Noch mehr Clinton-Starr-Lewinsky
Veröffentlichung von weiteren 60000 Seiten angedroht
Man hätte eigentlich gedacht, daß der von den Republikanern dominierte Rechtsausschuß des Repräsentenhauses an der Reaktion der Menschen gemerkt haben könnte, daß sie genug von der Clinton-Lewinsky-Affäre haben. Politische Klugheit alleine sollte bei steigender Zustimmung zu Clinton dazu führen, von weiteren Veröffentlichungen abzusehen, zumal davon die gesamte Affäre geprägt ist.
Doch offenbar hat man sich in den Fallstricken der einmal eingeschlagenen Dynamik verfangen und will jetzt, ganz im Gegensatz zu den zurückpfeifenden Tönen aus dem Pentagon, noch weitere Dokumente veröffentlichen. Der Rechtsausschuß entschied, am nächsten Donnerstag nicht nur weitere 60000 (!) Seiten aus dem Abschlußbericht des Sondermittlers Starr zu veröffentlichen, sondern auch die Mitschnitte der Telefongespräche von Lewinsky mit Linda Tripp, in denen sie über ihre Beziehung mit dem Präsidenten berichtete. Sie wurden übrigens - rechtlich nicht einwandfrei - ohne Wissen von Lewinsky aufgenommen und dann von Tripp dem Sonderermittler zugespielt, wodurch der Skandal ausgelöst wurde.
Der Rechtsausschuß wird Ende Oktober darüber entscheiden, ob nach der Beurteilung durch das Volk - also nach den Meinungsumfragen wohl, die heute den Kern der Instant-Demokratie lenken - ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet werden soll. Dafür sprechen sich jetzt nur noch 31 Prozent der Amerikaner aus.
Wahrscheinlich machen die Republikaner damit einen großen Fehler. In der Ökonomie der Aufmerksamkeit zählt nicht die Menge der Informationen, sondern deren Eigenschaft, die Aufmerksamkeit zu erregen. Die aber ist flüchtig und selektiv, weil die Menschen schlichtweg lernen müssen, sich vor der Informationsflut zu schützen und daher die Klappen zumachen, wenn immer mehr vom Gleichen auf sie hereinprasselt. Man kann es auch anders ausdrücken: Verwöhnt von immer neuen Spektakeln, soll die Montage der Attraktionen weitergehen, ansonsten zappt oder surft man einfach zum Nächsten. Schon die Videos waren einfach zuviel für die sinkende Geduld der Menschen, selbst wenn bereits über das Web die Möglichkeit angeboten wurde, die interessanten Stellen herauszusuchen. Doch jetzt: noch einmal 60000 Seiten - damit selbst jeder Voyeur für das Intimleben der heute so wichtigen Prominenten schlichtweg überfordert.
Wahrscheinlich also wird die ganze Sache einfach durch Überflutung an Informationen an Bedeutung verlieren, was allerdings auch heißt, daß die Kritik an der bedenklichen Strategie, aus politischen Gründen Informationen über den Beschuldigten eines laufenden Verfahrens der Öffentlichkeit preiszugeben, einschlafen wird. Vielleicht hat diese Veröffentlichung des Intimen aber auch langfristig den Effekt, daß sich niemand mehr dafür interessiert, daß das Outing jeder Art keine Aufmerksamkeit erregt und daß wir bei aller Öffentlichkeit wieder hinterrücks das private Leben als schwarzes Loch entdecken. Nach den bürgerlichen Orgien der Transparenz also wieder ein höfisches Leben der Etikette - unter den Augen der Web-Cams und der Überwachungskameras. Es wird Zeit, im Weißen Haus und anderen Stätten, an denen sich die politische Prominenz aufhält, Kameras zu installieren, damit wir alle wissen, was unsere Repräsentanten doch an Lebenslust verströmen und wie sie uns als Vorbild auch im privaten Leben dienen können. Wissen würden wir vielleicht ja doch noch gerne, was denn Hillary alles so im Verborgenen macht ....
Siehe auch die Kolumne von Michael Goldhaber: Die gerechte Strafe für die Sünden im Zeitalter der Aufmerksamkeit.