Optionsmaschinen und die Formatierung der Welt
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Jede Epoche hatte eine für sie typische Technik. Welches Gerät aber eignet sich zur Charakterisierung unserer digitalen Gesellschaft der Spätmoderne?
Jede Zeit hat ihre prägenden Technologien, die technisch, vor allem aber symbolisch mit einer Ära verbunden werden. Für die Industriegesellschaft war das die Dampfmaschine, später das Fließband und der Roboter; die Risikogesellschaft wurde von der Atomkraft vertreten und ihrer Bombe; die Mediengesellschaft schaute auf den Fernseher, die Informationsgesellschaft auf den Computer. Welches wäre nun die richtige Technologie für die digitale Gesellschaft der Spätmoderne, in der wir gerade leben?
Das Smartphone böte sich hier als passende Technologie und sehr kräftiges Symbol an. Gemäß seines Konzepts der "Singularitäten" ist nach Reckwitz (2017) das Soziale in der Spätmoderne vor allem geprägt durch den individuellen Wunsch einzigartig zu sein, individuell – singulär eben.
Als das dazu passende technische Gerät eignet sich das Smartphone aus folgenden Gründen: Es stellt als eine individualisierte Optionsmaschine die Verlängerung der Welt für jedes Individuum dar, mit dem sich die eigene Singularität organisieren lässt – allerdings zu einem Preis. Dieser Preis liegt in dem Phänomen, das ich als totale Unterhaltung beschreiben würde, bei der schon lange nicht mehr das Individuum die Technik emanzipatorisch nutzt, sondern die Technik eine Verlängerung eines Angebotes ist, das zur (vermeintlich) grenzenlosen Auswahlfreiheit bereitsteht.
Die spätmoderne Gesellschaft ist bestimmt von der immer währenden Entscheidung für eine Auswahl aus schier grenzenlosen Optionen. Das klingt verlockend, vielleicht sogar befreiend, ist aber widersprüchlicher als man meint und als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Alles, von den Dienstboten bis hin zur Steuerung eines Smart Homes, vom Management der eigenen sozialen Beziehungen und seiner Kontakte bis hin zu den Informationen über die Welt, alles lässt sich bequem vom Smartphone aus steuern. Das Globale erreicht jeden einzelnen unvermittelt, das Smartphone wird zum Fenster zur Welt, ein Interface der Wirklichkeitserfahrung und -erkundung. Was allerdings aussieht wie eine Technologie der Emanzipation, ist in den meisten Fällen nur ein Gerät um Optionen auszuwählen, deren Zusammenstellungen von den Anbietern auf ihren Plattformen selbst vorgenommen wurden. Was am Ende erscheint, ist dann nur noch eine eingeschränkte, oft passgenaue Auswahl, zugeschnitten auf den oder die jeweilige Nutzer/in.
Haben wir eine grenzenlosen Auswahl – oder denken wir das nur?
Es ist lediglich nur noch die Simulation einer grenzenlosen Auswahl. Der Kulturwissenschaftler Jonathan Cohn als auch der Philosoph und Kognitionswissenschaftler Daniel Dennett sehen das Problem in der Art und Weise, wie Welt präsentiert wird und welche Möglichkeiten bestimmte Formen der Technologie bieten bzw. nicht mehr bieten.
Dennett betont vor allem die Abhängigkeit durch die Technologie, wenn er feststellt, dass " […] pretty soon we become so dependent on our new tools that we lose the ability to thrive without them. Options become obligatory" (Dennett 2019: 44). Cohn beschäftigt sich in seinem Buch The Burden of Choice (2019) intensiv mit eben diesen Optionen.
Die "Auswahl haben" ist das Kernelement einer Konsumgesellschaft, um die eigene Individualität auszudrücken. Cohn sieht darin allerdings unter den Bedingung digitaler Technologien eine Sackgasse und befürchtet, dass "the act of making choices ceases to be a performance of individuality and instead becomes an operation of conformity" (Cohn 2019: 35).
Auf analytischer Ebene stimme ich ihm zum, würde aber behaupten wollen, dass dieser Identitäts- und Individualisierungsprozess dennoch als Erzählung weiter funktioniert, weswegen die Strategie auch bestehen bleibt. Der Trick ist es, auch diese Konformität weiterhin als Ausdruck der Individualität zu verschleiern.
Auch Reckwitz' Singularität entfaltet sich mit den Produkten einer Massenproduktion, die als besonders individuell vermarktet oder als solche angesehen werden. In beiden Fällen werden die Zusammenhänge so verschleiert, dass auch eine Kontrolle und die Überwachung der Konsumenten genau dort ansetzen kann – in ihrem Konsumalltag, zu dem eben auch gehört, erreich- und verortbar zu sein, mithin also überwachbar (vgl. Marx 2016).
Was Cohn für den gesamten Bereich der Auswahl- und Empfehlungsalgorithmen ausführt und sehr anschaulich und kritisch darlegt, kann man konzentriert auf das Smartphone anwenden. Letztlich ist es das Gerät, die Technologie, welches die Ströme bündelt und quasi immer verfügbar ist. Smartphones sind Optionsmaschinen, in dem dort über standardisierte Möglichkeiten der Auswahl die Illusion einer vielfältigen und sehr persönlichen Auswahl erzeugt wird.
Rein auf Konsum ausgerichtete Beschränkung
Die Optionsmaschinen schränken die Auswahl ein, um die Qual der Wahl zu minimieren und bieten zugleich ein Interface, das das beständige Auswählen wie einen Akt persönlicher Autonomie aussehen lässt.
Das hat in mehrerlei Hinsicht mit dem Smartphone als Technologie, als Kulturgut und Symbol wie auch als Produkt von Unternehmen zu tun, die mehr als nur Telefongeräte bzw. hochleistungsfähige, tragbare Computer herstellen. Und es hat mit den Algorithmen zu tun, die diesen Prozessen Struktur geben.
Dass sich Smartphones wenig eignen, die benutzten Apps auch zu programmieren, während sie die aktive und emanzipatorische Teilhabe an den digitalen Technologien auf das eher passive Auswählen beschränken, verstärkt den Eindruck ihrer rein auf Konsum ausgelegten Limitierung zusätzlich (vgl. u.a. Sambuli 2017).
Für das Argument, dass Überwachung unter den Bedingungen der Digitalisierung vor allem konsumiert wird (auch wenn das im Alltag weder so genannt wird, noch so erscheint), ist eine Betrachtung der Technologie wichtig und darüber hinaus ihre Bedeutung innerhalb der Strukturen eines Überwachungskapitalismus, wie ihn Shoshana Zuboff skizziert hat.
Cohns Beobachtungen und Thesen sind vor allem deshalb zentral, da die Strukturen des digitalen Überwachungskapitalismus weitreichend sind. Sie sind nicht unbedingt neu, aber in ihrer Reich- und Tragweite hinsichtlich der Frage bedeutsam, wie sich heute Macht vor allem über die Beherrschung des Marktes auch politisch auswirken kann.
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