Olaf Scholz: Selbstinszenierung als Opfer statt Aufklärung
Seite 2: Scholz musste dem Finanzausschuss Rede und Antwort stehen
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Wie der Linke-Politiker in einem Gespräch mit n-tv erläuterte, musste Olaf Scholz am vergangenen Montag bei der Befragung im Rahmen einer einberufenen Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestags "einräumen, dass er noch nie in seiner Behörde war - den Leiter der FIU, den er eingesetzt hatte, hat er im Ausschuss zum ersten Mal in seinem Leben gesehen". Außerdem habe er einräumen müssen, dass bei bestimmten E-Mails erst nach der Durchsuchung im Finanzministerium klargestellt wurde, dass diese nicht verloren gehen können, sondern die Staatsanwaltschaft Zugriff darauf bekommt. "Scholz hat zugegeben, dass es da eine spezielle Verständigung mit der Staatsanwaltschaft gab. Das deutet ja darauf hin, dass die Ermittler Anlass hatten anzunehmen, dass ein paar Beweismittel von Bord gehen", so Fabio De Masi, der in dem Interview schwere Vorwürfe erhebt - nicht gegen Olaf Scholz persönlich, sondern gegen den etablierten Umgang mit Finanzstraftaten:
Wir hatten zwischenzeitlich mal fast 50.000 unbearbeitete Geldwäsche-Verdachtsfälle, inklusive Terrorfinanzierung. Scholz sagt, alle seien abgearbeitet. Aber die Meldungen werden einfach in einen sogenannten Info-Pool geschoben und dann befasst man sich nur noch mit den leichten Fällen, die man sofort erkennt. Das ist nicht nur mein Vorwurf, selbst das Justizministerium und SPD-geführte Bundesländer wie Bremen haben dagegen protestiert. Mit diesem sogenannten risikobasierten Ansatz werden bestimmte Straftaten gar nicht mehr weitergeleitet, das ist ein Verstoß gegen das Geldwäschegesetz.
Fabio De Masi
Olaf Scholz musste sich dementsprechend am Montag vor dem Finanzausschuss unangenehme Fragen gefallen lassen. Er habe mehr Stellen eingerichtet, so der Minister. Das reicht De Masi aber nicht, wie er im ZDF betonte. Es sei "absolut richtig, dass mehr Stellen geschaffen wurden. Das ist aber auch völlig normal, weil jedes Jahr immer mehr Geldwäsche-Verdachtsmeldungen abgeliefert werden. Einfach durch die Gesetzgebung".
Nötig, so der Finanzexperte der Linken, sei eine "echte Finanzpolizei", wie beispielsweise in Italien. Laut De Masi konnten die Zweifel in der Ausschusssitzung nicht gänzlich ausgeräumt werden.
Olaf Scholz habe über den Austausch mit dem Justizministerium bezüglich der Sorge der versäumten Weiterleitung von Finanzstraftaten gesprochen, diesen aber nicht transparent gemacht. Er müsse noch prüfen, ob er das könne, habe der Minister als Begründung angegeben.
Kritik am Vorgehen der Osnabrücker Staatsanwaltschaft
Kritik gab es indes nicht nur an Olaf Scholz, sondern auch an dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft Osnabrück. Laut tagesschau.de hatte diese zuerst die Bundeszollverwaltung durchsuchen lassen und dabei seien Unterlagen gesichert worden, aus denen sich Erkenntnisse über eine "umfangreiche Kommunikation" zwischen der FIU und den beiden Bundesministerien ergeben habe, hieß es.
Das sei vermutlich die Kommunikation, auf die Scholz bei der Befragung im Finanzausschuss des Bundestages anspielte. Die Staatsanwaltschaft wolle nun untersuchen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung, Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren.
