Orientierungsleistung mangelhaft

Seite 2: Markante Medienereignisse

Die Qualitätsdefizite des Journalismus lassen sich mit einigen markanten Medienereignissen illustrieren.

28. Februar 2020. Mit Merkels Verweigerung des Handschlags begann die Rechercheverweigerung im Corona-Journalismus.

Ab hier wurde der Journalismus konfessionell, getragen von Glaube statt Fakten. Die Verweigerung des Handschlags aus angeblichen Hygienegründen war keinesfalls neu, man hätte schon jahrelang recherchieren können, dass dies Unfug ist, aber hier war die aktuelle Herausforderung, nach Evidenz zu suchen, wenn die Bundeskanzlerin so eine Kulturtechnik verwirft.

Es unterblieb von nun an bis heute. Stattdessen wird unter dem Vorwand der Pandemie-Hygiene u.a. die Bargeldabschaffung vorangetrieben, wie etwa in den Berliner Bussen und bei der Deutschen Bahn (die ab Januar im Zug gar keine Tickets mehr verkaufen will), obwohl die EZB still und leise bestätigt hat, dass vom Geld keinerlei Gefahr ausgeht.

Sicherlich haben sich mehr Menschen die Haxen gebrochen beim Versuch, Türen ohne Handberührung zu öffnen, als sich welche über Türgriffe und Türöffner eine Covid-19-Erkrankung eingefangen haben. Aber der Desinfektionswahn ist in der Welt, auch befeuert und zumindest nicht intellektuell gestoppt vom Corona-Journalismus.

19. März 2020. Bergamo war für viele Journalisten ein selbst geschaffenes Erweckungserlebnis und die Medienikonisierung der Pandemie schlechthin: das Foto von Militär-Lkws, die am Vorabend 60 Särge in Krematorien außerhalb der Stadt brachten. Dabei kommen im Bergamo-Narrativ alle diskutierten Qualitätsmängel zusammen: Was vermittelt wurde, war unvollständig, nicht-repräsentativ, subjektiv, irrelevant, was bei den Mediennutzern hängen blieb, war großenteils schlicht falsch und damit massiv desorientierend.

22. März 2020. Rund um den ersten Lockdown in Deutschland gibt es unzählige Medieninszenierungen, welche die weitere Berichterstattung entscheidend geprägt haben dürften. Mit Flatterband abgesperrte Spielplätze, Straßensperren der Polizei, Menschen in Ganzkörperschutzanzügen – vorwiegend bildlich wurde vieles als neue Realität gesetzt, ohne je die Sinnhaftigkeit zu hinterfragen.

Es war auch alles wie in einem Blockbuster-Film. Besonders symptomatisch war die mediale Diskussion um den Profi-Fußball. Selbst in sogenannten "Geisterspielen" sahen viele Kommentatoren noch eine unzumutbare Gefährdung der Bevölkerung, wenigstens aber eine inakzeptable Privilegierung (wo doch selbst Kinder nicht mehr auf der Wiese kicken durften).

Spätestens bei dieser Diskussion wurde klar, dass die Orthodoxie die Meinungsmacht übernommen hatte: Verhältnismäßigkeit von staatlichen Vorgaben, gar Eigenverantwortung sollten keine Rolle mehr spielen - bis heute. Jede nach irgendeiner Verordnung unzulässige bzw. unzulässig nahe Begegnung wird seitdem medial geahndet - eine Goldader für den Nachrichtenbetrieb.

9. April 2020. Virologe Hendrik Streeck präsentiert erste Ergebnisse seiner "Heinsberg Studie". Obwohl es sich auch hier nur um vorläufige Ergebnisse handelt, reagierten die Medien von Anfang an mit viel Kritik, weil sie eine Verharmlosung der Corona-Gefahren sahen. Zur Persona non grata wurde Streeck dann aber für viele Journalisten, weil er mit der Agentur Storymachine zusammengearbeitet hatte, zu deren Eigentümern Kai Diekmann gehört, der Ex-Bild-Chefredakteur.

Um Wissenschaft ging es schon bisher immer nur ganz am Rande und hochselektiv, hier machten die Medien nun klar, dass es für sie Fakten nur zusammen mit der korrekten Bekenntnisfahne gibt. Und es war ein bedeutender (aber bei Weitem nicht erster) Vorstoß, die Kontaktschuld wieder in die öffentliche Judikation einzuführen. Entgegen einem demokratischen Grundprinzip werden Sprecher und Argument nicht getrennt. Eine Aussage ist nur so gut wie der Medienwert des Aussagenden.

