Omikron und die kritische Zahl

Die Inzidenz sinkt rapide, aber aufgrund der Entwicklung von Omikron verdunkeln sich die Vorhersagen und die Corona-Maßnahmen werden verschärft. Aber was ist die Grundlage dieser Prognosen?

Drei Tage vor Weihnachten hat das RKI die Risikobewertung wegen Omikron verschärft und erläutert: "Auch wenn in Deutschland die Omikron-Welle noch am Anfang steht, zeigt der Blick ins Ausland, dass durch diese Variante mit einer Infektionswelle von bisher noch nicht beobachteter Dynamik gerechnet werden muss."

Bereits zwei Tage zuvor hatte der neu eingesetzte Expertenrat der Bundesregierung zu Covid-19 in seiner ersten Stellungnahme eine Warnung verfasst, die an Deutlichkeit kaum zu überbieten ist:

Aufgrund des gleichzeitigen, extremen Patientenaufkommens ist eine erhebliche Überlastung der Krankenhäuser zu erwarten - selbst für den wenig wahrscheinlichen Fall einer deutlich abgeschwächten Krankheitsschwere im Vergleich zur Delta-Variante. Sogar wenn sich alle Krankenhäuser ausschließlich auf die Versorgung von Notfällen und dringlichen Eingriffen konzentrieren, wird eine qualitativ angemessene Versorgung aller Erkrankten nicht mehr möglich sein.

Expertenrat der Bundesregierung, 19. 12. 2021

Die Situation gilt für einen längeren Zeitraum als hochgradig gefährlich: "Der Expertenrat erwartet für die kommenden Wochen und Monate enorme Herausforderungen, die ein gemeinsames und zeitnahes Handeln aller erfordern." Alle 19 Experten haben dieser Einschätzung zugestimmt.

Eine Modellrechnung, die der Expertenrat herangezogen hat, warnt, dass die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen in Deutschland wegen der Omikron-Variante im März bis auf etwa 160.000 bis 240.000 ansteigen könnte. In diesem Szenario müsste theoretisch mit 8.000 Patienten gerechnet werden, die mit einer Corona-Infektion gleichzeitig auf einer Intensivstation lägen. Aktuell sind dies etwa halb so viele.

Die kritische Zahl

Ebenfalls am 19. Dezember war laut Gesundheitsminister Karl Lauterbach auch der Point of no return erreicht, denn eine kritische Zahl der Menschen, die sich mit der Omikron-Variante infiziert haben, sei überschritten, so dass eine fünfte Welle nicht mehr zu verhindern sei.

Der Virologe Christian Drosten erklärte, nun schreibe Omikron die Regeln. Daher denkt er laut über eine neue Form von 1G nach: Zugang nicht für Genesene. Zugang nicht für Getestete. Zugang nicht für Geimpfte. Zugang nur für Geboosterte. Weshalb Genesene oder frisch doppelt Geimpfte keinen Zugang haben sollen, erläuterte Drosten jedoch nicht.

In dem Kontext ist bemerkenswert, dass Biontech-Gründer Ugur Sahin bereits drei Tage zuvor erklärt hatte: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass selbst Dreifach-Geimpfte die Krankheit übertragen können."

Anpassung und Frust

Deutschland boostert gegen Omikron. Allerdings mit Impfstoffen, die für die Wuhan-Variante konzipiert worden sind. Mehrfach hatte Alexander Kekulé in seinem MDR-Podcast kritisiert, dass die Impfstoffhersteller keine Anpassung an die seit Langem vorherrschende Delta-Variante vorgenommen haben. Seine Einschätzung:

Die Hersteller haben sich dagegen entschieden, weil sie natürlich das Zeug, was sie sowieso schon verkaufen, auf die Weise ein drittes Mal loswerden. Und das braucht man niemandem zu erklären, dass man damit mehr Geld verdienen kann, als jetzt was Neues zu entwickeln.

Alexander Kekulé

Bei Omikron haben die Hersteller jedoch soeben eine Anpassung ausdrücklich versprochen. Angeblich kann Biontech beispielsweise Ende März mit dem angepassten Impfstoff auf den Markt kommen. Inwiefern dann die Omikron-Variante in Deutschland noch dominieren sollte, ist heute kaum zu beantworten.

