Offline-Flatrate in Maisach
Seite an Seite mit der Bierrésistance - Teil 2
"Unser Bier statt Einheitsbier" - dieser Artikel stieß auf große Resonanz bei Freunden des Gerstensaftes von Flensburg bis Sonthofen. Daraufhin gingen zahlreiche Hinweise auf subversive Untergrundbiere ein, so etwa auf die Berliner Weiße von Andreas Bogk aus Berlin-Kreuzberg. Oder auf Biervielfalt im hinterm Deich gelegenen Kohlland Dithmarschen. Aus Kaufbeuren meldete sich ein Dr. Adolf Kahlfresser mit dem Hinweis, der dortige Zoigl befände sich doch nicht im Keller. Telepolis-Forist CobraCommander berichtete, dass es in den Südstaaten der USA exzellente Kleinbiere gäbe, die ihn "umgehauen hätten." Grund genug für eine Fortsetzung des Kampfes gegen das Einheitsbier Seite an Seite mit der Bierrésistance.
50% mehr Hopfen als im Konzernpils: Hier wird das beste Pils der Welt gebraut
In der Bierwelt gärt es. Immer mehr Kenner und Verbraucher merken, dass sie mit angeblichem Reinheitsgebot und angeblich bestem deutschen Bier oft über den Tisch gezogen werden. Sie trinken immer weniger Bier, während Supermärkte die Regale mit Billigbieren fluten. Allerdings ist Bier bisher kein Thema für investigative Journalisten.
Unter dem zünftigem Titel "Hopfen und Malz verloren!" haben sich die ZDF-Reporter Peter Ruppert, Jo Schück und Michael Strompen auf die Suche nach Deutschlands bestem Bier gemacht.
In ihrem sehr sehenswerten Film spüren sie das beste Pilsner nach deutscher Brauart in der Sierra Nevada auf. Wir erfahren dabei einige erschreckende Fakten, deren Kenntnis unser Bild vom angeblichen Bierland Deutschland nachhaltig trüben könnte:
Erstens: Nur Hopfen und Malz? In Deutschland werden anstelle von hochwertigen Hopfenflocken aus edlen Hopfenarten aus Geiz meist nur geringerwertige Hopfenpellets verwendet. Völlig legal, denn das Reinheitsgebot erlaubt Pellets, ebenso wie das gängige Prädikat "trocken" Zucker im Wein gestattet.
Zweitens: Selbst an diesem Billighopfen wird derart gespart, dass Deutschlands fünf meistverkaufte Biere (siehe Grafik) aufgrund ihrer fast identisch niedrigen Stammwürze von 11,4% und 27 Bittereinheiten im Schnitt in einer Blindprobe nicht unterscheidbar sind. Hochwertiges Bier aber heißt: höherer und hochwertigerer Hopfenanteil, also mehr Bittereinheiten.
Drittens: Dunkelbiere werden in Deutschland oft einfach durch den Zusatz von Malzextrakt mit "Röstaroma" hergestellt. Rein ins Helle - und schon mutiert es zum werbenswerten, traditionsreichen "Ur-Dunklen" aus traditionellen Fachwerkgasthöfen. Wiederum völlig legal, da ja nur Malz zugesetzt wurde.
Viertens: Die Anteile der Naturstoffe Hopfen und Malz werden streng verschwiegen. Sie müssen deshalb auch nicht als Inhaltsstoffe auf dem Etikett angegeben werden. Dadurch ist Qualität in Gestalt von Stammwürze und Bittereinheiten kein Kaufargument - ideal für die Einheitsbiere von Dr. Oetker, Heineken und Anheuser-Busch.
Fünftens: Statt 5-6 Wochen, wie Wolfgang Stempfl, Leiter der Bier-Akademie Doemens für ein gutes Pils empfiehlt, werden die Industriebiere aus Kostengründen nur zwei bis drei Wochen gelagert - zu wenig, um den Geschmack der Zutaten zu entfalten.
Selbst deutsches Konzernpils ist mit 27 Bittereinheiten noch Weltklasse
Bei der Bier Weltmeisterschaft in San Diego haben deutsche Brauereien seit Jahren keine Goldmedaille mehr gewonnen. Das Weltmeisterpils 2012 aus Kalifornien, das nur mit frischem Hopfen aus den besten Hopfensorten gebraut wird, hat chemisch nachweisbar einen weitaus höheren Anteil an den für den Geschmack entscheidenden Inhaltsstoffen Hopfen und Malz. Anders als im Prädikat "Bio" lässt sich also bei der chemischen Untersuchung von Bier die Qualität durchaus messen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass selbst deutsche Konzernpilsner mit ihren 27 Bittereinheiten noch weit über den US-"Lager"-Bieren wie Miller und Budweiser liegen, die nur unter 10 Bittereinheiten bieten.
