Niger: Kriegsgefahr in Afrika wächst – aggressives Frankreich und lavierende USA

Nigrische Armee-Einheit beim Manöver. Archivbild (2007): US-Navy

Sondergipfel Ecowas: Noch keine Entscheidung zur gewaltsamen Intervention. Drohkulisse steht, Interventionstruppe ist bereit. Furcht vor Eskalation ist groß. Warum Russland politisch profitieren kann.

Zumindest vorläufig soll es bei der Drohung mit dem militärischen Knüppel bleiben. Auf diese kurze Formel lässt sich die Beschlusslage des gestrigen Sondergipfels der zuständigen Regionalorganisation – in diesem Falle handelt es sich um die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, französisch Cedeao und englisch: Ecowas abgekürzt – bringen.

So enthält der Punkt (k) ihrer Abschlusserklärung die Ankündigung, die für militärischen Druck zuständige Eingreiftruppe aufzustellen und bereitzuhalten; doch der darauffolgende Punkt L. läuft darauf hinaus, es zunächst einmal mit friedlichen Mitteln zu probieren, um dieselben Ziele zu erreichen.

Hauptziel wäre dabei die Wiedereinsetzung des, am 26. Juli dieses Jahres durch einen Armeeputsch gestürzten Staatspräsidenten Mohamed Bazoum im mittelafrikanischen Staat Niger.

Treibende Kraft: Obere Armeespitze

Treibende Kraft hinter dem Staatsstreich waren dabei, anders als bei den vorausgegangenen Militärputschen in den Nachbarländern Mali im August 2020 sowie Mai 2021 und Burkina Faso (2022), nicht die unteren und mittleren Ränge der Armee – die sich in diesen vorgenannten Fällen gegen die Generalität wie auch gegen die politische Staatsführung durchsetzten, und dabei durch mehr oder minder massiven Applaus aus der Bevölkerung begleitet wurden -, sondern die obere Armeespitze.

Zuvor hatte es im Mai dieses Jahres Streitigkeiten zwischen der militärischen Hierarchie und dem damaligen Staatspräsidenten Bazoum um Postenbesetzungen gegeben.

Bündniswechsel

Die Auswechslung der Machthaber infolge des Staatsstreichs bedeutet auch die Perspektive auf einen zumindest teilweisen Bündniswechsel des Landes, vor allem weg vom bisherigen Hauptverbündeten, der früheren Kolonialmacht Frankreich.

Diese Forderung ist in der Region überaus populär, aus nahe liegenden Gründen, die mit der inzwischen notorischen Erfolglosigkeit Frankreichs bei der seit 2013 zunächst in Mali ausgerufenen militärischen Bekämpfung ebenso zusammenhängen wie mit dem Jahrzehnte hindurch betriebenem Rohstoffraub.

Dass die von Frankreich betriebene Intervention gegen dschihadistische Aktivitäten in der Region unter diesen Voraussetzungen unter Legitimitätsmangeln in den Augen der örtlichen Bevölkerung leidet und fast nur erfolglos bleiben konnte, ähnlich wie in Afghanistan, dürfte zum Teil auf der Hand liegen.

Politischer Profiteur Russland

Ein politischer Profiteur dabei könnte Russland heißen. Doch ist Vorsicht bei den Einschätzungen angebracht. Denn neben Frankreich, das derzeit 1.500 Soldaten in Niger aushält und aus dem Land – seit dem politischen erzwungenen Abzug seiner Armee aus Mali 2022 – seine regionale Drehschreibe machte, unterhält auch die US-Armee dort Stützpunkte, unter anderem eine Drohnenbasis.

Zwar häufen sich Berichte darüber, dass die neue Militärregierung in Niger nun bei Russland auch militärische Hilfe holt.