Eindeutig zeigt sich hingegen, dass in Deutschland seit Oktober die Zukunft mit tiefschwarzer Palette gemalt wird und auch die seit Anfang Dezember sehr stark sinkenden Fallzahlen können hierzulande nicht einmal den Hauch von Optimismus auslösen. Aufgrund von Omikron sind die Prognosen ebenso düster wie vor zwei und drei Monaten.

Die neue Horrorvorstellung ist weniger die Überlastung des Gesundheitssystems, sondern das Zusammenbrechen der sogenannten kritischen Infrastruktur. Vor diesem Hintergrund bereitet sich gerade die deutsche Politik auf die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht vor.

Blick nach Südafrika

Die Suche nach konkreten Begründungen und Belegen für die Panik vor der sich rasch ausbreitenden Omikron-Variante gestaltet sich nicht einfach. Immer wieder wird auf die sehr hohe Ansteckungsrate hingewiesen, aber eigentlich hatte sich die deutsche Politik seit einiger Zeit geschworen, den Blick insbesondere auf die Auslastung des Krankenhaussystems zu richten. Konkrete Aussagen und Belege aber, inwiefern in den Krankenhäusern eine Überlastung zu erwarten ist, sind nicht ganz einfach zu finden.

Auf Anfrage von Telepolis nach konkreten wissenschaftlichen Belegen verwies das RKI auf die eigene Risikoeinschätzung. Dort findet sich jedoch einzig folgende Aussage als Beleg:

Auch wenn in Deutschland die Omikron-Welle noch am Anfang steht, zeigt der Blick ins Ausland, dass durch diese Variante mit einer Infektionswelle von bisher noch nicht beobachteter Dynamik gerechnet werden muss.

RKI

Auf eine Nachfrage wurde auf Großbritannien und Dänemark verwiesen. In der Stellungnahme des Expertenrats werden in diesem Zusammenhang konkret noch Norwegen und die Niederlande erwähnt. In beiden Fällen: Zahlen und Studien? Fehlanzeige.

Überraschenderweise wird ein Land in beiden Hinweisen aber nicht erwähnt: Südafrika. Dabei wurde die Omikron-Variante dort entdeckt und Südafrika hat mit dieser neuen Variante die meiste Erfahrung. Werfen wir also zuerst einen Blick nach Südafrika.

Betrachtet man die Krankenhaussituation, so zeigt sich, dass in Südafrika zu keinem Zeitpunkt der jüngsten Welle mehr Menschen im Krankenhaus oder auf Intensiv gelegen haben als in den vorherigen Wellen. Tatsächlich war die Krankenhausbelegung sogar deutlich niedriger.

Verschiedene Studien belegen eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisierung durch Omikron in Südafrika. Laut British Medical Journal sinkt diese um 29 Prozent im Vergleich zur Delta-Variante. Andere Studien kommen sogar auf 70 Prozent beziehungsweise 70 bis 80 Prozent.

Die Anzahl der Menschen, die täglich an Omikron versterben, wird sogar als um den Faktor 10 geringer beschrieben. Besonders erstaunlich: Von Beginn der Welle in Südafrika bis zum Scheitelpunkt der Infektionskurve vergingen nur weniger als vier Wochen.

Cheryl Cohen, Autor einer Untersuchung (noch ohne Peer-Review), die einen im Vergleich zu anderen Varianten einen harmloseren Verlauf von Krankheiten durch Omikron feststellt, geht davon aus, dass geschätzt zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung in Südafrika bereits zuvor mit Corona-Viren infiziert waren. Andere Studien kommen angeblich sogar auf 70 bis 80 Prozent

Zwei Tage vor der Veröffentlichung der Stellungnahme des deutschen Expertenrats hatte Südafrika die Kontaktverfolgung und die Quarantänepflichten beendet.

Sicherlich ist Südafrika mit seinem sehr jungen Altersdurchschnitt und seiner sehr hohen Genesenerate nur sehr bedingt mit Deutschland vergleichbar. Nichtsdestotrotz sollte sicherlich als Erstes der Blick auf dieses Land fallen, wenn es um die Einschätzung von Omikron geht. Dieser Blick kann die aktuellen deutschen Worst-Case-Szenarien eigentlich nicht ansatzweise belegen.

