Nerds sind auch nur Menschen

Die Sitcom "The Big Bang Theory" erhebt das Nerd-Sein zur Subkultur - und hat doch kaum mehr als die üblichen Ressentiments für sie übrig.

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Es könnte so schön sein: "The Big Bang Theory" - konzipiert von Chuck Lorre und überhaupt mit einem guten Teil des "Roseanne"-Casts besetzt - setzt Spezialwissen voraus: "This is where I kick back and relax with a couple of beers", sagt einer der Protagonisten zur hübschen neuen Nachbarin Penny, und zeigt ihr währenddessen seine liebste "World of Warcraft"-Taverne. Eine Gesellschaft voller Computer- und Videospieler, Angehörige der "Generation Internet" vielleicht, sicher aber eingefleischte Naturwissenschaftler: Whiteboards voller mathematischer und physikalischer Formeln schmücken die Sets der Serie, und überhaupt sind Mathe, Chemie, Biologie und eben ganz viel theoretische und Quantenphysik die hauptsächlichen Gesprächsthemen.

Mit XKCD gibt es einen Webcomic, der meisterhaft vormacht, woran sich "The Big Bang Theory" versucht. Er nutzt mit seinem subkulturellen Humor dieses Spezialwissen, was eigentlich einen Großteil des möglichen Publikums ausschließen sollte, und bricht genau diesen Vorteil ironisch durch wiederholte Konfrontationen mit einer unwissenden Außenwelt, aus der die Subkultur aber schließlich als absurder Sieger hervorgeht. Der Nerd als elitär-eigenbrötlerischer Held, zwar vorerst nur seiner eigenen Welt, aber eben immer auch in den Durchschnitt überlappend.

Gleich in der ersten Folge von "The Big Bang Theory" erzählt Sheldon - der überzeichnetste der Charaktere - von einem physikalischen Paradox, und auf das "what's your point?" seines Mitbewohners Leonard meint er trocken und ernst: "Nothing, I just thought, this would be a good idea for a T-shirt." Später dann, in einer quer durch die Serie unzählig wiederholten und natürlich immergleichen Pointe, spricht er mit der ungebildeten (aber natürlich herzensguten) Nachbarin und bedient sich dabei eines exaltierten Fachvokabulars, das sie nur mit einem verständnislosen und meist sarkastischem Kommentar quittiert.

Der (Wissenschafts-)Nerd, von dessen Typ "The Big Bang Theory" gleich fünf lediglich in Details unterscheidbare Figuren benutzt, gerät hier stets zur Lachnummer, der Blick auf ihn ist immer nur eine Außenansicht. Von der Träumerei des Geeks als - wenigstens selbstzufriedener - Held ist die Serie weit entfernt.

Im Gegenteil: Die geistige Überlegenheit der Protagonisten trifft auf das profunde Misstrauen der Serienautoren. Das dargestellte und immer auch ein bisschen hämisch belächelte Fachidiotentum der Nicht-Helden geht natürlich so weit, dass selbst die Montage einer IKEA-Fernsehbank sie vor nur mit komplizierten Tech-Gadgets lösbare Probleme stellt. Konfrontiert mit einem rein physischen Hindernis (eine schwere Kiste am Fuß einer Treppe, eine verschlossene Haustür oder Pennys muskulöser Ex-Freund) wird die "the mind is superior to the body"-Phrase schließlich zum blanken Hohn.

"The Big Bang Theory" solidarisiert sich mit seinen Protagonisten höchstens auf einer emotionalen Ebene (und selbst dafür taugt eigentlich auch nur einer der Charaktere), erlaubt ihnen aber nicht, zu positiven Identifikationsfiguren zu werden. Ihr Lebenswandel zwischen Physik, "Blogosphere" und Actionfiguren ist nie Ziel, sondern stets nur Hindernis.

Vielmehr braucht es den Außenseiter in Form des All-American-Girls Penny, um den Nerds mal "richtiges Leben" zu zeigen. Nicht nur erklärt sie ihnen stets "soziale Konventionen" (O-Ton Sheldon über Bräuche und schlichtweg Manieren wie Geburtstagsgeschenke oder einem Freund Trost zu spenden), ihr Charakter dekonstruiert sogar den gepflegten Elitarismus der Hauptfiguren: So braucht die Gruppe in einer Folge einen vierten Mitspieler, um ein zwei-gegen-zwei-Match "Halo 3" zu spielen - und lädt kurzerhand Penny dazu ein. "No one can be this attractive and that good at a videogame", lautet Sheldons entsetzter Kommentar nach dem Spiel, quittiert vom Sitcom-typischen Publikumslachen. Immerhin gestehen Lorre und seine Autoren den Charakteren wenigstens ihre Individualität zu, wenn sie auch nie einen Hehl daraus machen, diese für fehlgeleitet zu halten. Leonard darf seine "collectibles" - "Herr-der-Ringe"-Sammlerfiguren, Schwert-Nachbildungen, usw. - behalten, denn, so die altkluge Penny: Sie seien es, die seine Person ausmachen.

Auf der anderen Seite übt "The Big Bang Theory" in seiner stark reduzierten Ästhetik einer typischen Sitcom der 90er Jahre - wenige statische Settings, Publikumslacher, bühnenhafte Inszenierung - einen archaischen Charme aus. Während ein komplexer Drama-Comedy-Hybrid wie "Scrubs" seine eigenen Genre-Wurzeln inszenatorisch und inhaltlich ständig hinterfragt und neu konstruiert, ist die einfache Direktheit der "Big Bang Theory" mindestens eine willkommene Abwechslung. Die Figurenkonstellation besteht aus einer eingeschworenen Gesellschaft, der Humor entsteht aus ihrer Konfrontation mit Konventionen und ihrer Umwelt, das machten schon "Eine schrecklich nette Familie", "Friends" oder "Roseanne" kaum anders.

Vor allem die zuletzt erwähnte Serie - für die Chuck Lorre ebenfalls als Autor tätig war - zeichnete sich dadurch aus, sich trotz ästhetischer Gemeinsamkeiten von der Sitcom-Konkurrenz durch überraschend ernste Themen und - gerade in den letzten Staffeln - einen übergreifenden Handlungsbogen abzuheben. Gleichzeitig verstand es "Roseanne" aber, seine Protagonisten trotz ihrer gesellschaftlichen Abseitigkeit zu Helden ihrer eigenen Probleme werden zu lassen, während auswärtige Hilfe stets eher neue Probleme brachte. Roseanne träumte von einem eigenen Diner, und verwirklichte sich diesen Traum schließlich mit der "Lanford Lunch Box", kaum mehr als einer etwas besseren Dönerbude. Die Nerds in "The Big Bang Theory" träumen vom Nobelpreis, doch falls Sheldon ihn in einer späteren Staffel jemals gewinnen sollte, so ist die Genugtuung für das Publikum eine andere. Die Big-Bang-Theoretiker sind keine Helden, und sie können auch keine werden. Worin sich "Roseanne" auszeichnete, genau daran scheitert "The Big Bang Theory".