Dennoch dürfte es wohl nicht zum unmittelbaren militärischen Showdown zwischen US-Amerikanern und Russen in der Sahelzone kommen; ähnlich, wie die beiden Großmächte ihn in den letzten zehn Jahren in Syrien vermieden (was dort allerdings auch auf einen Bestandschutz für das durch Russland unterstützte Folterregime der Familie al-Assad hinauslief).

Die US-Administration lavierte deswegen in den letzten zwei Wochen auch tendenziell herum, was seine Position zum Niger betrifft. Es wäre kurzschlüssig, aus der vergangenen Ausbildung einzelner nigrischer Militärs in den USA unmittelbar auf irgendeine Schlüsselrolle des Landes bei dem Putsch zu schließen.

Handelt es sich doch nicht einfach um Marionetten. Dasselbe gilt auch für Russland. Doch offenkundig ist die US-Administration, zunächst auf suchende Weise, um Einflussnahme bemüht.

Die USA

Noch am Dienstag, den 1. August wollte man im Weißen Haus in Washington D.C. deswegen auch gar nicht die Alarmglocken betreffend den russischen Einfluss schrillen lassen - man habe keinerlei Hinweise darauf, dass Russland in den Putsch verwickelt sei, hieß es zunächst, und man habe keine Entscheidung zur Evakuierung von US-Staatsbürgern aus dem Niger getroffen und auch nicht darüber, zwischenstaatliche Entwicklungshilfe einzufrieren -- wie Frankreich dies vorige Woche gegenüber dem Niger, zu Anfang dieser Woche nun auch gegenüber Burkina Faso tat.

Die Behörden in Paris ließen unterdessen schon seit demselben 1. August in fünf Flugzeug-Rotationen alle ausreisewilligen französischen Staatsangehörigen sowie rund 500 Angehörige anderer westlicher Staaten evakuieren.

Doch inzwischen hat auch die US-Administration mit dem Ausfliegen als "nicht wesentlich" (non essentiel) bezeichneter Teil ihres Personals in Niamey begonnen. Und sie hat den Ton gegenüber der Putschregierung verschärft, Präsident Joe Biden forderte wie auch etwa sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron die volle Wiedereinsetzung des gestürzten Präsident Bazoum in sein Amt.

Dieser ist gesundheitlich wohlauf, scheint jedoch in seiner Residenz unter Hausarrest und Überwachung der Militärregierung zu stehen. Am vorigen Donnerstag appellierte er in der Washington Post an die USA, notfalls gewaltsam gegen die Putschregierung vorzugehen.

Das hat beträchtliche Eskalationsrisiken für die gesamte Region.

Die Gefahr eines neuen "afrikanischen Weltkriegs"

Treibende Kraft bei einem gewaltsamen Vorgehen, das jedoch beträchtliche Eskalationsrisiken für die gesamte Region und die Gefahr eines neuen "afrikanischen Weltkriegs" nach dem zu Anfang der 2000er Jahre in der Demokratischen Republik Kongo (u.a. unter Beteiligung von Rwanda, Angola, Zimbabwe…) geführten Kriegs heraufbeschwören könnte, ist vor allem Frankreich.

Am vorgestrigen Mittwoch warf die neue Staatsführung in Niamey der französischen bereits vor, ihren Luftraum verletzt zu haben, man habe vom Tschad her ein Militärflugzeug in den geschlossenen nigrischen Luftraum eindringen lassen. Näher lässt sich dieser Vorwurf augenblicklich nicht überprüfen.

Daneben beruft sich das offizielle Frankreich nun wiederum auf den "illegitimen" Charakter der seit nunmehr einer guten Woche amtierenden neuen (faktischen) Machthaber, um grundsätzlich zu verweigern, was diese jetzt einfordern: die Aufkündigung der seit 1961 sowie 1977 sukzessive abgeschlossenen Militärabkommen des Staates Niger mit Frankreich, von denen zumindest einige Klauseln der Geheimhaltung unterlagen.

