Niederlage für New Labour

Die Wahlschlappe der britischen Regierungspartei bei den Kommunalwahlen in England und Wales hat eine europäische Dimension

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Noch vor wenigen Monaten hätte kaum jemand darauf gewettet, dass Boris Johnson Bürgermeister von London wird. Dem u.a. mit Witzeleien gegen Schwule aufgefallenen 42jährigen Tory fehlte eigentlich alles, was ihm zu dem Posten befähigte. Anders als sein unterlegener Amtsvorgänger Ken Livingstone hat er keine Erfahrung in Verwaltungsfragen. Zudem wurde Livingstone auch von seinen schärfsten Kritikern bescheinigt, dass er mit seinen anfangs umstrittenen Projekten wie der City-Maut, am Ende so erfolglos gar nicht war.

Tory-Chef David Cameron bei der Bekanntgabe des Siegs von Boris Johnson. Bild: webcameron

Deswegen hat Boris Johnson auch schon angekündigt, die City-Maut, die den Autoverkehr aus Londons Zentrum verbannen will, nicht abzuschaffen, sondern nur einzufrieren. Hingegen will der Neue schnell sein Versprechen einlösen und die traditionellen roten Busse wieder durch Londons City fahren lassen. Livingstone hatte sie durch behindertengerechte Busse ersetzen lassen, die aber von Teilen der Londoner Bevölkerung abgelehnt worden waren. Doch die Wahlniederlage lässt sich sicher nicht in erster Linie aus einer solchen Symbolpolitik erklären. Eher dürfte schon dazu beigetragen haben, dass der einst als Rebell aus der Labour-Party ausgeschlossene Livingstone längst als selbstgerechter Regent wahrgenommen wurde, der in den Schoß der Labour-Party zurückgekehrt ist.

Selbst seine Nebenaußenpolitik erschöpfte sich weitgehend in Symbolen und Selbstinszenierung. Dazu gehörten Treffen mit Venezuelas Präsident Hugo Chavez, mit dem er Verträge über verbilligtes Öl abschloss, oder seine immer wieder geäußerte Kritik an der israelischen Politik, die ihm gelegentlich den Vorwurf des Antisemitismus eintrug. Diese Art der Einmischung in die Außenpolitik dürfte es mit Boris Johnson nicht mehr geben. Der Tory vom konservativen Flügel liegt in seinen außenpolitischen Präferenzen und dem Irakkrieg auf der Linie von Blair und Brown. Auch medienwirksame Auftritte bei globalisierungskritischen Organisationen dürften in London nun der Vergangenheit angehören. Livingstone hatte mit seiner Beteiligung am Treffen des Europäischen Sozialforums in London im Jahre 2004 auch in den Reihen der Globalisierungskritiker für heftige Diskussionen über den Umgang mit Regierungsvertretern gesorgt.

Der neue Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Foto: boris-johnson.com

Labour hat abgewirtschaftet

Doch es sind nicht in erster Linie hausgemachte Ursachen, die zu der Niederlage für Livingstone führten. Er wurde auch und vor allem als Vertreter der Labour-Vertreter abgestraft. Bei den Kommunalwahlen in England und Wales wurde die Labour-Party mit knapp 24 % der Stimmen sogar noch von den Liberaldemokraten überrundet, die 25 % bekamen. Klarer Sieger sind die Torys mit ca. 44 %. Labour verlor knapp 250 Mandate und die Konservativen gewannen über 400 Sitze dazu.

Es war das insgesamt schlechteste Wahlergebnis für Labour seit 40 Jahren. Selbst das schon miese Ergebnis bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2004 wurde noch einmal unterboten. Damals hatte die Debatte um den Irakkrieg die Parteibasis aufgewühlt. Mit der Gruppe Respect hatte sich damals eine Opposition gegründet, die den ehemaligen Labour-Linken George Galloway als Zugpferd hatte. Damals sah es tatsächlich kurz so aus, als könnte die zersplitterte Linke eine parlamentarische Plattform bekommen. Doch Respect konnte sich nicht recht zwischen einer linken Opposition und einer Plattform für die in Großbritannien lebenden Moslems entscheiden, was zum internen Streit führte. Das ehemalige Zugpferd Galloway hatte sich durch nie ganz aufgeklärte Kontakte zum Regime von Saddam-Hussein und als lächerlich empfundene Fernsehauftritte schnell diskreditiert. So gab es bei dieser Kommunalwahl keine ernstzunehmende linke Alternative. Von dieser Leerstelle profitierten die Liberaldemokraten, die wirtschaftspolitisch neoliberal sind, aber auch Gegner des Irakkrieges waren und scharfe Kritiker von Einschränkungen der Bürgerrechte im Krieg gegen den Terror in ihren Reihen haben.

