Neue Drohkulisse: Plant Nordkoreas Kim einen Überraschungsangriff auf den Süden?
- Neue Drohkulisse: Plant Nordkoreas Kim einen Überraschungsangriff auf den Süden?
- Siehe Hamas, siehe Putin: Vor Wunschdenken in Acht nehmen
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Staatschef Kim Jong-un ist angriffslustiger denn je. Verfassungsänderung, Raketenstarts, Monumenten-Zerstörung. Warum die Lage ernst ist. Gastbeitrag.
Der Koreakrieg endete vor mehr als 70 Jahren, und seitdem herrscht auf der koreanischen Halbinsel ein angespannter Frieden.
Die beiden Koreas haben mit Artillerie aufeinander geschossen, sich auf wirtschaftlichem und diplomatischem Gebiet bekämpft und sogar heimlich Spione in das Gebiet des jeweils anderen entsandt.
Grenzen scheinen nicht mehr unantastbar
Die Drohungen mit einer Wiederaufnahme des Konflikts, die in den letzten Jahren unverhältnismäßig oft von Nordkorea kamen, waren jedoch rhetorischer Natur. Die Schlagkraft des südkoreanischen Militärs, das durch einen US-Verteidigungspakt unterstützt wird, hat Pjöngjang abgeschreckt.
Die schiere Zahl der Soldaten der nordkoreanischen Armee, die über ein kleines, aber einsatzbereites Atomwaffenarsenal verfügt, hat wiederum Seoul abgeschreckt.
Aber die Grenzen scheinen nicht mehr ganz so unantastbar zu sein wie früher. Russland ist in die Ukraine einmarschiert, Israel hat Truppen in den Gazastreifen entsandt, und selbst Venezuela schien kürzlich einen Einmarsch in Guyana in Erwägung zu ziehen. Die Vereinigten Staaten haben in letzter Zeit verschiedene Ziele im Ausland angegriffen, von den Huthi im Roten Meer bis zu iranischen Kommandeuren in Syrien.
Sind vor diesem geopolitischen Hintergrund die jüngsten Drohungen aus Pjöngjang noch rhetorisch?
Internationale Sanktionen treiben Nordkorea ins Abseits
Der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un wirkt immer kampfbereiter und kriegerischer. Seit dem Tod seines Vaters Ende 2011 ist er an der Macht, wurde aber von einer abgewürgten Wirtschaft und kompromisslosen Gegnern im Ausland in Schach gehalten. Die Wachstumsrate der nordkoreanischen Wirtschaft war zu Beginn seiner Amtszeit nicht allzu schlecht.
Seit 2017 geht die Kurve jedoch nur noch nach unten, mit einer verheerenden Schrumpfung von 4,1 Prozent im Jahr 2018, gefolgt von einem weiteren Rückgang von 4,5 Prozent im Pandemiejahr 2020.
Die internationalen Sanktionen haben Nordkorea in Bezug auf den Handel in eine gefährliche Abhängigkeit von China gebracht, was zum Teil erklärt, warum Kim Jong-un derzeit daran interessiert ist, seine Situation durch eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland abzusichern.
In der Zwischenzeit sind die beiden Staatsoberhäupter, die eine Form der Zusammenarbeit mit Pjöngjang versprochen haben – Südkoreas Moon Jae-in und Donald Trump – nicht mehr im Amt. Die derzeitige Regierung Südkoreas verhält sich hingegen kühl hinsichtlich einer Annäherung.
Wenn Optionen ausgehen
Joe Biden, der sich auf eine Reihe anderer außenpolitischer Herausforderungen – von der Ukraine bis zum Gazastreifen – konzentriert, hat kein großes Interesse daran gezeigt, sich politisch für ein riskantes Unterfangen wie Verhandlungen mit Pjöngjang einzusetzen.
Washingtons Unfähigkeit, mit Nordkorea im Austausch zu bleiben, ist der Hauptgrund dafür, dass die langjährigen Nordkorea-Beobachter Robert Carlin und Siegfried Hecker glauben, dass Kim Jong-un den traditionellen Kurs einer mehr oder weniger friedlichen Koexistenz aufgekündigt habe und stattdessen einen Angriff auf Südkorea ins Visier nehme.
In gewisser Weise folgt Kim der Logik der Hamas, einer illiberalen Kraft, die ebenfalls ein weitgehend fehlgeschlagenes Gebilde regiert. Auch Kim hält seine Gegner für selbstgefällig, nicht an echten Verhandlungen interessiert und anfällig für einen Überraschungsangriff.
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Die Hamas, die ein "Freiluftgefängnis" in Gaza verwaltet, hatte für sich erkannt, dass man nichts mehr zu verlieren habe. Die nordkoreanische Führung, die für ein verarmtes Land mit einer schrecklichen Menschenrechtsbilanz verantwortlich ist, hat möglicherweise beschlossen, dass ihr ebenfalls die Optionen ausgegangen sind.
Geschichte der Überraschungsangriffe: Andere Regeln anderswo
"Die Literatur über Überraschungsangriffe sollte uns vor den bequemen Annahmen warnen, die in der Blase Washingtons zirkulieren, aber in Pjöngjang vielleicht nicht gelten", schreiben Carlin und Hecker in 38North.
Das mag wie Wahnsinn erscheinen, aber die Geschichte zeigt, dass diejenigen, die sich selbst davon überzeugt haben, dass sie keine guten Optionen mehr haben, die Ansicht vertreten, dass es trotz der Gefahren einen Versuch wert ist.
Carlin und Hecker verfügen nicht über das, was der israelische Geheimdienst ein Jahr vor den Anschlägen vom 7. Oktober besaß, nämlich eine detaillierte Beschreibung der Vorbereitungen für einen Überraschungsangriff. Sie stützen sich auf offizielle nordkoreanische Erklärungen, in denen die Wiedervereinigung der Halbinsel abgelehnt wird, und auf eine Verfassungsänderung, die Südkorea nun als Gegner und nicht mehr als tanil minjok ("ein Volk, ein Blut") bezeichnet.
In dieser Woche zeigten Berichte, die sich auf Satellitenbildern stützen, die Zerstörung von Pjöngjangs symbolträchtigem Monument zur Drei-Punkte-Charta für die nationale Wiedervereinigung, auch Bogen der Wiedervereinigung genannt, das Kim zuvor als "Schandfleck" bezeichnet und dessen Abriss er gefordert hatte.
Warnungen ernst nehmen
Nordkorea hat in letzter Zeit auch eine Reihe von Raketentests durchgeführt, darunter einen mit einem Hyperschall-Sprengkopf, sowie militärische Übungen in der Nähe der Seegrenze, die offenbar darauf abzielen, eine Reaktion des Südens zu provozieren.
Als nüchterne Analysten neigen Carlin und Hecker nicht zu Übertreibungen, sodass ihre Warnungen ernst genommen werden müssen.
Gleichwohl ist es eine bekannte Vorgehensweise Nordkoreas, wilde Drohungen auszusprechen, um die Aufmerksamkeit einer ansonsten gleichgültigen US-Regierung zu erregen und so den Weg für eine neue Verhandlungsrunde zu ebnen.
Raketenstarts, Atomtests und Versprechungen, Südkorea in einen "Feuersturm" zu verwandeln, haben in der Vergangenheit allesamt nicht das Interesse an einem Krieg signalisiert, sondern – in verdrehter Weise – die Entschlossenheit, die Friedensgespräche mit neu aufmerksamen Gegnern wieder aufzunehmen.