Orientierungsleistung mangelhaft
Seite 3: Interpretation der Qualitätsdefizite
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Man würde gerne von einem "Versagen des Journalismus" sprechen. Allerdings unterstellte dies, dass er ansonsten irgendwie richtig funktioniert. Es spricht aber vieles dafür, dass Journalismus stets weit hinter dem zurückbleibt, was er zu leisten selbst behauptet. Die vielen in der Kommunikationswissenschaft verhandelten Strukturprobleme können hier nicht referiert werden, aber es dürfte nachvollziehbar sein, dass Journalismus als Geschäftsmodell ähnliche Abwägungen treffen muss wie alle anderen Wirtschaftsunternehmen, die auch nicht per se Qualitätsprodukte herstellen. Zu den Ursachen der vielen Qualitätsmängel im Corona-Journalismus ein paar Thesen.
1. Das zentrale Problem ist wie immer der Mensch. Journalisten und ihre Vermarkter (Verleger, Intendanten, Herausgeber...) menscheln eben, sie verhalten sich, wie Menschen sich verhalten. Allerdings behaupten Journalisten (und die Menschen in ihren Vertriebsorganisationen), eine spezielle gesellschaftliche Rolle zu spielen, eben für die öffentliche Kommunikation zuständig zu sein durch Bereitstellung von Informationen (einschließlich Meinungen, Sichtweisen, Positionen).
Diese spezielle Rolle schreibt Journalisten auch die Politik zu, u.a. in Form von Art. 5 Abs. 3 GG, den Landespressegesetzen (§3, §4 außer Hessen), dem Medienstaatsvertrag oder dem Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Absatz 1 Nr. 5 StPO; § 383 Absatz 1 Nr. 5 ZPO). Wenn aber Menschen, die eine spezielle gesellschaftliche Rolle spielen wollen und sollen, dieser nicht gewachsen sind, sie nicht oder falsch spielen, potenzieren sich die Probleme des "Menschelns". Wir kennen das von allen Rollen: Wo mit dem Richter die persönliche Meinung durchgeht, ist die Justiz beschädigt, wo Polizisten das von ihnen ausgeübte staatliche Gewaltmonopol missbrauchen, weil sie halt "auch nur Mensch sind", ist der Schaden weit größer als bei gleicher Gewaltanwendung von Menschen außerhalb dieser Rolle.
Wenn Priester Straftaten verüben, die nur begehen kann, wer nicht an einen allmächtigen und letztgerichtlich urteilenden Gott glaubt, dann bricht eine ganze gesellschaftliche Institution zusammen. Und so ist das mit fakenden Wissenschaftlern (einschließlich Promotionsbetrug) ebenso wie mit nicht-recherchierenden oder unsauber vermittelnden Journalisten.
2. Aus dieser mangelnden Rollenspielkunst bzw. den Professionalitätsdefiziten (in ganz verschiedener Intensität) ergeben sich alle Qualitätsprobleme, die wiederum sich zwei Bereichen zuordnen lassen: Recherche und Darstellung. Man könnte auch sagen, das eine sind Erkenntnisprobleme, das andere Vermittlungsprobleme. Wo solche Probleme denn eingestanden werden, werden sie oft mit zu wenig Personal und zu schlechter Vergütung begründet. Das mag in Einzelfällen eine zutreffende (wenn auch nicht entschuldigende) Begründung sein, doch für die in dieser Serie benannten Beispiele dürfte anderes ursächlich sein, nämlich:
2.1 Desinteresse an neuen Erkenntnissen, an Einsichten, die die eigene Meinung, das bisherige Weltbild verändern, und deshalb Verzicht auf Recherche. Das ist dann allerdings das Gegenteil des ewig proklamierten Berufsethos, immer neugierig zu sein und alles zu hinterfragen (siehe dazu: Medien Cross & Quer - Über die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus). Seit 20 Jahren diskutiert und arbeitet der Journalisten-Verein "Netzwerk Recherche" zu diesem Problem, erledigt hat es sich keineswegs.
