Österreich im Wahlkampf: Ibiza à gogo

Seite 2: Aktuelle Entwicklungen

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Der ehemalige Leibwächter von Heinz-Christian Strache wurde nun verhaftet und seine Wohnung durchsucht. Der Mann sei - und diese bereits tief im FPÖ-Spin verankerte Vermutung bedienen die meisten Medien in Österreich - mit Strache in Streit und wolle sich an diesem rächen. Deswegen habe er zahlreiches inkriminierendes Material gegen Strache und die FPÖ gesammelt.

Es geht um Fotos einer Sporttasche, die mit Geld gefüllt ist und sich im Kofferraum eines Wagens befindet. Ein kanonisches Bild der österreichischen Politik, das in allen Köpfen steckt. Der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser hatte auch einen üppig gefüllten Kofferraum. Das Geld war allerdings von der Schwiegermutter und alles war "supersauber". Diesmal soll das Geld aus der Ukraine oder Russland stammen. Nützt es, sich hier an der wilden Spekulation zu beteiligen?

Der ehemalige Mitarbeiter Straches will mitgeholfen haben, Spesenrechnungen zu fälschen. Es werden exorbitante Zahlen genannt. Strache soll monatlich 10.000 Euro von der Partei an Spesen zusätzlich zu seinem Gehalt als Abgeordneter, beziehungsweise Vizekanzler, erhalten haben. 2500 Euro Mietzuschuss beispielsweise als kleine Entschädigung für die Unbequemlichkeit, dass Strache in seiner Privatwohnung Empfänge abhalten musste. Bis zu 300.000 Euro Rechtsanwaltskosten wurden im Zuge der Ibiza-Affäre bis jetzt gezahlt. Die legendäre Wahlkampfformulierung der FPÖ "Unser Geld für unsere Leut'" dürften viele Menschen in Österreich anders interpretiert haben. Heute erweist sie sich als ungewöhnlich ehrlich. Johann Gudenus' Nachfolger an der Spitze der Wiener FPÖ mit dem eingängigen Namen Dominik Nepp versprach den Mietzuschuss an Strache nun zu streichen.

Das meiste in diesem neuerlichen Skandal sind Behauptungen und Spekulationen, die durch die österreichischen Medien flattern, und natürlich gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung. So ist das eben, wenn neue Aufdeckungen auftauchen. Der FPÖ-Parteiobmann Norbert Hofer aber sieht hier "kriminelle Netzwerke", die versuchen würden, die FPÖ mit Enthüllungen zu "vernichten" und einen Angriff gegen die Demokratie in Österreich planen. Man müsse doch einen Höhlenbären erkennen, wenn man dessen Bild sieht.

Wem nützt dies?

Die aufgetauchten, möglicherweise kriminellen Vorgänge zu bewerten, ist aktuell fast unmöglich. Die Gerichte in Österreich beschäftigen sich heute noch mit der Aufarbeitung der Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000. Und tatsächlich erwiesen sich manche Vorwürfe der politischen Gegner als übersteigert und nur vergleichsweise wenige Prozesse führten bislang zu Verurteilungen. Etwas aber lässt sich bereits jetzt sagen. Sollte die FPÖ mit ihrem Gebaren einem Plan folgen, dann könnte dieser aufgehen.

Unaufhörlich wird den politischen Gegnern vorgeworfen, sie wollten der FPÖ Böses und würden diese medial verurteilen. Die Medien würden bei diesem Spiel mitmachen und die FPÖ mit Skandalmeldungen unter Druck setzen. Sie selbst - das Ich ist eben ein anderer - hat mit den Skandalen im Grunde nichts zu tun, diese seien Inszenierungen krimineller Kreise. Ein medialer Effekt wie bei Donald Trump zeigt sich. In einem einzelnen Tweet von Trump findet sich genügend Material, um die Karriere von drei Präsidenten zu ruinieren. Ihm aber hat dies bislang nicht geschadet, weil die Fülle an Skandalen, skandalträchtigen Aussagen und Handlungen Trump zu schützen scheint.

In Österreich kommt hinzu, dass sich auch die türkise "neue Volkspartei" unter Sebastian Kurz ähnlicher Strategien bedient. Immer sind die anderen schuld und haben sich gegen "uns" verschworen. Sebastian Kurz führt seinen Wahlkampf dezidiert gegen das österreichische Parlament, denn dort habe man ihn per Misstrauensantrag bekämpft und nun solle er an der Urne für diese Schmach gerächt werden.

Über die Wirklichkeit, die zugegeben kompliziert und schwierig zu bewerten ist, legt sich ein emotionaler Schleier in Österreich, der nur mehr ein "Wir gegen die" zu kennen scheint. Wer im Einzelnen welche Spendengelder bezogen hat und welche schwarzen Kassen betreibt, ist sekundär. Die Erzählung von Kampf gegen dunkle und kriminelle Machenschaften ist viel stärker.

Das Ibiza-Video hat der FPÖ kaum geschadet und dem Koalitionspartner ÖVP enorm genutzt. Die ÖVP führt jede Umfrage um Längen und die Werte für die FPÖ steigen unaufhörlich wieder an, nachdem sie anfänglich eingebrochen waren. Lauthals zu behaupten, die anderen wollten einem schaden, nützt mehr, als dass durch Verdachtsmomente gegen die eigenen Parteimitglieder Schaden zufügt werden könnte. Diese pervertierte Situation muss am Ende des Wahlkampfs in Österreich konstatiert werden.

Frank Jödicke ist Chefredakteur des Magazins skug, das sich gemeinsam mit dem "Bündnis alternativer Medien" um eine Gegenöffentlichkeit in Österreich bemüht. Am Wahlabend dem 29.9. 2019 liefert dieses Bündnis kleinerer Magazine und Radiosender seine eigene Wahlberichterstattung live in Wien. Infos unter skug.at.

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