"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten"
Die Migration von Mittelamerika und Mexiko in Richtung USA wird immer gefährlicher
Während republikanische US-Abgeordnete eine 3.200 km lange Mauer entlang der US-mexikanischen Grenze fordern, wird die mexikanische Regierung nicht müde, in Bezug auf das angestrebte Migrationsabkommen mit den USA Erfolgsmeldungen zu verkünden. Experten vermuten allerdings, dass ein derartiges Abkommen nicht vor 2008 unterzeichnet werden wird, also nach dem Ende der Amtszeit von Präsident Bush. Dieser möchte seine ohnehin schwindende Popularität mit einem derart unpopulären Thema nicht weiter belasten. Nichtsdestotrotz erfüllt Mexiko seine vereinbarten Vorleistungen für das Migrationsabkommen vorbildlich, und fungiert immer mehr als vorgelagertes Bollwerk gegen Migranten aus Mittel- und Südamerika auf dem Weg in die USA.
Es war eines der großen Wahlversprechen von Präsident Vicente Fox Quesada im Jahr 2000: Er werde - aufgrund seiner guten Beziehungen zum großen Nachbarn im Norden - ein Migrationsabkommen mit den USA aushandeln, das den Millionen illegalen Einwanderern aus Mexiko einen legalen Status verschaffen, die Modalitäten der temporären Arbeitsmigration festlegen und die Menschenrechte der Migranten schützen werde.
Tatsächlich kam Fox im Februar 2001 mit George W. Bush zusammen, und sie vereinbarten erste Schritte auf dem Weg zu einem derartigen Abkommen. Hierzu gehörten die enge Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf beiden Seiten der US-mexikanischen Grenze, sowie der Plan Sur, der im Juli 2001 in Kraft trat.
Dieser Plan zielt auf eine "Versiegelung" der mexikanischen Südgrenze im Sinne US-amerikanischer Interessen, um vorgelagerte Barrieren für Migranten aus Mittel- und Südamerika zu errichten. Der Plan Sur wird nicht nur direkt am mexikanisch-guatemaltekischen Grenzstreifen angewandt, sondern in allen südmexikanischen Bundesstaaten bis weit ins Landesinnere hinein. Dort wurden 26 Posten der Migrationspolizei errichtet, an denen 1000 spezialisierte Beamte rund um die Uhr im Einsatz sind, die sich darüber hinaus mit den Soldaten und Polizeibeamten dieser hochmilitarisierten Region koordinieren.
Hinzu kommen die 1990 ins Leben gerufenen Sondereinheiten der mexikanischen Migrationspolizei namens Grupo Beta, die an der mexikanischen Süd- sowie an der Nordgrenze zu den USA eingesetzt werden. Ihr eigentlicher Auftrag besteht nicht darin, Migranten aufzugreifen, sondern sie zu schützen, sie zu beraten, und Straftaten im Zusammenhang mit der Migration zu verhindern. Die Beamten der Grupo Beta verhaften jedoch auch Schleuser und verhindern, dass Migranten die Grenzen an Stellen passieren, die ihr Leben gefährden könnten. Dabei spielen sie eine zwiespältige Rolle: Tatsächlich werden Migranten häufig von bewaffneten Banden überfallen und ausgeraubt - doch ebenso häufig von Angehörigen der diversen mexikanischen Polizeikorps. Auch Angehörigen der Grupo Beta selbst wird vorgeworfen, wiederholt Erpressungsaktionen und Übergriffe gegenüber MigrantInnen verübt zu haben.
Der Plan Sur führt immer wieder zu diplomatischen Protesten seitens mittelamerikanischer Regierungen gegen Mexiko. So beklagte der nicaraguanische Minister Genaro Muñiz in der hondurenischen Tageszeitung El Heraldo, Mexiko
hat sein gesamtes Territorium in eine Grenze für uns verwandelt. Die Grenze der USA beginnt in Chiapas und endet am Rio Bravo, das heißt, die eigentliche Grenze stellen nicht mehr die Vereinigten Staaten von Amerika dar, sondern die Vereinigten Staaten von Mexiko.
Auch der mexikanische Politikwissenschaftler Alex Munguía Salazar kritisiert, dass Mexiko "die Aufgaben der US-amerikanischen Migrationspolizei übernimmt", obwohl das Land die 2003 in Kraft getretene Internationale Konvention über die Rechte von Wanderarbeitern und ihrer Familien unterzeichnet habe.