Der Verdacht richte sich "ausdrücklich nicht gegen Beschäftigte" des Ministeriums, sondern gegen unbekannte Mitarbeiter der FIU an deren Sitz in Köln. Der Staatsanwaltschaft gehe es in erster Linie um die Identifikation von Mitarbeitenden der FIU und um Informationen, inwieweit deren Ansatz zur Einordnung von Verdachtsmeldungen rechtlich erörtert und abgesichert worden sei.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sollte untersucht werden, "ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren". Das wäre tatsächlich ein Skandal, denn das Bundesfinanzministerium hat für die FIU nur die Rechtsaufsicht. Das heißt: Das Ministerium darf prüfen, ob dort nach Recht und Gesetz gehandelt wird. Über behandelte Fälle darf das Ministerium und die Leitung aber nichts erfahren. Eine Regelung, die international üblich ist. So sollen die Finanzermittler vor politischen Eingriffen geschützt werden.
Das legt den Verdacht der Einflussnahme seitens der Ministerien nahe. Das würde Olaf Scholz massiv unter Druck setzen und ihn tatsächlich in die Nähe der Verschleierung von Finanzstraftaten rücken. Vor allem vor dem Hintergrund seiner unrühmlichen Rolle im Hamburger Warburg-Skandal. Auch da wäre die dortige Finanzbehörde, das Pendant zum Landes-Finanzministerium, um ein Haar von der Staatsanwaltschaft Bonn durchsucht worden. Doch der Durchsuchungsbeschluss wurde offenbar gar nicht beantragt, um die Rolle der Ministerien überprüfen zu können, sondern zur "Identifizierung der beteiligten Mitarbeiter der FIU", wie die Tagesschau berichtete.
Das Justizministerium teilte demnach mit, die Staatsanwaltschaft Osnabrück habe telefonisch Unterlagen angefragt. Diesem Ansinnen sei mit der Bitte um schriftliche Anfrage, den "großen Dienstweg", nicht nachgekommen worden. Das Ministerium müsse nach Paragraph 96 der Strafprozessordnung vor einer Herausgabe von Unterlagen auch prüfen, ob das Bekanntwerden des Inhalts der Unterlagen dem "Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde".
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hatte offenbar ihre eigene Vorstellung vom "großen Dienstweg" und beantragte den Durchsuchungsbeschluss - der auf den 10. August 2021 datiert ist. Das wirft wiederum die Frage auf, warum er so viel später vollstreckt wurde?
Diese Frage stellte sich auf die Tagesschau und fand heraus, dass der Osnabrücker Oberstaatsanwalt CDU-Mitglied ist und früher im Staatsdienst tätig war:
Leiter der kritisierten Behörde ist Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck. Er ist Mitglied der CDU, früher war er Büroleiter beim damaligen niedersächsischen Justizminister Bernd Busemann (CDU). Für manche in der SPD ist das zu viel CDU für einen Zufall.
Worum geht es eigentlich?
Am Anfang der seit 2020 laufenden Ermittlungen stand nach Angaben der Staatsanwaltschaft eine verdächtige Zahlung über mehr als eine Million Euro nach Afrika aus dem Jahr 2018, bei der eine Bank einen möglichen Bezug zu Waffen- und Drogenhandel sowie Terrorismusfinanzierung sah. Die FIU habe die Meldung der Bank zur Kenntnis genommen, sie aber nicht an deutsche Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet. So habe keine Möglichkeit mehr bestanden, die Zahlungen aufzuhalten.
Wie das ZDF im Mai dieses Jahres berichtete, werden "laut einer Dunkelfeldstudie der Universität Halle-Wittenberg in Deutschland pro Jahr rund 100 Milliarden Euro gewaschen - das ist in etwa so viel wie der Jahresumsatz von BMW." Egal, ob das Geld aus Menschenhandel, Steuerhinterziehung oder Drogenhandel käme: Um es reinzuwaschen, nutzten Kriminelle gezielt den Standort Deutschland. Sie kauften teure Luxusgüter oder Immobilien mit schmutzigem Bargeld ein und verkauften sie anschließend wieder.
