Omikron und die kritische Zahl
Seite 2: Kritik an der kritischen Zahl
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Im MDR-Podcast 259 hat Alexander Kekulé sich ausführlich zur Einschätzung der Gefahr von Omikron geäußert. Er wundert sich nicht nur über die vermeintliche kritische Zahl, die Karl Lauterbach erwähnt hat und die angeblich überschritten sei, sodass eine fünfte Welle unvermeidlich wäre:
Ich wüsste auch jetzt nicht genau, wie die kritische Zahl, auf die sich Herr Lauterbach bezieht, da aussehen sollte.
Alexander Kekulé
Kekulé stellt aber erst einmal nicht grundsätzlich eine neue Welle infrage. Er bemängelt allerdings, dass bisher eine wissenschaftliche Begründung für die Einschätzung des Expertenrats fehlt:
Also der wissenschaftliche Corona-Rat der Bundesregierung hat hier so ein bisschen die Abkürzung genommen. Wahrscheinlich waren sie ja natürlich auch unter Zeitdruck. Die haben sehr kurz ihre Meinung aufgeschrieben, aber es fehlt bisher die wissenschaftliche Begründung dazu. Sie verweisen dann, sag ich mal, machen solche Statements, dass die kritische Infrastruktur gefährdet wäre.
Ja, das steht in allen Pandemieplänen und wurde auch immer bei der Pandemieplanung als Worst-Case-Szenario – anders kann man das nicht sagen – als Szenario für den allerschlimmsten Fall diskutiert und in die Planungen aufgenommen. Und es ist in der Tat so, dass in den Arbeiten aus England, insbesondere der Herr Ferguson, der sich dort immer mit relativ guten, aber, sage ich mal, doch sehr alarmistischen, vorsichtigen Äußerungen hervortut... der Neil Ferguson, dessen Arbeit hat das eben mit der kritischen Infrastruktur in den Raum gestellt.
Ich gehe davon aus, dass unsere Kommission unser Expertenrat das gelesen hat. Ich weiß nicht, ob man das eins zu eins übernehmen kann.
Alexander Kekulé
Ein kritischer Blick auf die kritische Infrastruktur
Kekulés Kritik an der ersten Stellungnahme des Expertenrats der Bundesregierung wird aber deutlicher, wenn es um die angebliche Gefährdung der kritischen Infrastruktur geht:
Wieso soll jetzt plötzlich in dieser Phase der Pandemie die kritische Infrastruktur gefährdet sein, wenn es vorher nicht der Fall war? Da müsste man entweder argumentieren mit einer deutlich gestiegenen Infektiosität dieses Virus. Da würde ich sagen, werden noch drüber sprechen, gibt es Daten dafür. Aber die sind jetzt nicht so, dass man sagen würde, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, sondern es ist, wenn dann eine geringfügige Steigerung von der Ansteckungsfähigkeit. Wir haben keine Hinweise darauf, dass Omikron schwerere Verläufe macht.
Im Gegenteil, wenn man die Immunität der Bevölkerung mit einbezieht, wie gesagt, deutlich leichtere Verläufe sind zu erwarten. Sodass jetzt eigentlich die kritische Infrastruktur nur noch dadurch gefährdet werden kann, dass Menschen, die erkrankt sind an Omikron, dann nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen, also letztlich der behördliche Eingriff. Oder dass Kontaktpersonen durch Quarantäne nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen. Und d.h. also, das wären dann sekundäre Kollateralschäden, die wir selber setzen.
Alexander Kekulé
Kekulé betont diesen entscheidenden Punkt, inwiefern ein mögliches Worst-Case-Szenario nicht schlussendlich viel mehr durch die Entscheidungen der Politik entstehen kann, als dass sie das Resultat der neuen Omikron-Welle sind:
"Die Gefährdung der kritischen Infrastruktur ist letztlich nicht ein Thema der neuen Variante, sondern ist die Frage: Wie agieren wir, wie reagieren wir auf diese neue Variante? Und da beißt sich ein bisschen die Katze in den Schwanz, wenn dieser Expertenrat jetzt massive Maßnahmen empfiehlt auf der einen Seite – das war ja doch recht dramatisch, was da drin entstand – und auf der anderen Seite befürchtet, dass die kritische Infrastruktur gestört werden könnte. Da muss man erst mal klären, was ist das strategische Ziel bei der Begegnung dieser neuen Variante und wie können wir das erreichen, ohne selbst unsere kritische Infrastruktur durch die Gegenmaßnahmen zu gefährden?"
Kekulé widerspricht
Alexander Kekulé wird im Podcast zu seiner Einschätzung des in diesem Artikel eingangs zitierten Lage-Statement des Expertenrats gefragt: "Aufgrund des gleichzeitigen extremen Patientenaufkommens ist eine erhebliche Überlastung der Krankenhäuser zu erwarten, selbst für den wenig wahrscheinlichen Fall einer deutlich abgeschwächten Krankheitsschwere im Vergleich zur Delta-Variante." Kekulé antwortet entschieden:
"Aber die eine Stelle, da muss ich sagen, da widerspreche ich tatsächlich. Es ist so, dass wir viele Daten haben, die darauf hindeuten oder die eigentlich fast schon belegen inzwischen, dass die Infektionen in der Omikron-Welle leichter verlaufen (…) Also, wie man vor diesem Hintergrund jetzt spekulieren kann, dass wahrscheinlich die Krankheitsverläufe schwerer... nicht leichter sein werden – so steht es ja da drin: die werden letztlich wahrscheinlich nicht leichter sein –, das kann ich nicht nachvollziehen."
Kekulé gibt sich im Hinblick auf Omikron optimistisch und sieht guten Grund, dass diese Variante das Ende der Krise einläute:
Und die Hoffnung ist natürlich schon, dass jetzt im Gesamtpaket, jetzt nicht für die Ungeimpften, aber im Gesamtpaket für die 80 Prozent Bevölkerung, die geimpft sind, plus den Anteil, der genesen ist... dass für die möglicherweise dieses Omikron auf dem Weg sein könnte, – das muss man vorsichtig formulieren –, so eine Art Schnupfenvirus zu werden, Erkältungsvirus zu werden, wie wir das ja auch von den anderen Coronaviren kennen. Das ist ja von Anfang an die Hoffnung in dieser Pandemie gewesen, dass so etwas passiert. Ich hatte schon mal berichtet, dass ein Freund von mir, der auch Virologe ist, gesagt hat, das wäre dann so eine Art Messias-Variante.
Alexander Kekulé