Niger als Projektionsfläche der Weltpolitik

Erst jetzt hat sich der Regierungschef von Niger zu Wort gemeldet und sieht das Land als Spielball britischer und amerikanischer Interessen im Irak-Konflikt

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Seit der ersten Erwähnung in der Öffentlichkeit, dass das Hussein-Regime vom Niger Uran kaufen wollte, was als Beispiel für die Existenz eines Atomwaffenprogramms dienen sollte, wurde über den Kopf von Niger hinweg verhandelt, ob dieser Vorwurf auf irgendwelchen haltbaren Tatsachen beruht. Die Kriegsparteien, die unbedingt die Gefährlichkeit des Hussein-Regimes beweisen wollten, stützten sich auf gefälschte Dokumente, die eine italienische Journalistin 2001 der US-Botschaft in Rom übergeben haben soll. Die Journalistin vom Berlusconi-Magazin Panorama will aber wiederum nicht sagen, von wem sie diese hatte, was auch wieder zu Spekulationen beitragen kann. Die Regierung von Niger allerdings wurde offenbar aber trotz der Bedeutung für Krieg und Frieden sowie Wahrheit und Lüge nicht direkt gefragt.

Das erste Mal kam die Niger-Connection in einem von der britischen Regierung veröffentlichten Dossier ans Licht der Öffentlichkeit. Die US-Regierung übernahm trotz der Skepsis der Geheimdienste bekanntlich dankbar die Information, um dem Irak der Verletzung der UN-Resolutionen zu beschuldigen - wider besseren Wissens, denn es wurde zur Überprüfung der Dokumente ein Gesandter in den Niger geschickt, der die Fälschung bestätigte. Obgleich die Dokumente auch von den UN-Inspektoren schnell als Fälschungen entlarvt wurden, übergingen die Kriegsbefürworter in ihrem Willen zur militärischen Invasion solche Zweifel und wiederholten lieber permanent die unbewiesenen, teilweise auch fingierten, zumindest hoch aufgebauschten Behauptungen.

Zwar war die Kriegsentschlossenheit der Bush-Regierung eigentlich allen klar, ebenso wie die Gründe für den Irak-Krieg, was die angeblichen Massenvernichtungswaffen und die Verbindung mit al-Qaida anging, von Anfang an ziemlich durchsichtig als Vorwände waren. Doch vor und während des Kriegs waren Opposition und Medienöffentlichkeit nicht nur in den USA gelähmt. Erst als nach Monaten der Besetzung noch immer keine Spur irgendwelcher Massenvernichtungswaffen präsentiert werden konnten, gewann die Diskussion über die Kriegsgründe an Schwung und Überzeugungskraft. Doch auch diejenigen, die die britische und amerikanische Regierung des Aufbauschens und der Lüge bezichtigten und gerne zu den 16 Worten in Rede an die Nation von Bush griffen, für die nun von CIA-Chef Tenet bis hin zur Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice Sündenböcke aufgeboten werden, um Bush zu decken, fragten nicht in Niger nach.

Das ist erstaunlich, weil zwar die amerikanische Regierung und die CIA von der Aussage Abstand genommen und die Verantwortung insgesamt nach Großbritannien schieben wollen, die britische Regierung aber daran festhält, dass die Niger-Connection nicht alleine durch die gefälschten Dokumente belegt worden seien, sondern, unabhängig davon, auch durch Informationen eines Geheimdienstes eines anderen Landes bestätigt wurden. Den darf die britische Regierung aber nicht nennen, was die Sache entweder geheimnisvoll oder als Schutzbehauptung durchschaubar macht, aber sicherheitshalber hatte man während der gesamten Monate auch nicht erneut nachgeforscht, um die Behauptung zu belegen Man scheint lieber unter sich zu diskutieren, das Land auf dem Schwarzen Kontinent muss zwar für Gerüchte herhalten, bleibt aber eine Projektionsfläche und ansonsten im Schwarzen Loch der Weltpolitik.