So führten sie milliardenschwere Summen wieder dem regulären Wirtschaftskreislauf zu. In der Vergangenheit gab es wiederholt Razzien im einschlägigen Milieu, unter anderem gegen die italienische 'Ndrangheta Ende 2018. Solche Razzien sorgen einige Tage für Schlagzeilen, geraten dann aber wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Die Mafia existiert für die meisten Deutschen nur als romantische Vorstellung aus beliebten Krimis, im realen Leben wird sie eher nicht zur Kenntnis genommen. Zum einen, weil die Gefahr völlig unterschätzt wird. Zum anderen, weil die Bürgerinnen und Bürger nicht direkt betroffen seien, sagte eine italienische Expertin in der ZDF-Doku "Die Paten von der Ruhr - Mafia-Paradies Deutschland".
Eine fatale Fehleinschätzung, denn Drogen bringen nur Geld, wenn sie auch verkauft werden. Drogensucht ist nach wie vor ein großes Problem in Deutschland, die Suchtmittel werden immer aggressiver, verunreinigt oder gestreckt. Mietenexplosion, Lohndumping, Pfusch am Bau und Korruption geht uns alle an, von den gesundheitlichen Folgen verunreinigter, gepanschter oder gestreckter Lebensmittel können wir alle betroffen sein. Außerdem sollte es uns nicht egal sein, wenn ganze Regionen in Italien mit unserem Giftmüll regelrecht verseucht werden.
Die Höhe von Bargeldzahlungen limitieren
Experten fordern deshalb eine Bargeld-Obergrenze, das ist für die italienische Senatorin und Anti-Mafia-Kämpferin Laura Garavini ein scharfes Schwert im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität: "Das war eine der Lehren des Richters Falcone: die Mafia zu bekämpfen, indem man das Geld verfolgt!"
Auch Fabio De Masi unterstützt diese Forderung, wie er in einem n-tv-Interview erläuterte:
Außerhalb des Finanzsektors wie zum Beispiel bei Immobilien haben wir große Probleme. Wir haben kein echtes Immobilien-Register mit den wahren Eigentümern. Ich bin nicht für eine Abschaffung des Bargelds, aber wir können im Unterschied zu anderen europäischen Ländern immer noch ganze Immobilien bar bezahlen. In anderen Ländern gibt es Bargeld-Limits von 5000 Euro. Das ist ein riesiges Einfallstor für Geldwäsche. Scholz hat sich immer so positioniert, dass er daran nichts ändern will.
Fabio De Masi
Der Linke-Politiker räumt ein, dass womöglich "ein CDU-Staatsanwalt ein wenig übermotiviert war". Dennoch kritisiert er das Verhalten von Olaf Scholz scharf und widerspricht der These, die Motivation der Staatsanwaltschaft Osnabrück sei eine Art Wahlkampfhilfe für Armin Laschet:
Wenn man fast vier Jahre Finanzminister ist und für gar nichts mehr verantwortlich ist - nicht für den Wirecard-Skandal, nicht für Geldwäsche-Probleme; an Treffen mit einem Cum-ex-Bankier, der Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren ist, konnte er sich angeblich nicht erinnern -, für was ist man dann überhaupt noch verantwortlich?
Fabio De Masi
Es habe mehrere Sondersitzungen im Finanzausschuss zum Thema "Geldwäsche" gegeben. Er habe die Probleme seit 2017 im Bundestag thematisiert, so der Finanzexperte: "Natürlich ist der Minister verantwortlich. Er betont ja auch, er habe ganz viel gemacht. Wenn er nicht verantwortlich wäre, hätte er ja auch nichts machen müssen." Der entscheidende Punkt sei, dass es ein Schreiben des Justizministeriums gegeben habe, in dem die Befürchtung geäußert worden sei, dass dieser neue, risikobasierte Ansatz dazu führe, dass bestimmte Straftaten nicht mehr weitergeleitet werden.
Demnach habe das SPD-geführte Ministerium gefragt, ob die Praxis des Finanzministeriums ein Gesetzesverstoß ist, und dagegen protestiert. "Diese Praxis hat Scholz als Minister mitentschieden, deshalb kann er sich nicht wegducken", so De Masi. Und deshalb ermittle auch die Staatsanwaltschaft.