Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken werden neue SPD-Vorsitzende
Große Koalition vor Zerreißprobe?
Heute um 18 Uhr 10 hat die kommissarische SPD-Vorsitzende Maria Luise Dreyer bekannt gegeben, dass Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken die Stichwahl um den Vorsitz mit 53,66 zu 45,33 Prozent gegen Olaf Scholz und Klara Geywitz gewonnen haben. Dass ein für den 6. bis 8. Dezember angesetzter Parteitag in Berlin den Mitgliederentscheid bestätigt, gilt als Formsache.
Die beiden Kandidatenpaare hatten der Stichwahl auch eine gewisse inhaltliche Komponente verliehen, indem sie sich unterschiedlich zur Fortführung der Großen Koalition mit CDU und CSU positionierten. Während sich Scholz, der in dieser Koalition als Finanzminister und Vizekanzler fungiert, klar für eine Fortführung bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 aussprach, meinte Walter-Borjans, der kommende SPD-Parteitag müsse sich "über Inhalte und Ziele klar werden und [anschließend] die Frage beantworten […], ob die in einem Bündnis mit CDU/CSU gehen oder nicht".
Norbert Walter-Borjans im Telepolis-Gespräch April 2019: "Deutschland ist stark im Griff einer konservativen Wirtschaftselite".
SPD-Anhänger zeigten sich gegenüber ZDF-Politbarometer anderer Meinung als SPD-Mitglieder
Im ersten Wahlgang, in dem sich die SPD-Mitglieder unter zuletzt sechs Bewerberpaaren entscheiden konnten, hatten Walter-Borjans und Esken mit 21,04 Prozent Stimmenanteil hinter dem 22,68 Prozent starken Paar Olaf Scholz und Klara Geywitz gelegen. Danach hatte der jetzt siegreiche Kandidat gemeint, er habe zwar die "Hoffnung […], dass ein großer Teil der Wähler der anderen Teams jetzt für [ihn und seine Ko-Kandidatin] stimmen wird, weil sie einen Wechsel wollen", befürchte aber gleichzeitig, dass Olaf Scholz jetzt auf diejenigen SPD-Mitglieder "ziele", "die beim ersten Mal nicht gewählt haben".
Gegenüber den Meinungsforschern vom ZDF-Politbarometer hatten sich 38 Prozent der SPD-Anhänger für Olaf Scholz und Klara Geywitz und 22 Prozent für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken ausgesprochen. 40 Prozent mochten sich nicht zwischen diesen beiden Paaren entscheiden.
"Sorge vor Veränderung" in Berlin
Dazu, dass Thomas Oppermann und andere Personen aus der Funktionärsspitze zur Wahl von Scholz aufgerufen hatten, meinte Walter-Borjans während der Wahl, er wisse nicht, ob es "hilfreich ist, dass die Bundesebene sich so positioniert": "Es könnte der Eindruck entstehen, dass man dort Sorge hat, die Mitglieder kommen zu einem Ergebnis, das denen in Berlin nicht gefällt". Außerdem wertete er es als Zeichen dafür, "dass es in Berlin die Sorge vor Veränderung gibt".
Er, so der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister, habe aber "die Sorge, dass ein Weiter so bei den Köpfen auch ein Weiter so im [Umfrage-]Trend bedeutet". Deshalb wolle er einen "Wechsel hin zu Personen, die einflussreichen Interessengruppen standgehalten haben, so wie [er selbst] in der Diskussion um den Ankauf von Steuer-CDs mit den Daten von Steuerflüchtlingen". Das wäre seiner Ansicht nach ein "Signal an viele Bürger […], dass sie die von ihnen gewünschte Sozialdemokratie in der SPD wiederfinden". Aktuell wird die SPD seinem Eindruck nach nämlich nicht als sozialdemokratische Partei wahrgenommen (vgl. Diskrepanz zwischen Wähler- und Funktionärswillen).
Maas: "absolute Geschlossenheit" zeigen
Ob sich Bundesaußenminister Heiko Maas hier angesprochen fühlte, ist unklar (vgl. Zehn unter zahlreichen). In jedem Fall appellierte er aber heute noch vor Bekanntgabe des Ergebnisses an seine Partei, "absolute Geschlossenheit" zu zeigen, weil sie "als Bastion gegen die neuen rechten Nationalisten" gebraucht werde. Außerdem soll sie "für mehr internationale Zusammenarbeit und Solidarität eintreten" und "mutiger" und "zuversichtlicher" sein.
Zumindest einen "neuen Kopf" wird es aber im neuen SPD-Vorstand geben: Natascha Kohnen, die Vorsitzende der im letzten Jahr mit einem Verlust von 10,9 Punkten bei nur mehr 9,7 Prozent Stimmenanteil gelandeten bayerischen SPD, erklärte nämlich, sie werde nicht mehr für dieses Gremium kandidieren, auch wenn sie "das ewige Gerede vom 'Neuanfang' in der SPD für 'Quatsch'" halte (vgl. Bayernwahl: Grüne fressen SPD auf). Landesvorsitzende will die Chefin der inzwischen nur mehr fünftstärksten politischen Partei im Freistaat weiter bleiben.
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