Obdachlose Migranten demonstrieren, die Polizei räumt auf

CRS-Einsatzkräfte. Archiv-Foto (vom 05.02.2019): Patrice Calatayu/CC BY-SA 2.0

Frankreich: Erneut außergewöhnliche Härte bei einem Polizeieinsatz, während das Parlament über ein Gesetz verhandelt, das die Dokumentation solchen Vorgehens künftig stark beeinträchtigt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ungefähr fünfhundert Migranten waren nach der Räumung eines Lagers vor einer Woche bei einem Autobahnzubringer in der Pariser Trabentenstadt Saint-Denis obdachlos geworden. Auf ihrer Suche nach neuen Unterkunftsmöglichkeiten in der Pariser Peripherie seien sie von Polizisten verfolgt und gejagt worden, berichten es Zeugen der NGO Utopia 56. Das sind Randgeschichten, von denen die Öffentlichkeit, vor allem in den Corona-Krisen-Tagen, kaum oder null Notiz nimmt.

So kamen Hilfsorganisationen und NGOs auf die Idee, mitten in Paris, gut sichtbar auf der Place de la République, ein großes Zeltlager zu installieren, um auf die Misere aufmerksam zu machen. Wie kann es sein, dass ein Land wie Frankreich ein Migrantenlager räumt, ohne dafür Sorge zu tragen, dass die daraus Vertriebenen anderswo untergebracht werden? Möglichkeiten gäbe es, staatliche wie private, und es stehen eine Menge Hotels leer. Macron hatte vor Zeiten versprochen, dass es keine obdachlosen Migranten mehr geben sollte. Wie organisiert sind die Behörden in Frankreich?

Das "Demonstrations-Camp" erreichte sein Ziel des Sichtbarmachens der Misere. Allerdings ging dies hässlich aus. Heute sind die französischen Medien voll mit Berichten über die brutale Räumungsaktion der Polizei gestern Nacht. Mit ihrer Aktion demonstrierte die Polizei auch gleich, warum ihren Vertretern das neue Gesetz so wichtig ist, wonach das Verbreiten von Bildern gewalttätiger Polizisten in sozialen Medien künftig unter harte Strafen gestellt werden soll (Frankreich: "Keine Bilder mehr von Polizisten und Gendarmen auf sozialen Netzwerken".

Auf Twitter reihte sich ein Clip nach dem anderen der die Polizei bei der Ausübung von Tätlichkeiten zeigte, wie sie die Journalisten in den letzten Jahren häufig dokumentierten. Dazu gab es Bilder von Migranten, die den Platz verlassen mussten und sich erneut außerhalb von Paris auf die Suche nach Unterkünften machen sollten. Ein Journalist gab an, dass er gleich drei Mal von einem Polizisten geschlagen wurde, weil nach dessen Aussage zwei Mal nicht reichen würden. Das Klima beschreibt er als außergewöhnlich in seiner Härte.

Von den Migranten wurden keine provokante Aktionen dokumentiert. Das Zeltaktion wird als friedlich geschildert. Die Polizei ging mit Tränengas und Prügeln gegen sie vor, um das Camp aufzulösen. Auch der Bericht des bürgerlich-konservativen Figaro ist von einer krassen Einseitigkeit der Gewaltanwendung seitens der Polizei gekennzeichnet.

Selbst Innenminister Darmanin, der sonst nur unterstützende Worte für die Polizei hat, war schockiert wie auch die politischen Vertreter, die gestern Nacht vor Ort Zeugen der Vorgänge waren. Die Regierung musste handeln, aus der Empörung resultierte die nächste Zwischenlösung. Die Pariser Verwaltung reagierte mit dem Versprechen, provisorische Unterkünfte bereitzustellen. Marlène Schiappa, beigeordnete Ministerin für Staatsbürgerschaft, versprach ebenfalls mehr Unterkunftsplätze, was Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtsnationalen Partei Rassemblement national, dazu brachte, den Sozialneid zu schüren. Für Migranten mache die Regierung Geld locker für die Armen unter den Franzosen nicht, twittert sie.

Die meisten Migranten, die die NGOs, genannt werden Utopia 56, Médecins sans frontière (deutsch: Ärzte ohne Grenzen) und Solidarité migrants Wilson, auf der Place de la République versammelten, kommen laut Berichten aus Afghanistan. Derzeit überlegt sich die Regierung, ob man sie wieder dorthin abschieben kann, da das Land doch wieder sicherer geworden sei.

Indessen wird heute im Parlament erneut über das Sicherheits-Gesetz abgestimmt, das die Verbreitung von Bildern von Polizisten künftig unter Strafe stellen soll. In der ersten Lesung am vergangenen Freitag erhielt es eine Mehrheit. Vor der vote solennel genannten heutigen Abstimmung gab es Berichte, wonach sich mittlerweile auch in der Regierungspartei La République en Marche Zweifel regen.

In den vergangenen Wochen war der Widerstand dagegen immer lauter und stärker geworden, er ging längst über die "üblichen Kreise" hinaus. Zumal Innenminister Gérald Darmanin die repressiven Mittel gegen Journalisten noch dadurch erweitern will, dass er selbst für Berichte auf den Straßen eine Akkreditierung von Journalisten verlangen will.