Norwegen: Islamkritische Partei steht vor der Regierungsverantwortung

Konservative und rechte Parteien lösen die rot-rot-grüne Koalition ab

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach den Parlamentswahlen am Montag steht Norwegen ein Regierungswechsel ins Haus. Die vier konservativen bis rechten Parteien bilden nach den letzten Hochrechnungen eine klare Mehrheit und werden die acht Jahre währende rot-rot-grüne Koaltion unter dem Sozialdemokraten Jens Stoltenberg ablösen. Stoltenberg kann zwar mit seiner Arbeiderpartiet (Sozialdemokraten) mit rund 30 Prozent die meisten Stimmen einfahren, doch erreicht er mit der Sosialistisk Venstreparti (SV), den Linken und der Senterpartiet, einer Art grünen Bauernpartei, keine Mehrheit mehr.

Die wahrscheinlich künftige Regierungschefin Erna Solberg. Bild: hoyre.no

Vermutliche Ministerpräsidentin des Landes wird Erna Solberg, die Chefin der konservativen Partei Høyre, die knapp 27 Prozent erreichte. Solberg, die lange wegen ihrer Leibesfülle im politischen Milieu gemobbt wurde, gilt als konsensfähige künftige Landesmutter. Sie strebt eine EU-Mitgliedschaft des Landes an, ist eine bekenennde Merkel-Verehrerin und vertritt die Besserverdienenden. Sie will weniger Staat, mehr Wettbewerb und somit eine größere Unabhängigkeit von Öl und Gas aus der Nordsee, das dem Land bereits 560 Miliarden Euro bescherte, angelegt in Fonds. Existenzielle Probleme plagen das Land nicht, doch es machte sich eine allgemeine Stoltenberg-Müdigkeit breit.

Offen bleibt, ob sich die Kristelig Folkeparti neben der liberalen Venstre an einer Koalition beteiligt. Sie lehnt eine Zusammenarbeit mit der rechten Fremskrittspartiet ("Fortschrittpartei") aus Wertegründen ab. Doch auf die Beteiligung der schroffen wie populären Siv Jensen, deren Partei über 16 Prozent einfuhr, kann Solberg kaum verzichten. Somit wäre zum ersten Mal eine islamkritische Partei in Norwegen an Regierung.

Die Fortschrittspartei erreichte bei den Wahlen zum Storting (dem norwegischen Parlament) im Jahre 2009 knapp 23 Prozent und lag somit nur hinter der regierenden Arbeiderpartiet (Sozialdemokraten) mit 35,4 Prozent. Doch durch den Anschlag von Anders Breivik am 22. Juli 2011 geriet die Gruppierung in Bedrängnis. Denn Breivik selbst war bis 2006 Mitglied deren Jugendorganisation, zeitweise in leitenderTätigkeit, bis er sich von der Partei abwand.

Wenn er sich auch später radikaleren Gruppierungen anschloss, mit der Warnung vor einer schleichenden Islamisierung Norwegens, vor der Einführung der Scharia, ähnelten sich Breiviks Ideologie und die der Fortschrittspartei. Jensen musste sich darum anhören, Breivik "erzogen" zu haben, worauf die temperamentvolle Politikerin unverhältmäßig zurück keilte. Die Umfragewerte sanken so auf 12 Prozent. Doch mit einem moderateren Stil konnten Jensen in den letzten Monaten Vertrauen zurück gewinnen.

Siv Jensen lässt sich nach der Wahl feiern. Bild: Fremskrittspartiet

Ihre politische Heimat, die "Fortschrittspartei", wurde 1973 als Gegenbewegung zum sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat unter dem Antikommunisten Anders Lange gegründet. In den 1980er Jahren machte die Partei mit offen fremdenfeindlichen Parolen gegen die zunehmende Einwanderung Stimmung.

Jensen gilt als Vollblutpolitikerin, die das Private zurückstellt und so weiterhin Single ist. Seit 1988 gehört die 1969 Geborene der Partei an, im Jahre 2006 übernahm die studierte Ökonomin den Vorsitz dieser Partei, die lange als Männerbastion mit geringem Frauenanteil galt.

Weniger Staat und gegen Muslime

"Freiheit" ist Jensens zentrales Thema. Da ist erstmal die Freiheitsvorstellung ihres Vorbildes Margaret Thatcher, die Befreiung von zu hohen Steuern und zu viel Staat. Die hohen Steuern, die in Norwegen erhoben werden, seien unberechtigt, da der öffentliche Sektor eben nicht wirklich funktioniere, im Gesundheitswesen müssten die Patienten aufgrund eines umständlichen Behördenapparats zu lange warten. Dann ist auf der anderen Seite die Freiheit von einem zu großen islamischen Einfluss der knapp 200 000 Muslime in der vor allem lutherisch geprägten norwegischen Gesellschaft mit einer Bevölkerung von fünf Millionen Menschen.

Mit steigenden Umfragewerten verschärfte Jensen letztens wieder etwas den Ton oder überlässt dies anderen Parteimitgliedern, wie dem Leiter der Oslo-Gruppe, Christian Tybring-Gjedde, der sein Land in einerm Kulturkrieg mit dem Islam sieht und behauptet, dass Muslime das Feiern von Weihnachten in den Schulen verhindern würden. Eine kürzlich erstellte Analyse der Partei zur Situation der Einwanderung ist Jensen kurz vor der Regierungsbeteiligung zu scharf geraten, sie distanzierte sich kürzlich davon.

Eindringlich warnte Stoltenberg im Vorfeld die Wähler sowie Erna Solberg vor einer Regierungsbildung mit der Fortschrittpartei. Eine "verrückte Politik" drohe. Noch am Samstag garantierte er medienwirksam mit seiner Unterschrift, nicht mit Jensens Partei koalieren zu wollen.

Vielleicht nicht gerade verrückt, jedoch für die skandinavische Konsenskultur ungewohnt streitlastig wird die neue Koaltition schon sein. Jensen, die dem derzeitigen Premier "Tschüss Jens" von der Wahlkampfbühne zubrüllte, führte sich wie ein Rockstar auf und kündigte selbstbewusst an, hart mit Solberg verhandeln zu wollen.

Schließlich wollen ihre Anhänger der Partei, die bislang keine Regierungsverantwortung übernahm, Taten sehen. Und dazu gehört auch die Erwartung, gegenüber den muslimischen Norwegern härter aufzutreten, trotz aller gedämpfter Rhethorik. Dabei steht die Partei, der einst Breivik angehörte, unter dem Druck der internationalen Beobachtung.