Orientalische Märchenstunden

650 Millionen US-Dollar in Cash wurden in Bagdad gefunden, während Gerüchte über den Verbleib Husseins und über natürlich geheime Abkommen zwischen Irakern und Amerikanern aufbrodeln

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Wie vom Erdboden verschwunden sind noch immer die meisten der gesuchten hohen Regime-Angehörigen. Ebenso unverständlich ist ebenso, warum sich das Regime auf den lange kommenden Krieg so schlecht vorbereitet hatte und wohin die Elitetruppen untergetaucht sind, wenn sie nicht durch die Bombardierung vernichtet wurden. All das ist ein guter Nährboden für das Gedeihen von Vermutungen und Gerüchten. Immerhin sind zwei Erfolge zu vermelden: der frühere Finanzminister Hikmat Ibrahim al-Azzawi konnte festgenommen werden und es wurden an die 650 Millionen US-Dollar an Cash gefunden.

Saddam Hussein hatte nicht nut zahlreiche Paläste und Monumente erbaut, um sein Nachleben zu sichern, sondern er war auch ein Despot, der es sich gut gehen ließ und einen gewaltigen Reichtum angehäuft hat. Der Krieg in den 80er Jahren hatte den einst wohlhabenden Irak trotz der Rüstungshilfe durch die USA wirtschaftlich schwer angeschlagen. Mit dem Einmarsch in Kuwait wollte Hussein auch das Öl des kleinen Nachbarlandes für sich sprudeln lassen, erzürnte damit aber die bislang wohlgesonnene Supermacht und die Weltgemeinschaft. Die Zeit nach dem Kalten Krieg war günstig, der Krieg gegen den Irak schnell gewonnen. Das Regime ließ man aus realpolitischen Gründen überleben, was direkt vielen Menschen das Leben gekostet hat, der Irak wurde insgesamt in die Armut gebombt. Die Infrastruktur war zerstört (zum Beispiel die Trinkwasserversorgung, ein scharfes Embargo wurde verhängt und nur noch wenig Öl durfte schließlich verkauft werden, um lebenswichtige Dinge für die Bevölkerung zu kaufen.

Während das Land in Armut versank, nahm der Reichtum von Hussein und seiner Clique dennoch weiterhin zu. Schätzungen gehen dahin, dass Saddam Hussein alleine bis zu 24 Milliarden US-Dollar angesammelt haben könnte. Wie viele Milliarden es auch immer sein mögen, es ist viel Geld, vermutlich sicher im Ausland verteilt. Zudem ein wichtiges Überlebensmittel für den Diktator und seine Getreuen, um irgendwo Unterschlupf zu finden. Die vom Pentagon für Informationen über die irakische Führungselite angebotenen 200.000 Dollar lassen sich auf jeden Fall leicht überbieten. Möglicherweise könnte al-Azzawi einiges darüber wissen, aber vermutlich wird der ehemalige Finanzminister über vieles auch nicht Bescheid wissen.

Schatzsuche in Bagdad

Möglicherweise ist ja auch nicht das gesamt Geld im Ausland auf irgendwelchen Banken. Durch Zufall haben jetzt zumindest US-Soldaten in einer gut verrammelten Hütte 40 Aluminium-Kästen gefunden, wie die Los Angeles Times berichtet. Als sie einen Kasten aufbrachen fanden sie darin 40 Bündel neuer 100 Dollar Scheine. In jedem Bündel 100.000 Dollar, insgesamt also 4 Millionen Dollar. Mit 40 solcher Kästen war das Haus eine wahre Schatzgrube mit 160 Millionen Dollar in Cash. Das ließ die Soldaten neugierig werden, die prompt auch in weiteren benachbarten Hütten in der Nähe eines Stadtviertels, in dem hohe Mitglieder der Baath-Partei und der Republikanischen Garden gelebt haben sollen, noch mehr Schatztruhen fanden. Bei einer Suche mit mehr Soldaten wurden schließlich insgesamt etwa 650 Millionen Dollar in Cash gefunden. Das könnte natürlich jetzt nicht nur Soldaten, auch Einwohner begehrlich machen, auf Schatzsuche zu gehen.