Gerade mit Blick auf das schlechte Kommunalwahlergebnis von 2004 könnte sich die Labourführung damit trösten, dass sie danach doch die Unterhauswahlen wieder gewonnen hat. Außerdem kann die Regierung die Neuwahlen noch bis Anfang 2010 hinauszögern. Bis dahin kann sich die Stimmung geändert haben, so die Hoffnung bei Labour. Doch Analysten warnen davor, das Wahlergebnis lediglich als Ausdruck einer momentanen Stimmung in der Bevölkerung zu deuten. Die Wechselstimmung könnte wachsen und die mittlerweile 11 Jahre regierende Labourparty auf die Oppositionsbänke verweisen. Zur Zeit gibt es in der Partei auch niemanden, der den ungeschickt agierenden Premierminister sein Amt streitig machen könnte. Das liegt allerdings auch daran, dass niemand mit einer Wahlniederlage verbunden werden will. Sollte dann Labour wirklich die Macht abgeben müssen, würde der Streit um die Nachfolge erst entbrennen.

Gordon Brown verspricht nach der Wahlschlappe zuzuhören und zu führen. Bild: labour.org.uk

Diktat der Politikmanager

Die Krise der Labour-Party muss aber auch in einen europäischen Rahmen gesehen werden. Schließlich galt New Labour vor einem Jahrzehnt als ein sozialdemokratisches Modell, nicht zuletzt auch für die SPD in Deutschland (Der "Dritte Weg" in den dynamischen Kapitalismus). Doch über das Blair-Schröder-Papier redet heute niemand mehr. Auch in anderen Ländern orientierten sich die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien an einem Konzept der Entideologisierung und der Lösung von ihren Wurzeln aus der Arbeiterbewegung. Die Resultate sind überall ernüchternd. In Frankreich haben sie die Wahlen ebenso verloren, wie nun in Italien (Rom: Bürgermeister mit brauner Vergangenheit). Nur in Spanien konnte sich eine an New Labour orientierte sozialdemokratische Partei gegenüber den Konservativen behaupten (Wahlen mit zwei Siegern in Spanien). Der US-Soziologe Richard Sennett hat dieses Politikkonzept als Diktat der Politikmanager klassifiziert:

Die Arbeitswelt erlaubt heute nicht wirklich mehr Individualität oder gar Freiheit. Aber wenn individuelle Leistungen beständig kontrolliert und beurteilt werden, fühlen sich die Arbeitenden schließlich als relativ eigenständige Akteure, als eine Art Einzelkämpfer. Und in diesem Sinne betonen auch Politiker wie Tony Blair oder Gerhard Schröder sehr viel mehr ihre individuellen Qualitäten als etwa ihre Loyalität zu einer politischen Programmatik. Auch sie sehen sich als Einzelkämpfer, die ihre Legitimation eher in ihrer Persönlichkeit suchen als in ihrer Fähigkeit, ein bestimmtes Programm umzusetzen.

Für Politiker vom Schlage Bushs oder Blairs spielt Programmatik letzten Endes überhaupt keine Rolle mehr. So hat Blair den Irakkrieg einfach zu einem Thema erklärt, über das er nicht länger spricht. Das erinnert an die Manager, die in ultra-flexiblen, auf kurze Zeithorizonte ausgerichteten Unternehmen arbeiten und sich ebenfalls nicht auf längerfristige Planungen einlassen wollen. Sie arbeiten zwar für diese Unternehmen, aber sie können ihnen ihre Loyalität nicht schenken, weil diese Firmen möglicherweise morgen schon nicht mehr existieren. Analog dazu zeichnet sich Politik gegenwärtig durch das Paradox aus, dass Politiker sich zwar zu starken persönlichen Überzeugungen bekennen, aber eben nur für ganz kurze Zeit. Wie im Management gibt man vermeintlich unhaltbare Positionen sehr schnell wieder auf und zieht dann einfach weiter. Dieser Mangel an Kontinuität hat äußerst negative Folgen.

Richard Sennett

Krise auf europäischer Ebene

Diese im Jahr 2005 getroffene Analyse gilt aber nicht nur für Tony Blair, sondern für eine bestimmte Art des Politikmanagements, für das er nur stellvertretend gestanden hat und die ihre Grundlage in jenem Umbau des Sozialstaates hatte, der anfangs häufig Thatcherismus und später Neoliberalismus genannt wurde. New Labour wurde auch deswegen Exportschlager, weil die sozialdemokratischen Parteien in den verschiedenen Ländern scheinbar vor ähnlichen Problemen standen. Doch bald zeigte sich, dass sie mit der Umwandlung nicht nur Profil, sondern auch Teile ihrer Basis verloren. Das Dilemma der innerparteilichen Kritiker besteht nun darin, dass sie bei aller berechtigten Kritik bisher keine grundlegende Alternative aufzeigen konnten. Das stärkt überall konservative und rechte Parteien. In diesem Sinne könnte die Niederlage der Sozialdemokraten in Rom und London bei allen spezifischen Besonderheiten eine Entwicklung anzeigen, die den Unterlegenen noch gar nicht richtig begriffen wurde.