Blick in andere Länder

Offizielle Zahlen bestätigen in Großbritannien – ebenso wie in Südafrika – die deutlich geringere Wahrscheinlichkeit einer Krankenhauseinweisung (vgl. Inzidenz Deutschland: 216, Inzidenz London: 2.016). Die Wahrscheinlichkeit einer Intensivbehandlung ist im Vergleich zu Delta zwischen 31 und 45 Prozent niedriger. Die Wahrscheinlichkeit einer Krankenhauseinweisung zwischen 50 und 70 Prozent niedriger.

In Schottland ergab eine Studie, dass Omikron im Vergleich zu Delta das Risiko einer Krankenhauseinweisung wegen Covid-19 um zwei Drittel senkt.

Dänemark leidet derzeit an den höchsten Infektionszahlen in der Welt. Aber die realen Krankenhauszahlen, auch wenn sie erkennbar steigen, bleiben deutlich unter den Prognosen. Die Krankenhausbelegung ist deutlich geringer als noch in der letzten Winterwelle.

Der deutsche Expertenrat erwähnte noch die Niederlande und Norwegen als warnendes Beispiel und als Grund für die äußerst kritischen Töne. In den Niederlanden stiegen seit Ende Oktober bis Anfang Dezember die Krankenhauszahlen deutlich an. Das Plateau wurde Ende November erreicht und liegt leicht über den Spitzenwerten des letzten Winters. Seit dem 13. Dezember sinken die Zahlen wieder. Am 18. Dezember wurde ein Lockdown ausgerufen.

Norwegen ist das einzige der vier Länder, auf die der Expertenrat sorgenvoll verweist, das eine sehr starke Zunahme der Krankenhausbelegung durch Patienten mit Sars-CoV-2 zu verzeichnen hat.

Insgesamt bleibt die Frage bestehen, wie das RKI – mit Blick auf Großbritannien und Dänemark – zu der Entscheidung der Erhöhung der Risikobewertung gelangt sind. Ebenso stellt sich auch die Frage beim Expertenrat.

Kritik an der kritischen Zahl

Im MDR-Podcast 259 hat Alexander Kekulé sich ausführlich zur Einschätzung der Gefahr von Omikron geäußert. Er wundert sich nicht nur über die vermeintliche kritische Zahl, die Karl Lauterbach erwähnt hat und die angeblich überschritten sei, sodass eine fünfte Welle unvermeidlich wäre:

Ich wüsste auch jetzt nicht genau, wie die kritische Zahl, auf die sich Herr Lauterbach bezieht, da aussehen sollte.

Alexander Kekulé

Kekulé stellt aber erst einmal nicht grundsätzlich eine neue Welle infrage. Er bemängelt allerdings, dass bisher eine wissenschaftliche Begründung für die Einschätzung des Expertenrats fehlt:

Also der wissenschaftliche Corona-Rat der Bundesregierung hat hier so ein bisschen die Abkürzung genommen. Wahrscheinlich waren sie ja natürlich auch unter Zeitdruck. Die haben sehr kurz ihre Meinung aufgeschrieben, aber es fehlt bisher die wissenschaftliche Begründung dazu. Sie verweisen dann, sag ich mal, machen solche Statements, dass die kritische Infrastruktur gefährdet wäre.

Ja, das steht in allen Pandemieplänen und wurde auch immer bei der Pandemieplanung als Worst-Case-Szenario – anders kann man das nicht sagen – als Szenario für den allerschlimmsten Fall diskutiert und in die Planungen aufgenommen. Und es ist in der Tat so, dass in den Arbeiten aus England, insbesondere der Herr Ferguson, der sich dort immer mit relativ guten, aber, sage ich mal, doch sehr alarmistischen, vorsichtigen Äußerungen hervortut... der Neil Ferguson, dessen Arbeit hat das eben mit der kritischen Infrastruktur in den Raum gestellt.

Ich gehe davon aus, dass unsere Kommission unser Expertenrat das gelesen hat. Ich weiß nicht, ob man das eins zu eins übernehmen kann.

