Omikron und die kritische Zahl

Seite 3: Transparenz – welche Transparenz?

Deutschland rauscht im Eiltempo auf eine Entscheidung zur allgemeinen Impfpflicht zu. Einer Möglichkeit, die vor wenigen Monaten noch explizit ausgeschlossen wurde. Die Bedrohung durch die Omikron-Variante ist hierbei eines der Hauptargumente (auch wenn die spürbaren Resultate einer Impfpflicht sich erst in einigen Monaten zeigen dürften, wenn Omikron vermutlich deutlich weniger aktuell sein dürfte).

Aber basierend auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen hat das RKI die Risikobewertung erhöht? Auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen hat der Expertenrat seine dringende Warnung abgegeben?

Auf Nachfrage von Telepolis war es nicht möglich, eine konkretere Angabe zu den wissenschaftlichen Grundlagen zu erhalten, als der Verweis auf Dänemark und Großbritannien. Der Expertenrat erhielt eine Anfrage der Stuttgarter Zeitung, welche "nationalen und internationalen Modellierungen der Infektionsdynamik" sie benutzt hätten, um zu ihren Empfehlungen zu gelangen. Die knappe Antwort:

Die Beratungen des Expertengremiums der Bundesregierung zu Covid-19 sind vertraulich. Die Vertraulichkeit umfasst auch die den Beratungen zugrunde liegenden Unterlagen.

Aus der Stuttgarter Zeitung

Völlig zu Recht weist die Stuttgarter Zeitung auf einen hochbedenklichen Widerspruch hin. Denn der Expertenrat fordert explizit:

Neben dem konsequenten Handeln ist stringentes Erklären entscheidend. Die Omikronwelle trifft auf eine Bevölkerung, die durch eine fast zweijährige Pandemie und deren Bekämpfung erschöpft ist und in der massive Spannungen täglich offenkundig sind. Eine umfassende Kommunikationsstrategie mit nachvollziehbaren Erklärungen der neuen Risikosituation und der daraus folgenden Maßnahmen ist essentiell.

Expertenrat der Bundesregierung, 19. 12. 2021

Wie hierzu die eigene fehlende Transparenz passen soll, bleibt ein Geheimnis. Wie zu vieles im Zeitalter von Corona.

Wendepunkt und rote Linien

Ohne ausreichende Transparenz macht sich Deutschland auf den Weg in die extrem polarisierende Diskussion rund um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Bereits am 17. Dezember machte Kekulé deutlich, dass paradoxerweise gerade die vermutlich milde Form der Omikron-Variante zu einer erheblichen Spaltung der Gesellschaft führen kann:

Mit der Ausbreitung von Omikron ist jedoch ein Wendepunkt der Pandemie erreicht, an dem erstmals auch eine mögliche Abnahme der Krankheitsschwere in Betracht gezogen werden muss.

Dadurch ergibt sich neben den bereits bekannten gesundheitlichen Gefahren noch ein ganz anderes, schwer kalkulierbares Risiko: Wenn der Staat unverhältnismäßig scharfe Gegenmaßnahmen verhängt, würde das Vertrauen der von den Freiheitsbeschränkungen zermürbten Bevölkerung nachhaltig Schaden nehmen. Massive Einschränkungen stießen bei in der Regel leicht verlaufenden Infektionen wohl kaum noch auf Akzeptanz, zumal heute niemand mehr dem utopischen Versprechen glauben würde, die Pandemie wäre in naher Zukunft durch eine Impfung zu beenden – der soziale und politische Spaltpilz könnte zu einem längerfristigen Problem werden als das Virus.

Es gibt deshalb auch im Kampf gegen Corona "rote Linien", auch wenn der Bundeskanzler das offenbar anders sieht.

Alexander Kekulé