Orban: "Soros-Netzwerk" in Brüssel will "gemischte Gesellschaft"
Vor den Wahlen im nächsten Jahr schürt der ungarische Regierungschef die Paranoia, die Ausländerfeindlichkeit, den Antisemitismus und die Verschwörung
Der rechtsnationalistische ungarische Regierungschef Viktor Orban sieht sich, was schon fast an die Beziehung von Erdogan zu Gülen erinnert, im Kampf gegen den aus Ungarn stammenden Milliardär George Soros. Orban riskierte ein Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen eines gegen die von Soros eingerichtete Central European University (CEU), die ihm wie von Soros unterstützte NGOs ein Dorn im Auge ist.
Es war ihm auch eine Veröffentlichung auf Englisch auf der Regierungswebsite wert, der Welt seine Verschwörungstheorie bekannt zu geben, dass ein in der EU einflussreiches "Netzwerk" versuche, Europa eine "gemischte Bevölkerung" zu verschaffen, indem die Einwanderung gefördert und die ungarische Regierung und ihre Antimigrationspolitik bekämpft und stigmatisiert würde. Orban bedient sich auch des weiterhin in rechten Kreisen, nicht nur in Ungarn, herrschenden Antisemitismus. Überhaupt sieht Orban die Migration als das primäre politische Thema. Es gebe nicht mehr dem Kampf zwischen alten und den neuen EU-Mitgliedsländern oder zwischen links und rechts, sondern nur noch den zwischen Einwanderungs- und Nichteinwanderungsländern.
Orban sagte dies im Rahmen eines Interviews mit dem Sender "180 Minuten" und wies auf geleakte Dokumente hin, die zeigen würden, dass das "Soros-Empire" großen Einfluss auf das EU-Parlament und andere EU-Institutionen habe und versuche, das Leben in Europa zu beeinflussen. Herausgebracht hätten dies die ungarischen Geheimdienste. Es sei nun wichtig, die Ungarn zu identifizieren, die in Ungarn dazu bereit seien, mit dem Soros-Netzwerk zur Durchsetzung einer "gemischten Bevölkerung" zu kooperieren.
Es scheint also eine Hexenjagd geplant zu sein, um die EU-freundliche und nicht rassistische Opposition an den Rand zu drängen, weil sie "staatsfeindliche Aktivitäten" nachgehen, schließlich stehen nächstes Jahr im Frühjahr Wahlen an. Orban sieht sich durch die rechtsextreme Jobbik bedrängt und versucht wie hierzulande die CDU und vor allem die CSU durch den Gang nach rechts die Konkurrenz vom rechten Rand abzuwehren.
Erst kürzlich sprach Orban, der eine immer stärkere völkische, "identitäre" Politik propagiert, davon, dafür einzutreten, dass "Mitteleuropa die letzte migrantenfreie Zone Europas bleibt". Man kämpfe um die Identität: "Wenn wir ein ungarisches Ungarn und ein europäisches Europa wollen, müssen wir dafür offen eintreten." Das ist auch gegen Brüssel gewendet, wo er die Feinde von Ungarns Identität verortet. Soros erwähnte er in dem Zusammenhang nicht, aber es gebe da "globale Finanzimperien", die ihre Macht und ihr Geld einsetzen, um "Personal und Medien zusammenzukaufen und ausgedehnte Netzwerke zu errichten, die schnell, stark und brutal sind. Dieses spekulative Finanzimperium hat Brüssel im Griff, es hat uns Millionen Migranten auf den Hals gejagt."
Realpolitisch gebrochen wird der Drang zum Identitären, dass Orban sich hinter die spanische Regierung gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung stellte. Nicht ganz unproblematisch in seiner eigenen Partei Fidesz, in der Teile auch eine Unabhängigkeit für die in Rumänien lebenden Ungarn fordern.
Die Geheimdienste sollen nun also die Ungarn über die Machenschaften des Soros-Netzwerks in Brüssel aufklären, zumal die EU hier nicht aktiv werde. Die von den Geheimdiensten erlangten Informationen würden belegen, dass mehr als 200 Abgeordnete des EU-Parlaments als "Freunde des Netzwerks" gelistet würden, viele würden auch im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments sitzen, darunter auch einige Ungarn. Dabei geht es wohl um die Reform des Europäischen Asylsystems (CEAS), mit dem eine "gemischte Bevölkerung" durch eine EU-Asylbehörde und die Verteilung von Flüchtlingen geschaffen werden soll.
Rote Linie: Einwanderung oder Nicht-Einwanderung
Ganz umhin kam man nicht, die Frage des Interviewers auszuklammern, warum denn Ungarns EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport und Orbáns Ex-Justizminister Tibor Navracsics, der auch 2010 bis 2014 stellvertretender ungarischer Ministerpräsident war, gesagt habe, es gebe "keinen Soros-Plan". Orbans Antwort ist entlarvend: "Sehen Sie, nicht einmal er weiß es, das ist nur ein weiteres Argument dafür, das herauszufinden."
Orban weigert sich weiterhin gegen einen Verteilungsschlüssel von Flüchtlingen in der EU, jedes Land müsse selbst entscheiden, wer aufgenommen wird. Wenn diese Entscheidungskompetenz verschwinde, sei auch das Land nicht mehr existent. Brüssel oder Berlin hätten nicht die Macht anzuordnen, wer in Ungarn leben soll. Und wenn es einmal ein Loch gibt, werde das Wasser einfließen. In einer Kampagne von Orbans Partei wird gegen Brüssel und den angeblichen Soros-Plan mobil gemacht. Das würde den "Nationalstaat und das christliche Erbe Europas" gefährden.
Vom "Soros-Plan" war auch schon vor einigen Tagen die Rede, womit gemeint ist, dass die EU einen verbindlichen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge durchsetzen will, so dass auch Ungarn Flüchtlinge aufnehmen müsste. Das verbindet Orban mit der nationalen Souveränität und einer roten Linie.