Alexander Kekulé

Ein kritischer Blick auf die kritische Infrastruktur

Kekulés Kritik an der ersten Stellungnahme des Expertenrats der Bundesregierung wird aber deutlicher, wenn es um die angebliche Gefährdung der kritischen Infrastruktur geht:

Wieso soll jetzt plötzlich in dieser Phase der Pandemie die kritische Infrastruktur gefährdet sein, wenn es vorher nicht der Fall war? Da müsste man entweder argumentieren mit einer deutlich gestiegenen Infektiosität dieses Virus. Da würde ich sagen, werden noch drüber sprechen, gibt es Daten dafür. Aber die sind jetzt nicht so, dass man sagen würde, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, sondern es ist, wenn dann eine geringfügige Steigerung von der Ansteckungsfähigkeit. Wir haben keine Hinweise darauf, dass Omikron schwerere Verläufe macht.

Im Gegenteil, wenn man die Immunität der Bevölkerung mit einbezieht, wie gesagt, deutlich leichtere Verläufe sind zu erwarten. Sodass jetzt eigentlich die kritische Infrastruktur nur noch dadurch gefährdet werden kann, dass Menschen, die erkrankt sind an Omikron, dann nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen, also letztlich der behördliche Eingriff. Oder dass Kontaktpersonen durch Quarantäne nicht mehr zur Arbeit kommen dürfen. Und d.h. also, das wären dann sekundäre Kollateralschäden, die wir selber setzen.

Alexander Kekulé

Kekulé betont diesen entscheidenden Punkt, inwiefern ein mögliches Worst-Case-Szenario nicht schlussendlich viel mehr durch die Entscheidungen der Politik entstehen kann, als dass sie das Resultat der neuen Omikron-Welle sind:

"Die Gefährdung der kritischen Infrastruktur ist letztlich nicht ein Thema der neuen Variante, sondern ist die Frage: Wie agieren wir, wie reagieren wir auf diese neue Variante? Und da beißt sich ein bisschen die Katze in den Schwanz, wenn dieser Expertenrat jetzt massive Maßnahmen empfiehlt auf der einen Seite – das war ja doch recht dramatisch, was da drin entstand – und auf der anderen Seite befürchtet, dass die kritische Infrastruktur gestört werden könnte. Da muss man erst mal klären, was ist das strategische Ziel bei der Begegnung dieser neuen Variante und wie können wir das erreichen, ohne selbst unsere kritische Infrastruktur durch die Gegenmaßnahmen zu gefährden?"

Kekulé widerspricht

Alexander Kekulé wird im Podcast zu seiner Einschätzung des in diesem Artikel eingangs zitierten Lage-Statement des Expertenrats gefragt: "Aufgrund des gleichzeitigen extremen Patientenaufkommens ist eine erhebliche Überlastung der Krankenhäuser zu erwarten, selbst für den wenig wahrscheinlichen Fall einer deutlich abgeschwächten Krankheitsschwere im Vergleich zur Delta-Variante." Kekulé antwortet entschieden:

"Aber die eine Stelle, da muss ich sagen, da widerspreche ich tatsächlich. Es ist so, dass wir viele Daten haben, die darauf hindeuten oder die eigentlich fast schon belegen inzwischen, dass die Infektionen in der Omikron-Welle leichter verlaufen (…) Also, wie man vor diesem Hintergrund jetzt spekulieren kann, dass wahrscheinlich die Krankheitsverläufe schwerer... nicht leichter sein werden – so steht es ja da drin: die werden letztlich wahrscheinlich nicht leichter sein –, das kann ich nicht nachvollziehen."

Kekulé gibt sich im Hinblick auf Omikron optimistisch und sieht guten Grund, dass diese Variante das Ende der Krise einläute:

Und die Hoffnung ist natürlich schon, dass jetzt im Gesamtpaket, jetzt nicht für die Ungeimpften, aber im Gesamtpaket für die 80 Prozent Bevölkerung, die geimpft sind, plus den Anteil, der genesen ist... dass für die möglicherweise dieses Omikron auf dem Weg sein könnte, – das muss man vorsichtig formulieren –, so eine Art Schnupfenvirus zu werden, Erkältungsvirus zu werden, wie wir das ja auch von den anderen Coronaviren kennen. Das ist ja von Anfang an die Hoffnung in dieser Pandemie gewesen, dass so etwas passiert. Ich hatte schon mal berichtet, dass ein Freund von mir, der auch Virologe ist, gesagt hat, das wäre dann so eine Art Messias-Variante.