Ein ziemlich schlechter Witz aus Paris

Nur mit demokratisch legitimierten Regierenden, verlautet dazu nun aus Paris, könne man darüber diskutieren. Doch dies ist natürlich ein ziemlich schlechter Witz: Im Laufe der jüngeren Geschichte des 1960 formal unabhängig gewordenen Landes fanden vier erfolgreiche Militärputsche und mindestens sieben Putschversuche statt.

Die klare Mehrzahl der regierenden Staatspräsidenten ging selbst aus Putschen hervor.

Das älteste derzeit gültige militärische "Kooperationsabkommen" zwischen Paris und Niamey, dasjenige vom 19. Februar 1977, das zu den soeben von nigrischer Seite aufgekündigten vier Abkommen zählt, wurde unter dem 1974 aus einem Armeeputsch (zunächst gegen den Willen der Entscheidungsträger in Frankreich) siegreich hervorgegangenen Staatspräsidenten Seyni Kountché abgeschlossen.

Es wurde also just mit einer Putschregierung eingegangen.

Frankreich: Forderungen im Befehlston

Forderungen im Befehlston aus Paris können deswegen die Vorgänge im Niger nur verschärfen und der neuen Militärregierung eher Popularität verschaffen denn nehmen.

Auch wenn ein Teil der Bevölkerung sich derzeit eher "zwischen dem Hammer der Militärs und dem Amboss der Cedeao/Ecowacs" sieht, wie eine in Niamey tätige Anwältin (Name ist der Redaktion bekannt) es gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen formuliert hat: Rund 30.000 Menschen nahmen am vorigen Sonntag in einem Stadion in Niamey an einer Unterstützungskundgebung für den Machtwechsel teil.

Unterstützung erhält Frankreich potenziell von eben dieser westafrikanischen Regionalorganisation. Dazu stünden der Cedeao respektive EcowAS rund 245.000 Soldaten zur Verfügung. Auf nigrischer Regierungsseite stünden dem rund 30.000 Soldaten gegenüber, zusammen mit den verbündeten Staaten könnte diese Zahl auf 57.000 angehoben werden.

Interventionshindernisse

Doch zuletzt kam aufseiten der Regionalorganisation ein politisches Interventionshindernis auf: In Nigeria, also bei der mit Abstand stärksten Militärmacht innerhalb der Wirtschaftsorganisation westafrikanischer Staaten, verweigerte der Senat (also das parlamentarische Oberhaus) dem im Februar dieses Jahres frisch gewählten Bola Tinubu die Zustimmung zur Intervention.

Würde das Staatsoberhaupt dennoch eine Entscheidung zum kriegerischen Agieren treffen, dann könnte dies dort eine Verfassungskrise auslösen.

Ansonsten befürworteten innerhalb der Cedeao respektive Ecowas zunächst vor allem die Staatsführungen im Senegal, in der Côte d’Ivoire (oder Elfenbeinküste) sowie in Benin ein militärisches Eingreifen. Allerdings setzt die Regierung in Benin, wo dagegen Proteste stattfanden, inzwischen laut eigenen jüngsten Erklärungen eher auf Dialog und eine Verhandlungslösung.

Viele Regierungen in der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft sind politisch und ökonomisch eng mit Frankreich liiert, namentlich die amtierenden im Senegal und in der Elfenbeinküste. Allerdings ist ihr militärisches Schwergewicht unterdessen das englischsprachige Nigeria, das bereits in der Vergangenheit im übrigen Westafrika intervenierte, v.a. zu Anfang des Jahrtausends in Liberia.

Dessen Präsident würde ganz gerne seine regionale Machtposition unterstreichen, doch muss er mit erheblichen innenpolitischen Widerständen dagegen rechnen.

Noch sind die Würfel für ein gewaltsames Eingreifen nicht gefallen. Es wäre der Bevölkerung in der ganzen Region zu wünschen, dass es dazu nicht kommt. Im Visier der Großmächte zu bleiben, verheißt selten wirklich Gutes.