Noch ein Versuch

Wissenschaftler am Cern dürfen noch einen Monat länger nach dem Higgs Boson suchen, dem letzten Teilchen, dessen Existenz noch nicht nachgewiesen werden konnte

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Nach der zeitlich gut lancierten medienwirksamen Meldung, dass Wissenschaftler von Cern möglicherweise Spuren des Higgs Boson, des einzigen von der Standardtheorie vorausgesagten subatomaren Teilchens, dessen Existenz noch nicht empirisch nachgewiesen werden konnte, wird die Schließung des LEP-Beschleunigers zumindest um einen Monat hinausgeschoben.

Mit der gestern getroffenen Entscheidung, den Large Electron-Positron Beschleuniger, an dessen Stelle der Large Hadron Collider (LHC) gebaut wird, noch weiter zu betreiben, haben die Wissenschaftler noch ein wenig Zeit gewonnen, um die Experimente zu wiederholen. Die "spannenden neuen Ergebnisse der LEP-Experimente" würden den Aufschub legitimieren, der den Bauplan für den LHC aber nicht gefährde.

Nachdem von den amerikanischen "Konkurrenten" im Fermilab vor zwei Monaten der Nachweis des Tau-Neutrino gelungen ist (Fermilab weist die Existenz von Tau-Neutrinos nach), ist das Higgs Boson der letzte "Baustein der Materie" oder das missing link der Standardtheorie, für das experimentell noch kein Nachweis gelungen ist. Wer dieses Teilchen entdeckt, wird ziemlich sicher mit einem Nobelpreis gewürdigt werden. Überdies gingen die Entdecker auch als diejenigen Wissenschaftler in die Geschichte ein, die mit diesem Abschluss auch einen der größten Erfolge der Physik erzielt hätten. Da einzig Cern und das Fermilab über genügend große Beschleuniger verfügen, findet ein Wettlauf zwischen der europäischen und der amerikanischen Forschungseinrichtung statt, auch wenn die Wissenschaftlerteams natürlich international besetzt sind.

Bei den letzten Experimenten mit dem LEP, bei die Teilchenströme mit der bislang höchsten Energie von bis zu 209 GeV (Giga-Elektronenvolt) zusammenprallten, hatten die Wissenschaftler vier mögliche Kandidaten für ein Higgs Boson entdeckt, deren Masse außergewöhnlich von den anderen gemessenen Ereignissen abwich und mit der von der Standardtheorie vorausgesagten Masse für Higgs Bosonen kompatibel wäre. Allerdings ist die Topologie der Resultate auch mit anderen Prozessen der Standardtheorie kompatibel, so dass bislang nur eine vage Hoffnung für die Entdeckung besteht. Nachweise für dieses Teilchen sind wegen seiner extremen Flüchtigkeit besonders schwierig zu erlangen, denn eigentlich existiert es nur virtuell und zerfällt, bevor es beobachtet werden könnte. Nachweisen läßt sich das Higgs Boson also nur indirekt, wenn durch den Zusammenprall äußerst schnell beschleunigter Teilchen soviel Energie entsteht, dass ein Teilchen entsteht und seine Existenz aufgrund der Kombination aus Partikeln, in die es zerfällt, erkennbar ist.

Das Higgs Boson wurde nach dem britischen Physiker Peter Higgs benannt, der seine Existenz vor über 30 Jahren vorausgesagt hat. Das Teilchen eröffnet ein Feld, das alle anderen subatomaren Teilchen wie Elektronen, Gluonen oder Quarks passieren und je nach Grad der Interaktion mit diesem Feld ihre Masse erhalten.

Die Wissenschaftler wollen jetzt noch einmal Experimente durchführen, um nachzuprüfen, ob sich das vermutete Higgs Boson Signal bei 114 GeV bestätigen lässt. Unwahrscheinlich ist, dass selbst bei Erfolg damit genügend Daten gesammelt werden können, um die Entdeckung des Higg Bosons für sich reklamieren zu können. Die neuen Daten könnten schon eher eine Vorarbeit für die Kollegen vom Fermilab sein. In Cern wird man erst mit der Fertigstellung des LHC, die für das Jahr 2005 anvisiert ist, die Suche nach dem Higgs Boson wieder aufnehmen können.