Nicht auf halben Wege stehen bleiben

Ex-Bundestagsfraktionsreferent Klaus Funken fordert nicht nur einen, sondern viele Mitgliederentscheide in der SPD

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Etwa 470.000 SPD-Mitglieder werden von der Parteispitze demnächst aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob sie den von der Parteiführung ausgehandelten Koalitionsvertrag mit der Union gut heißen oder eben auch nicht. Das ist neu, das hat es bisher noch nicht gegeben in der SPD. Es ist ein mutiger Schritt, den die Parteiführung - aus welchen Motiven auch immer - hier geht.

Das Mitgliedervotum in einer Sachfrage, das es in den Parteistatuten zwar schon seit 1994 gibt, ist bisher noch nie angewandt worden. Wenn überhaupt werden Mitglieder befragt, falls sich die Führung von Parteigremien bei Personalfragen nicht einigen kann. Auf Bundesebene gab es eine solche Befragung nur ein einziges Mal, nämlich zur Bundestagswahl 1994, auf Länderebene und auf kommunaler Ebene kommen solche Befragungen, "Urwahlen" wie sie heißen, schon häufiger vor. Für die Partei ist das jedes Mal ein Gewinn.

Klaus Funken

Bei der jetzt anstehenden Befragung wird also Neuland betreten. Jeder weiß: Die Frage, ob die SPD erneut eine Koalition mit Merkels CDU eingehen soll, ist in der Partei höchst umstritten. Es ist zudem nicht zu übersehen, dass die derzeitige Führung sich ein einvernehmliches Vorgehen und damit eine gemeinsame Verantwortung nicht zutraut, zu sehr liegen die Positionen zwischen dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und seiner Stellvertreterin, der nordrheinwestfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, auseinander.

Insofern ist auch diese Mitgliederbefragung ein Schritt, der aus der Not geboren wurde. Dennoch ist er nicht nur mutig, sondern auch richtig und vernünftig. Die Aussicht auf eine Mitgliederbefragung stärkt der Verhandlungsdelegation den Rücken. Ohne eine deutliche sozialdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag kann sich die Parteiführung vor Partei und Öffentlichkeit nicht blicken lassen. Das ist ein klares Signal an die andere Seite, sich auf beinharte Verhandlungen einzustellen. Eine Koalition zum Schnäppchenpreis wird es nicht geben.

Allerdings: Ein Scheitern der Abstimmung wäre für die SPD-Führung der Supergau, nicht nur der Parteichef, die gesamte Führung stünde zur Disposition. Die Partei befände sich in hellem Aufruhr. Den Sozialdemokraten stünde eine programmatische, organisatorische und personelle Erneuerung von Grund auf bevor. Was das Schlechteste nicht wäre. Die Parteiführung geht so oder so ein hohes Risiko ein.

Nichts wird in der SPD wieder so sein wie zuvor

Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, eines dürfte heute aber schon feststehen: Nichts wird in der SPD wieder so sein wie zuvor. Wer als Mitglied über den Abschluss einer Koalition auf Bundesebene mitentschieden hat, wird sich das Recht bei anderen Entscheidungen - vor allem bei Personalentscheidungen - nicht mehr nehmen lassen.

War Parteichef Gabriel nach dem Desaster der Bundestagswahl von 2009 noch vor einer echten Parteireform zurückgescheut (vgl. Vom Elend eine Partei zu reformieren), kann die Parteiführung nach dem erneut deprimierenden Wahlergebnis vom 22. September 2013 und dem Mitgliederentscheid, nicht mehr zu den alten Verhältnissen zurück. Eine echte Parteireform steht jetzt an, eine Reform, die ernst macht mit der Stärkung der Mitentscheidungs-, Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten des Parteivolkes.

Bisher war eine solche Reform am Widerstand der Funktionäre auf der mittleren und höheren Führungsebene gescheitert. Weder Mitgliederentscheid noch die Wahl des Führungspersonals stoßen beim Parteiestablishment auf große Sympathien. Beides sind Fremdkörper in der Partei geblieben. Das mag aus der Sicht der Berufspolitiker und der Spitzenfunktionäre erwünscht sein. Demokratisch ist es nicht. Denn das komplizierte, langwierig ausgehandelte und sorgfältig austarierte Gleichgewicht bei Personalentscheidungen verträgt sich nur schwer mit einem demokratischen Auswahlverfahren.

Demokratie vs. Quotierungen und Selbstnominierungen

Demokratie ist nun einmal langwierig, anstrengend. Es ist viel leichter und sicher auch "effizienter", dies in der Hand "bewährter Führungspersonen" zu belassen, zumal durch offizielle und inoffizielle Quotierungen - nach Geschlecht, Region, Herkunft, Alter, Berufsstand, sexueller Orientierung, Verbands- und natürlich Gewerkschaftsmitgliedschaft - das von den Funktionären erwartete, "angemessene" Personaltableau immer schwerer aufzustellen ist.

Immerhin wurden auf kommunaler Ebene und auch in einigen Ländern "Urwahlen" mit großer öffentlicher Beachtung durchgeführt. Ein voller Mobilisierungserfolg, wie sich immer wieder zeigte. Zuletzt in Schleswig-Holstein. Doch sind solche Beteiligungen der Mitglieder am Auswahlverfahren des Führungspersonals in der SPD bislang nach wie vor Ausnahmen. Das wird sich vermutlich demnächst ändern.

Eine Selbstnominierung wie im Falles Peer Steinbrücks, bei der es reichte, dass die beiden anderen Mitbewerber in der sogenannten Troika ihren Verzicht auf eine Kandidatur erklärten, und die Parteifunktionäre auf dem Wahlparteitag die Entscheidung der Troika nur noch abnicken durften, wird es dann nicht mehr geben. Das Parteivolk, bisher auf eine bloße Zuschauerrolle beschränkt, wird sich eine solche Kandidatenkür dann nicht mehr bieten lassen. Es ist also höchste Zeit, die Mitglieder der Partei auch bei der Auswahl der Kandidaten in den Wahlkreisen und bei der Aufstellung der Wahllisten zu befragen. Wenn es dann dabei demokratisch zugehen soll, muss jedes Mitglied eine gleichwertige Stimme haben. Eine Besserstellung oder Benachteiligung kann es dann nicht mehr geben. Der SPD stehen spannende Zeiten bevor.

Klaus Funken, der diesen Gastbeitrag in Telepolis verfasste, war früher wirtschaftspolitischer Referent der SPD-Bundestagsfraktion.

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