und mittlerweile sogar Japan, an dem so gut wie jede Familie Anteil hat, einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung herzlich egal sein kann, was die Neta (nep. Politiker) fabrizieren.

Politik ist eben nicht mehr einer der wenigen Wege, um der Armut zu entkommen und wenn man Angebote zu Bildung und Gesundheit nicht vom Staat bekommt, dann kauft man sie sich eben auf dem freien Markt. Die Bevölkerung hat momentan zumindest keine Option, das politische System zu reformieren. Sie kann sich ihm nur so weit als möglich entziehen und dessen Einfluss aus so vielen Lebenssphären wie möglich zurückdrängen. Eine Option, die das System dankend anzunehmen scheint.

Privat und staatlich

Das Resultat dieses Verhältnisses vom Staat zu seiner Gesellschaft fällt früh ins Auge. In Kathmandu sieht man nur noch nagelneue und immer größere Motorräder, fahren müssen sie jedoch auf miserablen Straßen und stecken immer häufiger im Stau. Immer mehr Häuser schießen aus dem Boden, mit den überflüssigsten Accessoires und Schnörkeln, aber Kanalisation und Wasserversorgung sind mangelhaft bis nicht vorhanden.

Privateigentum ist zumeist tadellos, Staatseigentum verfallen und verwahrlost. Am Ende steht eine Stadt wie Kathmandu, die vor Überbevölkerung und Fehlplanung nicht mehr die Funktion und damit den Daseinszweck einer Stadt erfüllt und wo die Umweltbelastungen zu den höchsten weltweit zählen.

Es ist die für Südasien typische Abwärtsspirale: Weil das Individuum vom Staat keine Hilfe zu erwarten hat, konzentriert es alle Energie und Aktivitäten auf sein Netzwerk, die Familie, die Kaste, den Clan, den Stamm. Weil dies alle Individuen tun, fühlt sich niemand dem Staat gegenüber verantwortlich und nimmt diesen im besten Fall als Ressource zur Ausbeutung war, in der Regel aber eher gleich als Gegner.

Was wäre wenn …?

Man kann sich kaum vorstellen, wie es in Nepal aussähe, wenn es eine Regierung vom Kaliber Sri Lankas, Thailands oder Malaysias gäbe, um ein paar Länder zu nennen, die nach Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur und China wohl als nächste den Sprung in die erste Liga schaffen werden.

Die größte Tragik ist, dass es die Politikelite gar nicht mehr nötig hätte, sich so zu verhalten, wie sie es tut. Die Möglichkeiten und der Kuchen sind in den letzten 15 Jahren so angewachsen, dass sehr wahrscheinlich jeder Nepalese ein erträgliches Auskommen haben könnte. Eine fähige Regierung in Verbindung mit einer der jüngsten und der dynamischsten Bevölkerung in ganz Südasien würde den Kuchen noch einmal deutlich vergrößern.

Viele Nepalesen geben sich solchen Träumereien nicht hin, bleiben aber allen Engpässen zum Trotz unverbesserliche Optimisten. Und zurück zur Zeit vor 1990 will niemand.