Neue Gentechnik im Essen: Haben Verbraucher bald keine Wahl mehr?

Wissen wir in Zukunft noch weniger, was wir kaufen? Symbolbild: ElasticComputeFarm / Pixabay Licence

EU-Kommission will Gentechnik-Regeln für Lebensmittel aufweichen. "Neue Genomische Techniken" (NGT) sollen ohne Kennzeichnung erlaubt werden. Das sind die Risiken.

Mit neuen Gentechniken wie CRISPR/Cas kann das Erbgut von Organismen weitreichend und – im Unterschied zur herkömmlichen Zucht – gezielt biotechnologisch verändert werden. Das Potenzial gehe über das der bisherigen Gentechnik hinaus, erklärt das Bundesamt für Naturschutz. Ihre Anwendung kann daher mit bisher unklaren Neben- und Folgewirkungen für Konsumenten, Natur und Umwelt verbunden sein.

Eine entsprechende Beschwerde, die kürzlich bei der Europäischen Ombudsstelle einging, verweist auf die Lücken in einer Folgeabschätzung der Europäischen Kommission zu den "Neue Genomische Techniken" (NGT). Der betreffende Verordnungsvorschlag sei nicht "transparent, objektiv und ausgewogen" erarbeitet, lautete der Vorwurf der Umweltorganisationen Friends of the Earth Europe und Corporate Europe Observatory. Anliegen und Aussagen von Wissenschaftlern würden stärker gewichtet als die anderer Interessengruppen wie Ökolandbau und gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft.

Dies wies die EU-Kommission zurück: Die "Gemeinschaft der Forschenden" werde als eine von dem Vorschlag direkt betroffene Interessengruppe behandelt, hieß es. Die Ansichten der Interessengruppen würden klar als solche wiedergegeben.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) habe die wissenschaftliche Literatur bewertet und sei zu dem Schluss gekommen, dass diese keine neuen Erkenntnisse liefert, die die Schlussfolgerungen ihrer wissenschaftlichen Gutachten in Frage stellen, heißt es unter anderem in der Folgeabschätzung der EU.

Offenbar lasse es die EU-Kommission dabei bewenden, dass die EFSA selbst feststellt, dass Kritik an ihr nicht zutreffe, bemerkt dazu der kritische Informationsdienst Gentechnik und verweist darauf, dass viele Experten dieser Behörde gleichzeitig der "Interessengruppe der Forschenden" angehören.

Eine im April 2021 veröffentlichten Studie verweist auf das Potenzial der NGT, "im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem beizutragen". Andererseits äußern die Autoren Bedenken gegenüber NGT-Erzeugnissen und deren Anwendungen. Sie verweisen auf mögliche Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, die Koexistenz mit einer ökologischen Landwirtschaft ohne gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sowie die Frage der Kennzeichnung.

So sei die derzeitige GVO-Gesetzgebung aus dem Jahr 2001 im Hinblick auf Risikobewertung und Zulassungsverfahren nicht an die Vielfalt der potenziellen Pflanzenprodukte angepasst, die durch gezielte Mutagenese und Cisgenese gewonnen werden können.

NGT-Verfahren sind weniger präzise als behauptet

Die Gen-Schere CRISPR/Cas führt häufig zu unbeabsichtigten genetischen Veränderungen, sowohl an Stellen, an denen die sogenannten Gen-Scheren ins Erbgut schneiden, als auch an weit entfernten, wie eine Studie an der Rice University, Houston (USA) anhand der Ergebnisse von Untersuchungen an Zellen von Mensch und Tier zeigt. Derartige Veränderungen bleiben aber mit den üblichen Nachweisverfahren häufig unentdeckt, weil oft nur kurze und einige ausgewählte Genabschnitte untersucht werden.

Auch kleine Veränderungen im Erbgut können sich aber auf den Stoffwechsel einer Pflanze auswirken. So könnte diese zum Beispiel unerwünschte Inhaltsstoffe bilden. Die Gen-Schere könnte den unbeabsichtigten Verlust von großen und kleinen Abschnitten des Erbguts oder von Chromosomen auslösen. Zudem seien große Genveränderungen sind mit standardmäßigen PCR-Tests mit kurzer Reichweite nicht nachweisbar, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Studie. Um Schäden am Erbgut festzustellen, müssten bei der Durchsuchung mehrere Methoden kombiniert werden.

Deregulierung würde Gentechnik Tür und Tor öffnen

Grundsätzlich muss bei Pflanzen von anderen Risiken als bei klinischen Anwendungen an Menschen ausgegangen werden. Doch auch bei NGT-Pflanzen kann ohne eine genaue Prüfung der genetischen Veränderungen keine Aussage über deren Sicherheit gemacht werden.

Veränderungen im Erbgut von Pflanzen können vielfältige Auswirkungen auf die Umwelt haben, zum Beispiel auf Insekten, Bodenorganismen und die Nahrungsnetze. Diese hängen von der Funktion der Gene ab, die von den beabsichtigten oder unbeabsichtigten Veränderungen betroffen sind. Bisher müssen alle Organismen, die aus gentechnischen Verfahren stammen, eine Risikoprüfung durchlaufen, bevor sie freigesetzt werden dürfen.

Die EU-Kommission will dieses Grundprinzip jetzt aufgeben. Wenn für die meisten NGT-Pflanzen anstatt der bisher üblichen Risikoprüfung nur noch ein Eintrag in ein Register vorgesehen ist, würden die konventionell gezüchteten Pflanzen rechtlich gleichgestellt, das heißt dereguliert, auch wenn sie biologisch unterschiedlich sind, warnt die Organisation Testbiotech in einer umfassenden Stellungnahme. Die Wissenschaftler fordern daher eine verpflichtende Risikoprüfung für künftige Genpflanzen.