Während der Plan Sur seit Juli 2001 umgesetzt wird und seitdem jährlich um die 200.000 vor allem mittelamerikanische Migranen auf US-Kosten aus Mexiko nach Guatemala und von dort in ihre Heimatländer abgeschoben werden, sind die Verhandlungen um das Migrationsabkommen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ins Stocken geraten. Die USA machen immer mehr Sicherheitsaspekte zur Bedingung, und die mexikanische Regierung, die durch das 1994 in Kraft getretene nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA vielfach von der US-Politik abhängig ist, spielt mit. Obwohl der mexikanische Außenminister vor Kurzem verkündete, die Verhandlungen um das Migrationsabkommen seien auf dem besten Weg und eine Vermittlung durch die UNO in dieser Angelegenheit sei unnötig, gehen Experten davon aus, dass es vor dem Ende der Amtszeit von Präsident Bush zu keinerlei Vertragsabschluß kommen wird. Jaime Martínez Veloz kommentiert in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada:
Das trügerische Migrationsabkommen mit den USA ist eine Utopie, die nicht an Konkretion gewinnt, sondern im Gegenteil wie die Karotte funktioniert, die dem Esel vor der Nase aufgehängt wurde, der sie ergebnislos verfolgt und dabei ihre Unerreichbarkeit hartnäckig leugnet.
Im August 2004 verteidigte die Regierung von Vicente Fox sogar den Einsatz von Gummigeschossen gegen Migranten an der Südgrenze der USA, weil es sich dabei um "nichttödliche Waffen" handle, das Leben und die Rechte der eigenen Landsleute durch den Einsatz dieser Waffen also im Verhältnis zum Einsatz scharfer Munition geschützt werden könnten. Für die mexikanische Regierung gilt es zum Teil schon als Erfolg, wenn sie über die Verhaftung von mexikanischen Staatsbürgern auf US-Territorium informiert wird.
Trotz der wohlklingenden Verlautbarungen, man kämpfe für die Einhaltung der Menschenrechte aller Migranten, lassen die konkret durchgeführten Schritte eher den Schluss zu, dass die mexikanische Regierung sich als Juniorpartner in allen Belangen von den USA immer mehr Zugeständnisse abringen lässt. So wurde 2004 ein "Programm zur freiwilligen Rückführung" (Programa de Repatriación Voluntaria aufgelegt, das über die Sommermonate die Zahl der Todesfälle unter denjenigen verringern soll, die versuchen, die USA über die Wüste von Sonora auf der mexikanischen und Arizona auf der US-amerikanischen Seite zu erreichen. Im Rahmen dieses Programms sollen bereits mehr als 20.000 Migranten auf Kosten der USA nach Mexiko-Stadt geflogen und von dort mit dem Bus in ihre Heimatorte zurückgebracht worden sein.
An dem lebensgefährlichen Stück Grenze zwischen Sonora und Arizona starben allein im Jahr 2004 297 mexikanische Migranten an Hitze, Durst und Schlangenbissen. 600.000 Migranten wurden dort 2004 von der Border Patrol aufgegriffen, das entspricht 51 Prozent der gesamten Festnahmen von klandestinen Einwanderern in der Grenzregion. Dieses Stück Wüste hat für die Arbeitsmigranten aus dem Süden immer größere Bedeutung erlangt, seitdem an den früher meistpassierten Grenzstücken hin zu Kalifornien und Texas in den letzten Jahren hohe, mehrfache Metallbarrieren errichtet wurden, um den Übertritt zu erschweren.
Seit April 2005 agieren auf einem 23 Meilen langen Grenzstreifen nach Arizona zusätzlich die sogenannten Minutemen, bewaffnete Bürgerwehren von Rangern, die sich der Jagd auf Migranten widmen und dieses Grenzstück rund um die Uhr bewachen. Die mexikanische Seite versucht, die Erfolgsquote der Minutemen dadurch zu reduzieren, dass Grupo-Beta-Patrouillen potentielle Grenzüberquerer vor den Feinden auf der anderen Seite warnen und nach Agua Prieta bringen. Die Grupo Beta-Leute markieren auch weithin sichtbar Wasserstellen in der Wüste südlich der Grenze, um Todesopfer zu vermeiden.
Anfang November forderten nun republikanische Abgeordnete im US-Kongress, eine Mauer entlang der gesamten US-mexikanischen Grenze zu errichten. Spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei klar, dass illegale Einwanderung eine landesweite Angelegenheit sei, "die jeden einzelnen Amerikaner betrifft", sagte der Abgeordnete Duncan Hunter aus Kalifornien. Den entsprechenden Gesetzesentwurf unterstützte neben Hunter auch sein Kollege Virgil Goode aus dem Bundesstaat Virginia (Gated Nations: Rückzug hinter Mauern).
Auf der anderen Seite wird erwartet, dass die schweren Verwüstungen, die der Hurrican Stan im Oktober in ganz Mittelamerika und Südmexiko angerichtet hat, zu einer verstärkten Migrationswelle in Richtung Norden führen werden. Die Schäden, die Stan angerichtet hat, werden schwerwiegender eingeschätzt als die 1998 durch Mitch verursachten. Tausende Menschen verloren ihre Häuser, ganze Ortschaften wurden unter Schlammlawinen begraben und die Ernten hinweggespült. Die Abschottungsmaßnahmen der USA und ihrer mexikanischen Hilfsheriffs werden dazu führen, dass diese Menschen immer gefährlichere Routen wählen, um nach Norden durchzukommen - aufhalten werden sie sie nicht.