Österreich: Drahtlos in die Überwachungszukunft

Neue Details über Umgang der Betreiber mit Überwachung; Firmen fürchten hohe Kosten der anstehenden Überwachungsverordnung

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Angesichts der geplanten Neuauflage der Überwachungsverordnung im Herbst haben sich in Österreich die Fronten zwischen Polizei und Mobilfunkbetreibern zusehends verhärtet. Ein besonderer Dorn im Auge ist den Handyfirmen die geplante Verankerung der ETSI- Schnittstelle ES 201 6711 in der Verordnung. In Folge werden erstmals Details über eines der bestgehüteten Branchengeheimnisse - wie es die vier Mobilfunkfirmen nämlich mit der Überwachung halten - werden bekannt.

So hat erstmals ein Mobilfunkunternehmen die Existenz einer direkten Schnittstelle zur Polizei in seinem Handynetz bestätigt.

Marktführer Mobilkom, eine Tochterunternehmen der Telekom Austria, gab auf Anfrage der IT-Newssite ORF FutureZone überraschend an, über ein Überwachungs-Set-Up zu verfügen, das von insgesamt vier Firmen geliefert worden ist. Damit ist klar, dass es sich um mehr als eine bloße Andockmöglichkeit handeln muss. Wie das Set-Up näher beschaffen ist, wollte die Mobilkom allerdings nicht verraten und auch die Namen der Lieferanten nicht, da es ein Stillschweige-Abkommen gebe. Um das komplette Siemens EWSD LI ("Lawful Interception") samt Betriebssystem und Monitoring Center handelt es laut Mobilkom jedenfalls nicht.

Siemens EWSD LI kann laut Prospekt im Vollausbau 10.000 Telefonüberwachungen pro Wählamt simultan durchführen.

Über eine Schnittstelle zur Polizei verfügt max.mobil, Tochter der Deutschen Telekom und Nummer zwei am Handymarkt in AT nach eigenen Angaben nicht und will erklärter Maßen auch die Vorschreibung der Überwachungsschnittstelle nach dem ETSI- Standard ES 201 671 in der neuen Überwachungsverordnung nicht akzeptieren. Die Konzernmutter Deutsche Telekom ist im Gegensatz dazu in der Arbeitsgruppe ETSI SEC LI sehr aktiv. Sie stellt mit Bernd Adams nicht nur den stellvertretenden Chairman der Abhörtruppe

Ebenso dagegen ist Marktführer Mobilkom, wo man davon ausgeht, dass der dafür erforderliche Netzumbau einen zweistelligen Euro- Millionenbetrag ausmachen würde. One, der dritte Betreiber will die Existenz eines Überwachungsystems zwar weder bestätigen noch dementieren, es ist aber ein offenes Geheimnis in der Branche, dass ein solches System im One-Netz existiert. Die meisten Komponenten stammen von Nokia, es ist gut möglich, dass zusätzlich Equipment von Comverse Infosys integriert ist.

Comverse hat für One auch das Voicemail System geliefert, beide Unternehmen sind an der Arbeitsgruppe ETSI SEC LI, die ES 201 671 entwickelt hat, maßgeblich beteiligt.

Bei der Mobilkom sorgt man sich im Zusammenhang mit den ETSI- Schnittstellen erklärtermaßen um die Integrität der Netze und die Gefährdung der Menschenrechte wie das Recht auf Schutz der Privatsphäre und der persönlichen Daten, sowie das Fernmelde- und Redaktionsgeheimnis. Man befürchtet hinter vorgehaltener Hand, dass nach erfolgter Installation der ES 201 671 Schnittstelle in den Switches im Gefolge der normalen Ermittler auch Staatspolizei, sowie die militärischen Nachrichtendienste auftauchen werden. ES 201 671 ist für mindestens drei "law enforcement agencies" angelegt, die strikt voneinander getrennt parallel tätig werden können. Dazu ist die Aktivierungsfunktion der Schnittstelle - laut ETSI Standard zwar in der Domäne des Netzbetreibers angesiedelt - ganz einfach überbrückbar, so dass die Schnittstelle permanent offen steht.

Es ist vor allem der menschliche Faktor, den selbst am Standardisierungsprozess beteiligte Techniker fürchten: Einschüchterung des Personals durch Polizei oder auch andere Dienste oder Erpressung durch Dritte zum Zweck der Industriespionage.

Die Befürworter der Schnittstelle sind sowohl unter den Technikern des österreichischen Innenministeriums sowie des Verkehrsministeriums zu finden. Beide Gruppen unterhalten langjährige Kontakte zu den Telekom-Ausrüstern Alcatel und Siemens, von denen der überwiegende Anteil der Komponenten des Telefonnetzes der Telekom Austria stammt. Beide Unternehmen haben maßgeblichen Anteil an der Standardisierung von ES 201 671 und bieten Überwachungssysteme an, die auf dem Standard aufsetzen.

Jenem Techniker des österreichischen Verkehrsministeriums, der auch in der ETSI-Arbeitsgruppe "Lawful Interception" vertreten ist, gibt es eingestandenermaßen überhaupt nicht zu denken, dass in dieser Truppe neben europäischen Geheimdienst- Verbindungsleuten auch erklärte Zulieferfirmen des israelischen Mossad am Standard ES 201 671 mitwirkten, im Gegenteil. Es sei ja nur ein Beweis für die hohe Qualität dieser Schnittstellen, wenn sich sogar der Mossad dafür interessiere.

Zeitgleich war bekannt geworden, dass max.mobil alle Anfragen der Polizei nur noch über kostenpflichtige 0900-Nummern entgegen nimmt (0,68 Euro/min). Pikanterweise sind auf vielen Polizei- und Gendarmeriedienststellen in Österreich alle 0900-Vorwahlen gesperrt, nachdem die Zahl polizeilicher "Ermittlungen" bei Sex- Hotlines stark gestiegen war. Auch bei der Mobilkom wird überlegt, eine kostenpflichtige Nummer für die Behörden einzurichten.

Erich Moechel arbeitet für Futurezone