Neue Linke für die Linkspartei – und das Stimmenpotenzial?
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Hunderte außerparlamentarischen Aktivisten sind in die Partei eingetreten. Anlass: Der Austritt des "Wagenknecht-Flügels". Wie reagieren bisherige Nichtwähler? Ein Kommentar.
Nach dem Austritt des "Wagenknecht-Flügels" wollen die Verantwortlichen der Linkspartei und der ihnen nahestehenden Medien Optimismus verbreiten. Da trifft es sich gut, dass einige Menschen aus der außerparlamentarischen Opposition, die mit dem Sammelbegriff "Linksradikale" belegt werden, den Eintritt in die Linke angekündigt haben. Rund 500 an der Zahl sollen es sein.
Historisch ist der Begriff "Linksradikale" an den Teil der Arbeiterbewegung gebunden, der – ausgehend von den Bremer Linksradikalen innerhalb der 1919 gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) – den antiparlamentarischen Flügel bildete und sich mit ähnlichen Bestrebungen in anderen Ländern verbündete.
Bekannt wurden sie durch die Schrift "Linksradikalismus – die Kinderkrankheit des Kommunismus", in dem der Realpolitiker Lenin sich von den Bündnispartnern abgrenzen wollte, die er und die Bolschewiki während und kurz nach der Oktoberrevolution noch umworben hatten.
Seitdem wird der Begriff "Linksradikale" für alle Linken verwendet, die sich nicht im bürgerlichen Parlamentarismus und der eng begrenzten bürgerlichen Zivilgesellschaft wiederfinden. Wer also gehört im Jahr 2023 in Deutschland zu diesen Linksradikalen, die sich konstruktiv, aber kritisch am Aufbau der Linkspartei beteiligen wollen?
In ihrem Aufruf zeichnen sie ein pessimistisches, aber wohl realistisches Gesellschaftsbild:
Wir stehen am Rand einer ökologischen und politischen Katastrophe: Die AfD marschiert im Stechschritt durch die Landtagswahlen, Grüne und SPD-Spitze wollen "im großen Stil abschieben", die CDU baut Autobahnen – und DIE LINKE droht bei der nächsten Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde zu scheitern. Mit ihr wäre nicht nur die einzige antikapitalistische Partei aus dem Parlament verbannt, auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung verlöre einen Großteil ihrer Gelder zur Förderung von politischer Bildung und Kultur.
Aus dem Aufruf außerparlamentarischer Linker zum Eintritt in die Linkspartei
Hier wird auch schon etwas klarer, wer die "Linksradikalen" sind, die eine Linkspartei ohne Sahra Wagenknecht mit aufbauen wollen. Es gab in den letzten Jahren im Umfeld der Rosa-Luxemburg-Stiftung, aber auch des Berliner Bildungsvereins Helle Panke e. V. Menschen, die sich in außerparlamentarischen linken Bündnissen wie der Interventionistischen Linken oder dem "Ums Ganze"-Bündnis politisiert haben.
Ihnen ist es auch zu verdanken, dass es in den letzten Jahren Kongresse und Veranstaltungen gab, die eben keine Veranstaltungen von Parteifunktionären waren, sondern Diskussionen verschiedener linker Milieus widerspiegelten.
Ein Beispiel war die Konferenz "1923 – Sattelzeit der Revolution" über das Jahr, die maßgeblich Rosa-Luxemburg-Stiftung und Helle Panke vor einigen Wochen gemeinsam organisiert hatten.
Team Carola Rackete und die Linkspartei
Daneben gab es auch in den außerparlamentarischen Bewegungen wie der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen schon länger Kontakte zur Linkspartei. Schwieriger war das Verhältnis zu Antirassismus- und Klimaaktivisten – zumindest, solange mit dem Wagenknecht-Flügel eine Strömung innerhalb der Linkspartei existierte, die auf diesen Themenfeldern die Grünen von rechts angegriffen hatte.
Daher konnte die Linkspartei bisher nicht den Platz ausfüllen, den die Grünen in den letzten Jahren mit ihrem eigenen Rechtsrutsch freigemacht hatten. Doch spätestens mit der Ankündigung der Kandidatur der antirassistischen Klimaaktivistin Carola Rackete war klar, dass sich auch dort organisierte Gruppen darauf vorbereiten, in einer Linkspartei ohne Wagenknecht eine wichtige Rolle zu spielen.
Dass es hier nicht um die Einzelkandidatur einer Person ging, sondern um ein Team, zeigte sich bei einem gemeinsamen Interview von Carola Rackete, David Dresen und Maximilian Becker Ende Juli im Neuen Deutschland. Dresen erklärte damals:
Wir wollen deutlich machen, dass weitere Menschen aus verschiedenen sozialen Bewegungen hinter dem Projekt stehen. Es geht nicht um Carola Rackete als Einzelperson, sondern um das, wofür Carola steht. Für uns war von Anfang an klar: Wenn eine Person die Last auf sich nimmt, dann muss diese auch von mehreren Personen mit unterschiedlichen Bewegungshintergründen geschultert werden.