Nicht verwunderlich ist, dass da auch einige der nicht sonderlich gut bezahlten US-Soldaten in Versuchung gerieten. Man hatte bemerkt, dass 600.000 Dollar aus einem geöffneten Kasten fehlten. Daraufhin seien drei Soldaten befragt worden. Das Geld wurde dann an den amerikanischen Hauptstützpunkt am Flughafen gebracht. Wo es jetzt sei, wisse man nicht, sagten Kommandeure sicherheitshalber. Ein ehemaliger Mitarbeiter der irakischen Regierung soll gesagt haben, dass wohl noch mehr Geld auf diese Weise vor dem Krieg versteckt worden sei. Der Schmuggel, der vor allem von Hussein-Sohn Uday organisiert worden war, musste mit Cah gemacht werden. Das Geld habe man meist außer Landes gebracht und dann etwa von Tunesien oder Jemen aus an "sichere" Orte wie Kasachstan oder Armenien gebracht.

Die Besitzer des Geldes scheinen entweder sehr überstürzt aufgebrochen zu sein, wobei das viele Bargeld hinderlich war, oder sie dachten vielleicht, dass sie schnell zurückkehren würden. Besonders gut gesichert war das Geld offenbar nicht, in den Hütten allerdings sicherer untergebracht als in die offiziellen Regierungsgebäuden, die schon von Plünderern durchsucht worden waren. Doch auch dieser Fund lässt wieder Fragen über das spurlose Untertauchen der Führungsschicht entstehen. Zumal von Abu Dhabi TV ein Video und eine Rede von Saddam Hussein gesendet wurde, die darauf hindeuten, dass der Diktatur auch nach der zweiten direkten Bombardierung am 7. April noch am Leben sein und sich die medienexistienzielle Strategie von Bin Ladin zu eigen gemacht haben könnte (Das Fort-Da-Spiel von Saddam Hussein).

Das plötzliche Wegtauchen der irakischen Führungsschicht

Wenn Hussein nicht naiver Weise darauf vertraut hat, dass die US-Regierung doch nicht angreifen wird, gab es sicher Pläne, wie man auf einen Angriff reagieren würde. Dass ein Krieg nicht zu gewinnen war, dürfte trotz aller Rhetorik und Verblendung auch Hussein und seinen Gefolgsleuten klar gewesen sein. 1991 war bereits eine deutliche Demonstration gewesen. Dass die meisten der Führungsriege bislang ohne Spuren verschwunden sind und der Widerstand der Elitetruppen sich schnell aufgelöst hatte, spricht jedenfalls für einen Plan. Angeblich seien Präsidentenpaläste und Ministerien auch "professionell" gesäubert worden, bevor die alliierten Truppen kamen. Wie weit aber die britischen und amerikanischen Truppen tatsächlich Dokumente vor den Plünderungen sicher stellen konnten und wollten, weiß man nicht. Robert Fisk hat zumindest Zweifel, was die Geheimdienstbüros angeht. Hier seien die Dokumente nicht sicher gestellt worden, um die Mitarbeiter und Folterer finden und belasten zu können.

"Es gab entweder eine koordinierte, vorgeplante Aktion, nach der jeder die Stadt verlassen sollte, wenn die Koalition bis zu einem bestimmten Punkt gekommen ist", so ein Geheimdienstmitarbeiter der LA Times gesagt haben. "Oder es gab möglicherweise in dieser Nacht einen großen Knall und jeder sagte, dass es jetzt Zeit sei zu gehen." Trotz aller Überwachung aus der Luft hat man angeblich nichts beobachten können, zumindest nichts, was der Öffentlichkeit mitgeteilt wird. Manche sollen nach Syrien geflohen sein. Aber das könnte auch nur eine Behauptung sein, um das Land mehr unter Druck zu setzen.