Immerhin eine Silbermedaille in der Kategorie "Rauchbier" konnte Dr. Marc Rauschmann von der hippen Brauerei Braufactum mit Sitz in Frankfurt am Main abräumen. Wie Rauschmann gegenüber Telepolis sagte, sei er mit der einseitigen Darstellung des ZDF-Filmes nicht zufrieden. Seiner Ansicht nach seien gerade deutsche Pilsner weltweiter Maßstab. Deutsche Biere kämen im Film zu schlecht weg.
Ein Bräustüberl allerdings sucht man bei Braufactum vergebens: Das in eleganten Flaschen zelebrierte Lifestylebier wird nur über Gastronomie, Handel und Online vertrieben. Aus keinem Fass strömt das schaumige Lebenselexier. Brauen lässt Braufactum nach Auskunft gegenüber Telepolis "in mehreren Brauereien". Ein Apple der Biermarken?
Die im Telepolis-Forum zu recht gerühmten 300 Brauereien Frankens zeichnen sich nicht durch wesentliche Unterschiede in der Machart ihres Hellen, Pilsner, Export und Dunklen aus, sondern sie symbolisieren eine in keinem Labor messbare Qualität, nämlich die lokalen Umstände des Biergenusses, den Bierkult.
Offline-Flatrate in Maisach
Nachdem das Rauchen im öffentlichen Raum, das eine nervöse Verbindung zwischen fremden Menschen stiftete - und daher das Sozialklima verbesserte - verboten ist, stellt das gemeinsame Biertrinken eine der letzten, für jeden offenen lokalen Kulturtraditionen dar. Nicht Bierrezepte, sondern Bräustüberl und Ausschänke wären deshalb dringend unter Naturschutz zu stellen und als Weltkulturerbe zu schützen.
Schließlich ist das Trinken von Bier auch mit regionalen Speisen verbunden, die mit dem durch Promillegrenzen, fehlender Tagesfreizeit und Billigvertrieb aussterbenden Fassbier derart verbunden sind, dass auch sie mit der Halben vom Fass vom Aussterben bedroht sind. Schlachterplatte, Stadtwurst, Wurstsalat, Schweinebraten, Haxn, Thüringer und Nürnberger Rostbratwürste, Saure Zipferl, Sauerbraten, Rinderrouladen und andere Traditionsgerichte zählen zu gefährdeten Spezies im quirligen Biotop des Biergenusses.
Da das Bräustüberl sich in einer glücklicherweise unzugänglichen Offlinewelt befindet, in der Lieferanten und Ausfahrer, Kellnerinnen und Gäste ihrem vielfältigen Treiben nachgehen, bietet sich für die Vermittlung dieses Ursprungs und Zentrums der deutschen Bierkultur ein Medium an, das es ermöglicht, die Spannung zu vermitteln, die zwischen den ökonomischen Tätigkeiten der Herstellung und des Transportes des Bieres und dem Genuss liegt.
Zwei Halbe im Tonkrug ermöglichen dann das Zappen zur Offline-Flatrate von 5,40 je Stunde - eine gerade für starke Internetnutzer wie den Autor unverzichtbare Gegenwelt. Der Film dauert zehn Minuten 28 und hat rund 30 menschliche und einen tierischen Kleindarsteller.
Fazit: Es kommt bei der Suche nach dem besten Bier nicht nur auf Rezepte und Zutaten, sondern auch auf die Umstände in einem Gesamtkunstwerk der Bierkultur an. In diesem kann eine Flasche Hülsmann-Sommerbier an einer Straßenecke in Wanne-Eickel ebenso inspirierend und wohltuend wirken, wie das zelebrierte Öffnen einer edlen 0,7 Liter Flasche Progusta India Pale Ale von Braufactum im Schloßhotel Hugenpoet in Essen.
Da Biere ihre homöopathische Wirkung in lokalen Biertempeln am besten entfalten können, ist jeder aufgerufen, stets das, dieses eine lokale - unser - Bier zu suchen und zu finden. Kein Dr. Oetker und kein virtueller Rezeptmeister werden es ersetzen können.