David Dresen im Gespräch mit der Zeitung Neues Deutschland
Hier zeigte sich auch, dass die Entscheidung von außerparlamentarischen Linken, sich in eine Linkspartei ohne Wagenknecht einzubringen, kein spontaner Akt war.
Mit Erfahrungen des Scheiterns
Nun könnte man sich fragen, was der Eintritt von einigen hundert bisher außerparlamentarischen Linken für eine Bedeutung für die Linke hat. Zumal sich manche vielleicht noch erinnern, dass es nach der Gründung der Linkspartei 2007 einen ähnlichen Aufruf von außerparlamentarischen Linken gab, in die Partei einzutreten.
Einige arbeiteten eng mit Bernd Riexinger in dessen Zeit als Ko-Parteichef zusammen. Es ist kein Wunder, dass gerade Riexinger und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Feindbild der Parteirechten um Wagenknecht wurden.
Doch was erst einmal positiv bei den neuen Aufrufen hervorsticht, ist die Formulierung der Erfahrung des Scheiterns und der Niederlagen, die viele außerparlamentarische Linke in den letzten Jahrzehnten gemacht haben.
In einer Welt, die durch Kriege, aufstrebende rechtsextreme und faschistische Parteien geprägt und von der eskalierenden Klimakrise bedroht ist, sehen wir uns gezwungen unsere bisherige Politik radikal zu überdenken: Viele unserer Strategien der letzten Jahrzehnte sind gescheitert. Nun gilt es, sich neu zu organisieren, um den drohenden und bereits stattfindenden Katastrophen etwas entgegenzusetzen.
Aus dem Aufruf außerparlamentarischer Linker zum Eintritt in die Linkspartei
Viele von ihnen sind durch die globalisierungskritische Bewegung vor 25 Jahren geprägt, die einen weltweiten Bewegungszyklus anzukündigen schienen, der bald durch staatliche Repression wie in Italien unter Berlusconi, aber auch durch fehlende Perspektiven an ihre Grenzen stießen.
Damals entstand mit vielen linken Hoffnungen auch das linke Mediennetzwerk Indymedia. Heute warnen alle vor rechten Inhalten im Internet. Wenige Jahre später gab es die Hoffnungen auf linke Krisenproteste, die mit der Kapitulation der griechischen linksreformistischen Regierung vor der EU-Austeritätspolitik ausgebremst wurden.
Occupy-Proteste und die Bewegung gegen die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) konnten sich nicht verstetigen. Selbst scheinbare Erfolge werden zu Niederlagen, wenn es keine Umsetzungsperspektiven gibt.
Diese Erfahrungen machten viele Aktive bei der Initiative Deutsche Wohnen und Co. Enteignen. Sie bekamen die Mehrheit bei der Abstimmung in Berlin, auch eine Expertenkommission bestätigte, dass dieser Rückkauf von Wohnungen rechtlich möglich ist. Nur die Forderung wurde nicht umgesetzt.
Andre, einer der Aktiven bei DW Enteignen, schilderte, welche Enttäuschungen sich dadurch einstellen. Natürlich fragen sich dann viele, ob es sich überhaupt lohnt, sich politisch zu betätigen und dafür Zeit und Kraft aufzuwenden, wenn sogar eine gewonnene Abstimmung über die Enteignung großer Immobilienkonzerne in Berlin einfach ignoriert wird?
Oder sucht man sich Organisationen und Strukturen, die eine Umsetzung vielleicht eher möglich machen? Vor diesen Fragen standen viele in der außerparlamentarischen Linken. Daher wurde für sie die Linkspartei zur ernsthaften Option. Zumal hier noch der Widerstand gegen die Rechtsruck dazukommt.
Hier besteht auch ein Zusammenhang: Dass enttäusche linke Hoffnungen zum Aufstieg der Rechten führen können, zeigte sich bereits in mehreren Ländern Europas. Erst nach der Niederlage der griechischen Linksregierung wurden die Rechten in vielen europäischen Ländern und auch in Deutschland zum Thema.
Wie Enttäuschungen linker Aufbrüche den Rechten nutzten, zeigte zuletzt auch das Wahlergebnis in Argentinien: Ein Rechtspopulist, unterstützt von den alten konservativen und rechten Kräften, gewann in einem Land, das vor über 20 Jahren ganz kurz auch international auf der Agenda der außerparlamentarischen Linken aufgetaucht war.
Damals gab es in Argentinien Massendemonstrationen, Versammlungen, Blockaden von Erwerbslosengruppen – und auch Fabrikbesetzungen entfachten Hoffnungen. Daniel Kulla sprach in einem Buch über besetzte Fabriken in Argentinien sogar vom "argentinischen Modell".
Damals lautete die Parole vieler argentinischer Demonstranten "Alle sollen gehen"; und tatsächlich stürzten damals Präsidenten innerhalb weniger Wochen. Damals hofften viele im Land auf eine Rätegesellschaft.
20 Jahre später siegt mit Javier Milei ein Mann, der den Staatsapparat massiv verkleinern will, um dem Kapitalismus umso mehr freien Lauf zu lassen. Das ist auf jeden Fall ein Anlass für außerparlamentarische Linke, ihre Theorie und Praxis zu hinterfragen.
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