Oma wird nicht überfahren
Seite 2: Und die Oma?
Der ungeduldige Leser mag sich nun fragen, wo die verflixte Oma bleibt. Ich komme langsam zum Ziel. Drei Antworten hätte ich auf das ethische Beispiel mit Oma und Kind.
Erstens: Wie häufig hat man mit einem solchen Szenario zu tun? Ich würde mich außerordentlich wundern, wenn nur ein einziger von den tausenden Telepolis-Lesern jemals im Leben vor der Wahl stand, entweder die Oma oder das Kind zu überfahren. Wer so was einmal selbst erlebt hat, der möge sich bei den Kommentaren melden und seine Geschichte (und Entscheidung) erläutern. Ich denke, aus diesem Grund kommt das Szenario nicht bei den Führerscheinfragen vor (zumindest nicht in Berlin).
Zweitens: Die Realität ist, dass wir sehr weit von der Utopie entfernt sind. Das bedeutet, dass wir bei der Entwicklung von autonomen Fahrzeugen noch in den Kinderschuhen stecken. Wir alle, auch Google. Wir sind einfach froh, wenn wir mit den vorhandenen Sensoren die Präsenz von Hindernissen und deren Trajektorien erkennen. Wir sind sehr glücklich, wenn wir 99% der Passanten detektieren - die restlichen 1% werden noch viel Arbeit bedeuten.
Wir stehen am Anfang der Entwicklung - und jetzt von solchen Prototypen zu erwarten, in einer halben Sekunde das Alter der Passanten zu ermitteln, die Lebenserwartung zu berechnen (durch Blick auf die Patientenakten?) und dann sich für das Verschonen des Kindes zu entscheiden, ist etwas, was noch nicht auf der Tagesordnung der technischen Entwicklung steht. Es wäre so verfrüht, wie bereits heute für eine zukünftige Marsmission im Jahr 2050 die Immobiliengesetze für eine Marskolonie zu verabschieden.
Außerdem: Auf absehbare Zeit werden Prototypen von autonomen Fahrzeugen noch nicht fahrerlos zirkulieren. Mindestens ein Mensch wird drin sitzen und die Verantwortung tragen.
Und drittens: Es ist in Deutschland verboten Menschenleben gegen Menschenleben aufzurechnen! Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass es rechtswidrig wäre, automatisch ein gekapertes Passagierflugzeug abzuschießen, weil dann das Leben der Passagiere mit dem Leben der möglichen Opfer eines Absturzes verglichen würde, aber "Menschenleben nicht gegeneinander aufgerechnet werden dürfen". Steht also das Kind in der Spur und würde ein autonomes Fahrzeug sich für den Spurwechsel Richtung Oma entscheiden, hätte der Programmierer des Fahrzeugs etwas eingebaut, das in Deutschland einfach rechtswidrig ist. Ausschließlich Vollbremsung ist in allen solchen künstlichen Szenarien, ohne Möglichkeit des Ausweichens, angesagt.
Weniger Unfälle durch Tempolimit und Stadtplanung
Ich habe sehr interessante Vorträge von Verkehrsplanern gehört, bei denen es darum geht, das Verhalten der Autofahrer und Passanten durch reine Baumaßnahmen zu beeinflussen. In Holland ist es beispielsweise in manchen Städten gelungen, den Verkehr flüssiger zu machen, bei gleichzeitiger Reduzierung der Verkehrsunfälle.
Ich denke, dass wir in Zukunft, wenn Autos von alleine fahren können, wir diese auf Parkhäuser verbannen und die Straße größtenteils zurück an die Fußgänger und Fahrradfahrer geben können. Wenn wir dann keine geparkten Autos mehr hätten, wüchse automatisch der Platz für die heute sogenannten schwächeren Verkehrsteilnehmer. Wenn wir deutlich weniger Autos hätten, die auch nur noch Tempo 30 in der Stadt fahren, und dennoch schneller ans Ziel kommen, reduzieren wir auch das Unfallrisiko und die Unfallfolgen. Wenn die Straßen so ausgelegt werden, z.B. durch ausreichende Bepflanzung, dass die Passanten es jederzeit bevorzugen, die Straße nur an den Kreuzungen zu überqueren, hätten wir das Unfallrisiko nachhaltig deutlich reduziert.
Da bei Tempo 30 die Bremstrecke bei Vollbremsung 4,5m beträgt, müsste die Oma wirklich flink sein, um bei Sensoren mit 100 Metern Reichweite urplötzlich und ungesehen mitten auf der Spur zu stehen. Wäre dies trotzdem der Fall und würde auch ein ebenso flinkes Kind auf die Spur springen, und gäbe es keine andere Ausweichmöglichkeit, würde die Automatik einfach voll auf die Bremsen treten, ohne Menschleben gegeneinander aufzurechnen. Ist das Auto leicht gebaut und ist ausreichender passiver Schutz in der Karosserie verbaut worden, hätte man die maximale Vorsorge im Lichte der geltenden Gesetze getroffen.
Man könnte noch einwenden, dass Autos auf der Autobahn schneller sein werden, aber dort würde ich keine Oma mit Gehhilfe mitten auf der Spur erwarten. Größere Vehikel, wie z.B. Busse, sind natürlich gefährlicher, aber diese würden nicht überall zirkulieren und man könnte die Busspuren durch bauliche Maßnahmen zusätzlich absichern.
Ich denke: Wenn wir es richtig hinkriegen, werden weder Kind noch Oma überfahren.
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