Vielleicht also hält sich die Führungsschicht noch an unbekannten Orten in Bagdad oder im Irak auf oder sie ist bereits weitgehend im Ausland untergetaucht. Möglicherweise waren von den Drohnen und Spionagesatelliten aus die Jeeps der Flüchtenden nicht vom übrigen Verkehr zu unterscheiden. Offiziell tut man bei der US-Regierung so, also wäre es kein großen Problem, wenn die wichtigen Leute verschwunden sind. Und über die seltsame Verteidigungsstrategie wird auch viel mitgeteilt. Unklar ist so auch, wie viele der irakischen Soldaten tatsächlich durch die Bombardierungen getötet worden sind. Offenbar wurden gerade in Bagdad nach vereinzeltem Widerstand Panzer und Stellungen leer aufgefunden. Die Soldaten mögen einfach in der Massen untergetaucht oder aus den Städten geflohen sein, aber zum Schicksal der Elitetruppen hört man tatsächlich verdächtig wenig.

Sauer sollen manche Dschihad-Kämpfer sein, die aus anderen arabischen Ländern zum Kampf gegen die amerikanischen Invasoren angereist waren. Während die irakischen Truppen sich auf Befehl mit ziviler Kleidung angezogen hätten und das verschwunden wären, hätten die ausländischen Kämpfer Widerstand geleistet. Jetzt aber würden sie als die Dummen dastehen, die gar nicht wissen, was um sie passiert sei.

Russische Verschwörungstheorien

Ein wenig lauter denkt man im Ausland nach. Beim alten Erzfeind der USA aus den Zeiten des Kalten Kriegs ist man sowieso Verschwörungstheorien gegenüber aufgeschlossen. Eine russische Website ist während des Irak-Krieges auch für manche zum Finden von Gegeninformationen wichtig geworden. Angeblich hatte man dort bis zur Schließung der russischen Botschaft in Bagdad Informationen aus abgehörter Kommunikation der alliierten Truppen und vom russischen Geheimdienst veröffentlicht. Die Verluste der Alliierten waren hier stets ziemlich hoch. Noch am 6. April wurde berichtet, dass die Hauptschlachten erst noch kommen werden.

Hier findet man denn auch eine Erklärung der mysteriösen Selbstauflösung des Regimes, die den Alliierten einen schnellen Sieg gebeten habe. Am ersten Tag des Kriegs hatte US-Verteidigungsminister gesagt, es gebe Verhandlungen zwischen den alliierten Truppen und den Republikanischen Garden. Das wurde, nachdem man später nichts mehr davon hörte, wie andere derartige Meldungen eher als Propaganda abgetan. Es sollen aber - natürlich höchst geheim - solche Gespräche mit den Kommandanten der Republikanischen Garde und der Fedajin stattgefunden haben, die sich nach den ersten Kämpfen am Stadtrand von Bagdad intensiviert hätten. Die Amerikaner hätten angeboten, wenn kein Widerstand mehr geleistet werde, dass die Befehlshaber ins Ausland geflogen werden und viel Geld erhalten sollen. Manchen sei mitsamt ihren Familien auch die amerikanische Staatsbürgerschaft versprochen worden. Die untere Führungsschicht würde in bereits "befeite" Orte im Irak gehen können. Wer von den Top-Befehlshabern keine Kriegsverbrechen begangen habe, der könne mit guten Posten im Post-Hussein-Irak rechnen.

Es gibt noch weitere interessante Einzelheiten. Angeblich nämlich seien manche der menschlichen Schutzschild im Irak CIA-Agenten gewesen. Da diese an Stellen vom Regime platziert würden, an denen es wichtige zivile Infrastruktur zu schützen gab, aber auch Truppen und Waffen versteckt würde, hätten diese wichtige Informationen an die Amerikaner geben können. Dazu hätten sie schwierig zu entdeckende Kommunikationsmittel während der Bombardierung benutzt. Von diesen CIA-Schutzschilden seien auch die Hinweise auf die Aufenthaltsorte Husseins gekommen. Über die Absprache mit den Offizieren habe man auch die geheimen Tunnels sichern können, durch die der Überraschungsangriff kommen sollte, von dem der Informationsminister nach der Besetzung des Flughafens gesprochen hatte. Der wäre nur von wenigen einfachen, nicht informierten Mitgliedern der Republikanischen Garde durchgeführt und daher schnell niedergeschlagen worden. Nach der Eroberung habe man dann die obersten Befehlshaber mit einem Flugzeug aus Bagdad weggebracht, vermutlich direkt in die USA via Deutschland.

