Noch immer glaubt die Hälfte der US-Bürger, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hatte

Nach einer aktuellen Umfrage sagt die Mehrheit, die USA seien unter falschen Annahmen in den Krieg gezogen, aber nur die Hälfte weist US-Präsident Bush eine Schuld zu

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

N

Nach einer Umfrage von Program on International Policy Attitudes(PIPA)/Knowledge Networks, die vom 5.-11. August bei einer zufälligen Auswahl von 733 Erwachsenen durchgeführt wurde und eine Fehlerwahrscheinlichkeit von 3,7 Prozent haben soll, scheinen die Amerikaner nicht ganz so schnell zu vergessen, was ihnen die Bush-Regierung als Begründung des Kriegs gesagt hatte, als es dieser recht sein mag. 60 Prozent sagen, die Regierung habe kurz vor dem Krieg behauptet, der Irak habe Massenvernichtungswaffen, 20 Prozent meinen, die Regierung habe zumindest behauptet, der Irak habe ein großes entsprechendes Waffenprogramm. 43 Prozent sagen überdies, die Regierung habe behauptet, dass der Irak al-Qaida entscheidend unterstützt habe, 27 Prozent, dass er an den Anschlägen vom 11.9. direkt beteiligt war.

Nun könnte man meinen, dass nach über einem Jahr nicht gefundener Massenvernichtungswaffen und der Erkenntnis, dass erst der Krieg al-Qaida einen Schub im Irak gegeben hatte, die Menschen an ihrer Regierung zweifeln. Überraschen mag daher, dass noch immer die Hälfte der Meinung ist, der Irak habe al-Qaida wesentlich unterstützt, auch wenn dies im März noch 57 Prozent geglaubt haben. Noch erstaunlicher aber ist, dass noch immer 54 Prozent (im März: 60%) überzeugt sind, der Irak habe Massenvernichtungswaffen oder zumindest ein entsprechendes Programm gehabt. Zwar sagen gleichzeitig 69 Prozent, dass die USA aufgrund falscher Annahmen in den Krieg gezogen seien, aber nur die Hälfte denkt, dass US-Präsident Bush den Menschen nicht die Wahrheit sagte.

Dia aus Onkel Powells Märchenstunde vor dem UN-Sicherheitsrat im Februar 2003

Anders herum ausgedrückt, ist noch immer die Hälfte der Amerikaner überzeugt (oder, wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist, doch ein erheblicher Teil), dass es, wie die Regierung behauptet hat, im Irak Massenvernichtungswaffen gibt. Weil offenbar allmählich doch dämmert, dass mit den Kriegsgründen irgend etwas nicht stimmt und der Kriegsverlauf nicht so einfach war, wie man sich dies wohl vorstellte, aber wohl auch, weil selbst der nachgeschobene Grund der Befreiung angesichts des Widerstands nicht mehr ganz glaubwürdig erscheint, glauben nun nur noch 46 Prozent (im März: 55%), dass der Krieg richtig war, 49 Prozent sagen, es sei eine falsche Entscheidung gewesen, und 52 Prozent sind der Meinung, es wäre besser gewesen, die USA hätten al-Qaida verfolgt und Afghanistan stabilisiert.

Die Umfrage hat leider nicht nachgeforscht, warum noch immer so viele Menschen den durch nichts bislang bestätigten, sondern vielmehr durch viele Hinweise widerlegten Behauptungen der US-Regierung weiterhin glauben schenken. Aber vielleicht glauben sie ja auch, dass ihr Präsident und oberster Kriegsherr nur falsch informiert wurde? Oder ist das Vertrauen in die Regierung so groß, dass dieser viele wie Schafe unbeirrt folgen? Fällt es den Menschen selbst schwer, einmal durch das Vertrauen in die eigene Regierung - und trotz weltweiter Kritik - übernommene Überzeugungen wieder in Frage zu stellen? Oder sind die Menschen einfach nur schlecht informiert, wollen sie nicht wissen, was sie nicht wahr haben wollen, ist die vermutete Bedrohung "interessanter" als die - zudem weniger massiv aufbereitete - Ent-Täuschung über einen Schwindel?

Wer - wie die Hälfte der Befragten - nicht (mehr) glaubt, dass der Irak unter Hussein al-Qaida unterstützt und zumindest ein größeres Massenvernichtungsprogramm gehabt hat, ist jedenfalls auch eher der Überzeugung, dass Präsident Bush nicht unschuldig an der Konstruktion der Kriegsgründe ist. 79 Prozent von diesen sind so der Meinung, dass Bush bewusst die Öffentlichkeit vor dem Krieg angeschwindelt hat. Fast ebenso viele von diesen sagen, sie würden Bush nicht wählen. So erhält man den Eindruck, dass es bei den Bush-Anhängern eine Glaubensfrage zu sein scheint, ob man die Kriegsbegründungen trotz fehlender Beweise weiterhin glauben will oder - um nicht einer kognitiven oder emotionalen Dissonanz anheimzufallen - muss. Weil der Krieg gegen den Terrorismus, als dessen Bestandteil die US-Regierung den Irak-Krieg ausgegeben hat, aber der Kern der Bush-Politik ist, muss man als Bush-Wähler womöglich weiterhin an das Unwahrscheinliche glauben, weil beim Eingeständnis einer strategischen Lüge das Vertrauen in das, was die konservative Bush-Regierung vertritt, zerbrechen könnte. Allerdings kann die Opposition mitsamt Kerry davon nicht unbedingt profitieren, schließlich haben die meisten den Irak-Krieg mit diesen Begründungen mitgetragen ...