"Nicht immer sicher, wen sie töteten"

Geht es um bewaffnete Drohnen, so wird von Regierungen Augenwischerei betrieben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Deutschland, wo seit Monaten laut über die Anschaffung solchen Kriegsgeräts nachgedacht wird, wird in der Öffentlichkeit suggeriert, dass die Regierung den Kauf von Kampfdrohnen verschiebe, dem widersprechen aber anderslautende Berichte, die sich auf Aussagen aus dem Verteidigungsministerium stützen. Laut Informationen der ARD ist das Thema Drohnen der Union für den Wahlkampf unwillkommen.

In den USA fällt die Augenwischerei naturgemäß ein paar Nummern größer aus. Ein gestern bei McClatchy erschienener Artikel wirft der Regierung Obama im Zusammenhang mit Einsätzen bewaffneter Drohnen, handfeste Lügen vor. Das Medienhaus ist in den Besitz von Geheimdienstmaterial gelangt, das Drohnenoperationen im Zeitraum von 2006 bis 2008 und von 2010 bis 2011 im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan dokumentiert. Daraus geht eindeutig hervor, dass die Einsätze sehr viel weiter gehen, als dies Präsident Obama oder Regierungsvertreter in der Öffentlichkeit immer wieder betont haben.

Wiederholt habe Obama insistiert, dass es der CIA einzig erlaubt sei, Predator- und Reaperdrohnen gegen "ausgewählte ranghohe al-Qaida-Führer, die militante Einsätze leiten, bzw. auf Führer von militanten Organisationen, die mit al-Qaida in Verbindung stehen" einzusetzen. Zitiert wird der US-Präsident mit Aussagen, die die Bedrohung, die als Grund für den tödlichen Drohneneinsatz gelten, weiter präzisieren: "Die Bedrohung muss ernsthaft sein und nicht spekulativ", sagte Obama im September vergangenen Jahres.

Es muss eine Situation gegeben sein, in der wir die betreffende Person nicht gefangen nehmen können, um sie daran zu hindern, eine in der Entwicklung befindliche Operation gegen die USA fortzusetzen.

Die Geheimdienstberichte zeigen allerdings laut dem Journalisten Jonathan S. Landay, der als Spezialist für nationale Sicherheit bei McClatchy arbeitet, glasklar aufzeigen, dass diese Bedingung in der Praxis der Drohneneinsätze keine maßgebliche Rolle spielen.

Mindestens 265 und möglicherweise bis zu 482 Personen, die nach Schätzungen der Geheimdienste im Verlauf eines Jahres bis zum September 2011 von der CIA getötet wurden, waren keine ranghohen al-Qaida-Führer, sondern Personen, die als afhganische, pakistanische oder Extremisten unbekannter Herkunft eingedstuft wurden. Die Drohnen töteten in diesem Zeitraum laut Medienberichten nur sechs "Top al Qaida-Leader".

45 von 95 Drohnenangriffen, die für diesen Zeitraum in den Berichten genauer dokumentiert wurden, zielet auf ganz andere Gruppen als al-Qaida. Zum Beispiel auf Haqqani-Gruppierungen, verschiedene pakistanische Taliban-Fraktionen und nicht identifizierte Personen, die als Militante oder ausländische Kämpfer bezeichnet wurden, heißt es in dem Artikel. Hinzugefügt wird, dass in den Berichten immer wieder die Rede davon ist, dass die Männer, welche die Drohnen bedienten, "nicht immer sicher waren, wen sie töteten". Das steht im Gegensatz zu den Behauptungen der Regierung, die stets eine sorgfältige Auswahl der Ziele betonen.

Wie sehr kann man demzufolge anderen Behauptungen trauen, die bemüht sind, die Möglichkeit von zivilen Opfer bei solchen Operationen herunterzureden? Zumal aus den Geheimdienstberichten auch hervorgeht, dass die Identifizierung von Zielen in den pakistanischen Grenzregionen sehr schwierig sei, weil Militante wie normale Stammensführer sehr ähnlich gekleidet sind und beinahe alle Paschtunen dort aus alter Tradition Waffen tragen.

Selbst, wenn die Ziele aus notorisch bekannten militanten Gruppierungen, wie etwa das Haqqani-Netzwerk, gewählt werden, kommt es zu Verwechslungen, die später verschleiert werden, berichtet Landay. So sei am 18. Februar 2010 eine Drohne zu einer Beerdigung in Nordwaziristan geschickt worden. Die CIA identifizierte via Videoaufnahmen der Drohne einen Mann, der mutmaßlich Badruddin Haqqani (ein gesuchter und später getöteter Milizen-Führer) war, angeblich weil er "viele Ehrenbezeugungen" auf der Beerdigung erhielt.

Die Drohne wurde auf das Auto, in das der Mann später einstieg, abgefeuert. Getötet wurde allerdings ein anderer Mann - und dessen unbekannter Begleiter - Mohammad Haqqani, ein Bruder des gesuchten Mannes. Laut US-Geheimdienst war er ein aktives, wenn auch nicht führendes Mitglied des "Haqqani network". Laut Aussagen von anderen Zeugen, die mit dem Getöteten befreundet waren, war der junge Mann ein Islam-Student und nicht in Terrorismus involviert. Ob und in welcher Weise die Aussagen über den Mann zutreffen, ob er eines Verbrechens schuldig ist und die Todesstrafe - obendrein außerhalb des Staates, der die Todesstrafe verhängt - angewendet werden darf, sollte eigentlich ein Gericht klären.