Von alldem hätten Hussein und seine Gefolgsleute nichts gewusst. Aufgrund von Informationen der CIA-Schutzschilde habe man dann am 7. April mit vier Bomben den Diktator mitsamt allen wichtigen Führungspersonen - interessanter Weise aber mit Ausnahme des Informationsministers - töten können. Husseins Familie sei auch während der Bombardierung eines Präsidentenpalastes ausgelöscht worden. Das alles sei zu "75 Prozent" wahr.

Vladimir Titirenko, der ehemalige russische Botschafter im Irak, hat auch Ähnliches zu berichten. Er sei überzeugt davon, soll er dem russischen Sender NTV berichtet haben, dass es zwischen irakischen Generälen und den Amerikanern ein geheimes Abkommen gegeben habe. Er sei überdies ebenfalls ziemlich sicher, dass Hussein und die meisten aus obersten Führungsschicht getötet worden seien. Der Korrespondent von Le Monde will Informanten gehört haben, dass Maher Sufyan, der Kommandant der Republikanischen Garde, seinen Truppen befohlen haben soll, die Waffen nieder zu legen und nach Hause zu gehen. Dafür sei er mit einem Apache-Hubschrauber an einen sicheren Ort geflogen worden. Sufyan ist ebenso wie etwa der weltweit bekannt gewordene Informationsminister nicht in das Kartenspiel der gesuchten 55 Top-Regimeangehörigen aufgenommen worden.

General Brooks wurde auf der täglichen Pressekonferenz über dieses geheime Abkommen mit dem Kommandanten der Republikanischen Garde gefragt. Nicht ganz eindeutig antwortete er: "I'm not aware of any deals that have been struck with any commanders for transport on helicopters or anything close to that, so I don't have any report that's like that. When we do deal with leaders that are out there, either local leaders, tribal leaders, religious leaders, or in some cases military leaders, former military leaders, it's a discussion that talks about how to end hostilities and how to begin the future of Iraq."

Es kann aber auch ganz anders sein ...

Eine ganz andere Geschichte erzählt man offenbar im Iran. Die iranische Nachrichtenagentur Baztap will gehört haben, dass das US-Militär mit Saddam Hussein Anfang April ein Abkommen getroffen habe, Bagdad mit minimalen Widerstand zu übergeben, wenn der Diktator mit seiner Familie (100 Personen) sicher in ein anderes Land ausreisen dürfen. Der Informationsminister Al-Sahaf soll Teil des Abkommen gewesen und verpflichtet worden sein, bis zum letzten Moment in Bagdad zu bleiben und so den Eindruck zu erwecken, als wäre die Regimeführung noch am Platz (Irakische Medienwirklichkeiten). Hier spielen aber auch die Russen eine Rolle, die ja auch bezichtigt wurden, den Irakern mit Geheimdienstinformationen ausgeholfen zu haben. Die Russen sollen nämlich das Abkommen vermittelt und dafür 5 Milliarden Dollar erhalten haben. Selbst Ali Khamenei, der iranische Staatschef, meinte, es gäbe ernsthafte Fragen über das Untertauchen Saddams.

Aber es zirkulieren noch weitere Gerüchte. Eine sonderliche Geschichte lautet, dass sich Saddam mitsamt von Zehntausenden Kämpfern sowie Panzern und Kampfflugzeugen in ein geheimes Tunnel- und Bunkersystem zurückgezogen habe. So erzählt Haitham Rashid Wihaib, Saddam Husseins früherer Protokollchef, der seit 8 Jahren in Großbritannien lebt, dass Saddam und Co. nach Syrien geflohen seien, vielleicht aber auch ganz woandershin, beispielsweise nach Pakistan oder Malaysia. Sie hätten nämlich alle falsche Pässe (und haben womöglich den Saddam-Schnauzer wegrasiert). Saddam selbst könnte im Jemen sein, seine Söhne möglicherweise in Russland. Alles gut verteilt also. Der irakische Außenminister Naji Sabri sei in Österreich, will der Geschichtenerzähler von London wissen. Möglicherweise beim guten Freund Haider?