Nimm die Tüte und renn
Irgendwie erinnerte die IFA an ein Szenario von Philip K. Dick
Na schön, dann war sie eben ein Erfolg, die IFA 2003. Die Händler haben brav geordert, und das gemeine Fernsehvolk schleppte Sandra Maischberger durch die Hallen. An allen Ecken und Ecken lächelte das Konterfei der Ausfragerin von jenen Taschen der ARD herab, die der gemeine Besucher am Südeingang verpasst bekam. Doch vor lauter Maischberger war der Stand der ARD quasi unauffindbar. Egal, kein Mensch geht auf die IFA, um einer dieser peinlichen Messeübertragungen beizuwohnen, und mehr als Kugelschreiber kriegt man eh nicht - wenn überhaupt. War eine supersparsame Messe in dieser Hinsicht. Das Beste waren noch die Tüten, vor allem die aufblasbare, kirschrote Umhängetasche von JVC. Die ideale Unterlage für ein Nickerchen. Zum Beispiel in einem der Ball Chairs bei Philips. Die waren zwar kleiner als das Original, aber dafür mit Soundsystem. Wenn nur die Musik besser ausgewählt gewesen wäre, hätte man es dort durchaus aushalten können.
Überhaupt die Inhalte. Konnte man glatt vergessen. Das hatte durchaus seinen Reiz. War man doch ganz zurückgeworfen auf das Hier und Jetzt. Auf die Beantwortung essentieller Fragen. Wie zum Beispiel: Was passiert, wenn man jetzt auf diesen Knopf hier drückt? Oder: Stimmt der Sound? Ist das Bild auch richtig scharf? Ganz egal, was da läuft. Es geht nur um das Medium. Hören und Sehen in seiner reinsten Form. Wobei man zum Sehen am besten in einer dieser Blackboxes bei Toshiba oder Samsung verschwand. Dort ging es richtig zur Sache. Niemand scherte sich um die Story. Stattdessen wurde jedes Bild einzeln begutachtet. Technische Fragen konnte man einfach mal so in den Raum stellen. Und siehe da, aus dem Dunkel ertönte eine Stimme, und die verriet einem alles, was man wissen wollte. Was sich da auf der Projektionsfläche inhaltlich abspielte, tat nichts zur Sache. Hauptsache, das Bild an sich war perfekt. Das war wenigstens konsequent und tausendmal überzeugender als diese piefigen Videoinstallationen auf diesen ganzen Kunstausstellungen - Dokumenta, Biennale, und wie sie alle heißen (The Paradise Institute).
Gleichzeitig war die IFA auch ein bisschen traurig. Eben weil es fast nur ums Fernsehen ging. Als ob es nichts anderes mehr gäbe im Leben. Nun gut, die IFA heißt nicht umsonst Internationale Funkausstellung oder World Of Consumer Electronics. Trotzdem, ein bisschen mehr als TV auf der Backofenklappe und Camcorder im Lippenstiftformat möchte man schon geboten kriegen. Und wenn man sich so umsah an den Rändern der Inszenierung, dann beschlich einen stellenweise das Gefühl, man sei da in eine etwas einfältige Vision hineingeraten. Wie in Ubik von Philip K. Dick, wo die Realität an den Rändern so merkwürdig ausfranst, eben weil die Protagonisten nicht in der Realität, sondern vielmehr in der reichlich unvollkommenen Fantasie eines untoten Jungen herumgeistern.
Dazu passten zum Beispiel dieses ausrangierte Regal und die zerbrochene Lotteriebox am Rande des durchgestylten Sony-Standes, die (am ersten Messetag!) ansonsten keine Daseinsberechtigung hatten. Und dieser Chips-Kiosk zwischen Halle 8 und 10 - gehörte der nicht eigentlich nach Bangkok? Und was war mit diesen stümperhaften Playback-Sängerinnen im Fernsehgarten? Warum lief da zweimal derselbe Clip? Hat da jemand an der Matrix rumgepfuscht? (Bekanntlich wurde The Matrix unter anderem von Ubik inspiriert.) Und dieser Rennwagen am Rande des Fernsehgartens? Warum durfte man mit dem nicht durch die Rabatten brettern? Doch nicht etwa, weil der untote Junge, der sich an seinen letzten IFA-Besuch erinnert, keinen Führerschein hat?
Nicht gerade beruhigend waren vor diesem Hintergrund die Fernsehstüberl - die unverdunkelten Gegenstücke zu den oben beschriebenen Blackboxes und wie diese am Rande des Geschehens lokalisiert. Am Mega-Stand von Samsung zum Beispiel gab es den Mania Room. Klang richtig vielversprechend, doch statt psychedelischen Farbrausch in Zuckerkulör gab es bloß Klassik. Jawohl! Einen Konzertmitschnitt. Soundso Sinfoniker unter der Leitung von einem dieser Superdirigenten aus Japan. Könnte Kent Nagano gewesen sein - allerdings war die Frisur anders als auf seiner offiziellen Website. War ziemlich leer im Mania Room, abgesehen von einem Herrn von Samsung, der einer Hand voll Besuchern die Anlage erklärte. Im Executive Living Room nebenan war deutlich mehr los. Lag vielleicht an The Matrix. Sehr verdächtig, dass man bei Samsung zum Stichwort Executive einen Film mit den Kernthemen Ausbeutung und Überwachung assoziiert. Und was mag die unterschwellige Botschaft von Chicken Run im Family Living Room gewesen sein? Auch nicht gerade hoffnungsvoll die Stimmung im Bed Room: auf der schmalen Bettstatt ist nur Platz für eine Person, und die bekommt dann auch noch Final Fantasy - The Spirits Within präsentiert. Jenen vollanimierten Film, wo die Programmierer der weiblichen Hauptfigur Aki Gänsehaut bekommen haben. Weil sie das Gefühl hatten, mit einer Leiche zu hantieren. Dann vielleicht doch lieber der Study Room mit PC - ganz ohne verfängliche Filme, allerdings mit RetroRock in Nirvana-Attitüde. Alles olles Zeug - und damit voll kompatibel mit der Ubik-Theorie. Wenn das kein Zeichen ist. . .