Alexander Kekulé

Transparenz – welche Transparenz?

Deutschland rauscht im Eiltempo auf eine Entscheidung zur allgemeinen Impfpflicht zu. Einer Möglichkeit, die vor wenigen Monaten noch explizit ausgeschlossen wurde. Die Bedrohung durch die Omikron-Variante ist hierbei eines der Hauptargumente (auch wenn die spürbaren Resultate einer Impfpflicht sich erst in einigen Monaten zeigen dürften, wenn Omikron vermutlich deutlich weniger aktuell sein dürfte).

Aber basierend auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen hat das RKI die Risikobewertung erhöht? Auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen hat der Expertenrat seine dringende Warnung abgegeben?

Auf Nachfrage von Telepolis war es nicht möglich, eine konkretere Angabe zu den wissenschaftlichen Grundlagen zu erhalten, als der Verweis auf Dänemark und Großbritannien. Der Expertenrat erhielt eine Anfrage der Stuttgarter Zeitung, welche "nationalen und internationalen Modellierungen der Infektionsdynamik" sie benutzt hätten, um zu ihren Empfehlungen zu gelangen. Die knappe Antwort:

Die Beratungen des Expertengremiums der Bundesregierung zu Covid-19 sind vertraulich. Die Vertraulichkeit umfasst auch die den Beratungen zugrunde liegenden Unterlagen.

Aus der Stuttgarter Zeitung

Völlig zu Recht weist die Stuttgarter Zeitung auf einen hochbedenklichen Widerspruch hin. Denn der Expertenrat fordert explizit:

Neben dem konsequenten Handeln ist stringentes Erklären entscheidend. Die Omikronwelle trifft auf eine Bevölkerung, die durch eine fast zweijährige Pandemie und deren Bekämpfung erschöpft ist und in der massive Spannungen täglich offenkundig sind. Eine umfassende Kommunikationsstrategie mit nachvollziehbaren Erklärungen der neuen Risikosituation und der daraus folgenden Maßnahmen ist essentiell.

Expertenrat der Bundesregierung, 19. 12. 2021

Wie hierzu die eigene fehlende Transparenz passen soll, bleibt ein Geheimnis. Wie zu vieles im Zeitalter von Corona.

Wendepunkt und rote Linien

Ohne ausreichende Transparenz macht sich Deutschland auf den Weg in die extrem polarisierende Diskussion rund um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Bereits am 17. Dezember machte Kekulé deutlich, dass paradoxerweise gerade die vermutlich milde Form der Omikron-Variante zu einer erheblichen Spaltung der Gesellschaft führen kann:

Mit der Ausbreitung von Omikron ist jedoch ein Wendepunkt der Pandemie erreicht, an dem erstmals auch eine mögliche Abnahme der Krankheitsschwere in Betracht gezogen werden muss.

Dadurch ergibt sich neben den bereits bekannten gesundheitlichen Gefahren noch ein ganz anderes, schwer kalkulierbares Risiko: Wenn der Staat unverhältnismäßig scharfe Gegenmaßnahmen verhängt, würde das Vertrauen der von den Freiheitsbeschränkungen zermürbten Bevölkerung nachhaltig Schaden nehmen. Massive Einschränkungen stießen bei in der Regel leicht verlaufenden Infektionen wohl kaum noch auf Akzeptanz, zumal heute niemand mehr dem utopischen Versprechen glauben würde, die Pandemie wäre in naher Zukunft durch eine Impfung zu beenden – der soziale und politische Spaltpilz könnte zu einem längerfristigen Problem werden als das Virus.

Es gibt deshalb auch im Kampf gegen Corona "rote Linien", auch wenn der Bundeskanzler das offenbar anders sieht.

Alexander Kekulé