Jeder weiß, dass die Behauptungen nicht stimmen

Immerhin hat nun der konservative Telegraph, der zwar stramm auf Kriegskurs lag, aber dennoch nicht Labour-freundlich ist, einmal beim Ministerpräsident Hama Hamadou von Niger wegen der angeblichen irakischen Uran-Anfrage nachgefragt. Niger ist der weltweit drittgrößte Uranlieferant, das Land erzielt die meisten Devisen über den Uran-Export. Die zwei großen Minen Arlit und Akouta werden vom französischen Konzern Cogema zusammen mit der staatlichen ONAREM betrieben, bei Akouta ist auch noch eine japanische und eine spanische Gesellschaft beteiligt. Da Niger einst eine französische Kolonie war, kamen daher erst einmal Gerüchte auf, die Niger-Connwection könne über französische Geheimdienste aufgekommen sein. Die, so munkelte man, dürften offiziell aber nichts sagen, weil doch ihre Regierung gegen den Irak war. Vielleicht aber könnte auch Spanien, von Anfang an bei der Koalition der Willigen, oder gar Japan, das gerade beschlossen hat, Truppen in den Irak zu senden, eine Informations- oder Fälschungsquelle gewesen sein.

Angeblich, so sagte der französische Botschafter Denis Vène in Niger schon letzte Woche, sei es jedenfalls ganz unmöglich, dass Uran heimlich und noch dazu in derart großen Mengen, wie sie zum Bau von Atomwaffen notwendig wären, heimlich aus dem Land gebracht werden könnte. Das sagen auch Mitarbeiter der Uran-Minen, die von Telegraph-Journalisten befragt wurden. Nigers Ministerpräsident bestätigt dies und wirft der britischen und amerikanischen Regierung indirekt vor, ihr Spiel auf dem Rücken von Niger ausgetragen zu haben, da doch jeder wisse, "dass die Behauptungen nicht stimmen". Niemals habe man eine offizielle Beschuldigung von Seiten Großbritanniens oder der USA erhalten, die mit der Geschichte die Öffentlichkeit in ihrem Sinne beeinflussen wollten. Das Land aber sei zu arm, um in die Politik der mächtigsten Nationen der Welt verwickelt zu werden. Hat Niger deshalb so lange dazu geschwiegen?

Hammadou beteuert überdies, dass das Land niemals diplomatische Verbindungen oder bilaterale Beziehungen zu Irak gehabt habe. Niemals hätten sich Regierungsvertreter beider Länder getroffen, um über Uran zu sprechen. Man habe sogar als erstes afrikanisches Land 1991 Truppen zum Kampf gegen Hussein zur Verfügung gestellt: "Behandeln die Briten und Amerikaner so ihre Alliierten?" Neben dem Vorwurf, benutzt worden zu sein, weist der Regierungschef schon den Gedanken an eine Hilfe für Hussein weit zurück: "Würden wir wirklich Materialien an jemanden schicken, gegen den wir gekämpft haben und der die halbe Welt mit einem Atombombe zerstören könnte? Das ist unvorstellbar."

Ganz unvorstellbar wäre das freilich nicht, aber doch in diesem Fall sehr unwahrscheinlich, weil es offenbar im Irak kein Atomwaffenprogramm mehr gegeben hat. Aber Niger - "weit weg", eine Art No-Name-Nation - mit in das Projekt Irak-Krieg hineinzuziehen, schien machtpolitisch doch gelegener zu kommen, als anderen Ländern auf anderen Kontinenten, beispielsweise Russland, derartiges zu unterschieben. Das wäre trotz der Differenzen nicht gut gewesen. In Afrika spielen hingegen solche Feinheiten, wenn keine geostrategischen Gründe wie etwa in Nigeria mit seinem Öl dafür sprechen, keine große Rolle. Auch Menschenrechtsverletzungen und Tyrannen mit al-Qaida-Verbindungen sind kein Anlass, eine selbstlose Operation Liberia Freedom mit großen Truppen zu starten. Da werden 10 Millionen Dollar Unterstützung versprochen und symbolisch drei Schiffe geschickt. Es gibt Freunde, Feinde und Länder, die von Interesse sind - und es gibt Schwarze Löcher, die aus der Aufmerksamkeit herausfallen, selbst wenn sie von den mächtigen Ländern benutzt werden, um eigene Interessen zu befördern. Ob es stimmt, was der Regierungschef von Niger sagt, ist da schon fast nebensächlich.