Nur ein Stand konnte es in der Sparte Namen für Fernsehstüberl mit Samsung aufnehmen: Panasonic. Immerhin lockte dort - neben Nieten wie component home theatre, high quality sound theatre und all in one home theatre - das stylish plasma theatre. Die Umsetzung ließ leider zu wünschen übrig. Es sei denn, man ist ein tiefgekühlter Teenager, dann findet man die Kombination von The Bourne Identity, einem gelb getünchten Raum mit rotem Sofa und Bambus in Glasvasen vielleicht stylish. Apropos Bambus: Wenn es in den Hallen der IFA was Pflanzliches zu sehen gab, dann höchstens dieses Hohlraumgewächs aus Fernost. Mal grün und spirrelig in schmalen durchsichtigen Vasen, mal bratwurstdick und angeschrägt als Unterlage für MemorySticks und andere Kleinigkeiten, oder richtig fett und dicht an dicht. Am besten in Szene gesetzt bei CAT, wo silberne Gerätschaften im Schummerlicht matt glänzten und man vor lauter Bambuswald die zierlichen Frauenzimmer in roten Chinakleidchen glatt übersah. Nur schade, dass sie nicht barfuss im Sägemehl aufwarteten, sondern Schuhe anhatten - es gab da nämlich einen sandigen Stand, den nur Händler betreten durften, und da wurde man von einer barfüßigen Hostess mit Lockenmähne begrüßt.
Natürlich könnte man anhand der Vorliebe für Bambus die Theorie aufstellen, dass die Quelle der IFA-Fantasie irgendwo in Fernost zu lokalisieren ist. Andererseits muss man sich nur mal umschauen in deutschen Wohnzimmern und Anzeigenblättchen - überall Bambus. Eine wunderbare Pflanze, gewiss, kaum zu übertreffen die Schönheit des Schildkrötenbambus, des Goldenen Bambus oder des Sesamsamen-Bambus. Und weil ein Junge aus Asien ganz sicher ein paar Bambusvarianten und nicht immer nur den Standardbambus auf Lager hätte, muss man die Quelle wohl eher in Deutschland suchen.
Zum Beispiel in Berlin. Ist es nicht verdächtig, dass ausgerechnet die Region Berlin-Brandenburg zum Testgebiet für das so genannte Überall-Fernsehen auserkoren wurde? Schließlich ist Ubik etymologisch verwandt mit ubiquitär, englisch ubiquitous (lat. ubique), und das bedeutet soviel wie allgegenwärtig, oder eben überall. Nun steht der Begriff Ubik im gleichnamigen Roman von Philip K. Dick nicht für das Fernsehen, sondern vielmehr für ein Allround-Produkt, das - als Spray - insbesondere dazu dient, die Realität zumindest kurzfristig wiederherzustellen. Andererseits hat das Fernsehen inzwischen genau diese Rolle übernommen: es stellt den Bezug zur Realität wieder her.
Wie sonst wüsste man Bescheid darüber, was in der Welt passiert? Doch nicht etwa durch eigene Erfahrung. Nein, man lässt sich die Welt ins Wohnzimmer bringen. Zumindest lautet so das Versprechen. Deshalb ist es nur konsequent, dass das Fernsehen nicht nur überall verbreitet ist, sondern bald auch überall zu empfangen sein wird - die entsprechende technische Ausstattung vorausgesetzt, denn bald ist Schluss mit analog. In Berlin schon seit dem 4. August 2003, und bald auch im Rest der Republik.
Geradezu gruselig liest sich die Beschreibung der Vorgehensweise: "Die Umstellung erfolgt zunächst in Ballungsgebieten und wird dann nach und nach auf ganz Deutschland ausgeweitet (sog. Insellösung)" Gruselig deshalb, weil diese "Insellösung" stark an die inselhafte Pseudorealität in Ubik erinnert - und ist es nicht ein total pubertärer Wunsch, überall TV-Empfang zu haben? Tja, und wie hängt das alles zusammen mit Sandra Maischberger? Klare Sache: der Fantast ist ein Fan von ihr - noch dazu entspricht sie dem Dickschen Idealbild des dunkelhaarigen Mädchens -, er hat die ferngesteuerten Männer beim ARD davon überzeugt, Biolek auszumustern und Maischberger auf Bioleks Sendeplatz zu hieven. Und diese ganze Fragerei von Sandra Maischberger dient nur dazu, den kaltgestellten Teenager mit neuem Stoff zu versorgen. Denn davon lebt er. Kann man jederzeit nachlesen bei Philip K. Dick.