2.2 Die Interpretation von Recherchen (Wahrnehmungen) mit Klischees zur simplen Kategorisierung: richtig oder falsch, gut oder böse, nett oder doof, bemitleidenswert oder verachtenswert. Deshalb berichtet Journalismus oft nicht objektiv, misst nicht mit definierten Maßstäben, bewertet nicht nach einheitlichen Regeln. Die Berichterstattung ist stark abhängig vom Standpunkt des Berichterstatters (und zwar nicht nur in dem, was er von dort aus sieht, sondern auch in dem, was er hernach aus seiner Beobachtung macht). So gibt es Mission statt Aufklärung, was als "Haltung" oder schlicht "die richtige Sicht der Dinge" deklariert wird, gerne mit den Euphemismen "einordnen" oder "kontextualisieren" (siehe Vortrag Prof. Michael Brüggemann "Objektivität als Problem").
2.3 Die Verwechslung von Meinungen mit Fakten. Auf der Input-Seite führt dies dazu, dass Recherche unterbleibt, wo fälschlich eine Meinung für ein Faktum gehalten wird. Und auf der Output-Seite führt dies zu meinungsschwangeren Nachrichten, die vom Erzeuger aber als sachlich angesehen oder wenigstens deklariert werden.
2.4 Beweisverzicht. Auch im Journalismus sind die "gefühlten Fakten" weit verbreitet. Hier dürfte aber weniger absichtliche Täuschung als schlicht Faulheit und Selbstüberschätzung ursächlich sein. Es wird sehr viel behauptet und wenig belegt.
2.5 Herdentrieb. In heterogenen Gruppen können blinde Flecken und Verzerrungen ggf. (ein wenig) durch die Vielfalt der Perspektiven, der unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Lebensziele ausgeglichen werden. Journalisten sind jedoch eine soziodemografisch sehr homogene Gruppe, die auch außerhalb der Berufsrolle noch in diesem Milieu verbleibt. Journalisten synchronisieren sich, weil sie ständig die Arbeit der Kollegen beäugen und zu einem nicht unerheblichen Teil vor allem für diese publizieren.
2.6 Das Selbstverständnis als "Vierte Gewalt". Diese verbreitete Zuschreibung einer staatstragenden Rolle der Medien kann man als Amtsanmaßung betrachten, in der zahlreiche Selbstüberschätzungen gründen. So verstehen viele Journalisten unter der Kritikfunktion der Presse, dass nur sie selbst kritisieren - und wo sie eben nichts zu kritisieren sehen, gibt es dann auch keine Kritik.
Es dürfte die schlichte Sorge um die eigene Gesundheit gewesen sein, die zu der starken Radikalisierung des Haltungsjournalismus geführt hat. "Ohne Maske, ohne Abstand" wurde zur bedeutsamsten Beobachtung, die Journalisten zu vermelden haben, und sie wurde stets vorgetragen mit dem Pathos großer persönlicher Empörung. (Auf der Seite sog. "alternativer Medien" gab es selbstredend eine ebensolche Radikalisierung in andere Richtung, aber das ist hier nicht Thema.)
Immer weiter kam der Journalismus so ab von einem Pfad nachrichtlicher Information. Weil die bekannten Qualitätskriterien für Journalismus dort in der Pampa nicht gelten, gab es auch kaum noch Medienkritik, und die wenige blieb ohne Resonanz (stattdessen belobigt sich die Branche selbst, die entsprechenden Preise gingen erwartungsgemäß an die großen Corona-Warnprogramme).
Da es keinerlei unabhängige Qualitätssicherung gibt, hat der Corona-Journalismus längst propagandistische Züge. Es gibt eine klar als richtig behauptete Position, alles andere ist "Quatsch", und die Vertreter solcher Quatsch-Positionen werden, zumindest ab einer gewissen Prominenz, sämtlich an den Medienpranger gestellt. Auch das kam natürlich nicht unerwartet, ein Blick in die Medienhistorie zeigt, wo der Journalismus zu allen Krisenzeiten stand.
All diese Funktionsdefizite sind wie gesagt nicht Journalisten-spezifisch, sondern eben gerade typisch Mensch - die allerdings durch professionelle Routinen minimiert werden sollten. Vielleicht bringt auch hier tatsächlich die 'Entmenschlichung' durch Künstliche Intelligenz bald einen Fortschritt, wie das etwa in der Medizin teilweise zu beobachten ist.