12. April 2020. Mit Bill Gates in den Tagesthemen (und in zig anderen Medien international) ausgerechnet am Ostersonntag 2020 begann eine Mäzenaten-Erzählung. Mit seiner zehnminütigen Ansprache ans Erdenvolk war Gates als Heilsbringer gesetzt, alle bisherige Kritik an der demokratisch durch nichts legitimierten Weltgestaltung des Milliardärs mit seiner Stiftung war weggewischt, es wurden sogar alte Texte überarbeitet, um sie dem neuen Frame anzupassen (siehe Teil 6).

1. August 2020. Die Berichterstattung von der ersten Berliner Großdemonstration gegen die Corona-Politik war ein neuer Meilenstein für Einseitigkeit und Verzerrung. In keinem der beobachteten Medien konnte auch nur das Bemühen ausgemacht werden, Positionen der klar zu Gegnern der eigenen Meinung (und mithin der Medienkunden) erklärten Demonstranten zu vermitteln.

Schon die vorangegangenen, viel kleineren "Hygiene-Demos" wurden als Ansammlung von Verrückten und Demokratiefeinden geframet. Mit diesem Narrativ des Medien-Mainstreams war es dann nicht mehr verwunderlich, dass die Medien der Forderung nach Polizeigewalt gegen Demonstranten viel Raum und dem Widerspruch wenig einräumten. Bei den Protesten gegen eine Novellierung des Infektionsschutzgesetztes kam es dann geradezu folgerichtig am 18. November 2020 zum ersten Wasserwerfereinsatz in Berlin seit sieben Jahren. Was lange Zeit bei keinem Krawall zum "revolutionären ersten Mai" notwendig war - bei Menschen "ohne Abstand und Maske" musste die Staatsmacht durchgreifen, was für viele journalistische Kommentatoren viel zu sanft geschah.

29. August 2020. Die Medien interpretieren eine Ansammlung von Demonstranten auf den Stufen des Bundestags als "Sturm auf den Reichstag" und schreiben ihn der Großdemonstration von diesem Tag und damit den "Querdenkern" zu, was wiederum der Terminus technicus für jede Kritik an der Corona-Politik wurde, die nicht "noch härtere Maßnahmen" forderte. "Corona-Demonstrationen" finden in den Medien nur als Störung der Pandemiebekämpfung statt und jede Kritik von "Querdenkern" ist ein Angriff auf Rechtsstaat und Demokratie, eben ein "Sturm auf den Reichstag".

Dezember 2020. Als der erste Impfstoff in Reichweite war, hatten die Medien endlich wieder ein Thema, um über die Politik zu meckern. Denn nun konnte es nicht schnell genug gehen, schließlich waren die wenigsten Journalisten in der Gruppe höchster Impfpriorität. Die Angst um das eigene Überleben wurde nun kaum noch mit Solidaritätsaufrufen und Altruismusbehauptungen kaschiert (und jeder, der sich möglicherweise nach vorne mogelt, um schneller geimpft zu werden, bekam eine Medienanklage).

Das Impfen wurde zum neuen Dauerthema, schon lange vor dem ersten Anti-Corona-"Piks" wurden sämtliche Medien mit "Piks"-Bildern geflutet, den Stöpsel zum Ablassen hat bis heute niemand gefunden. Bilder von der Spritze in den Oberarm sind der allgegenwärtige große Bruder.

Weil der Journalismus nicht nur nie nach einer Exit-Strategie der Politik gefragt hat, sondern für sich selbst folgerichtig auch kein Ende des Alarms sieht, war der weitere Medienspin unausweichlich: derzeit gilt die publizistische Kriegserklärung den "Impf-Verweigerer", danach werden die Auffrischungs- und Booster-Schwänzer dran sein, gefolgt von all den Impfmuffeln anderer Krankheiten, allen voran die echte Grippe, für deren eigenverantwortliche Abwehr das letzte Stündlein schon geschlagen haben dürfte (denn ausnahmslos jedes Argument für eine Corona-Pflichtimpfung passt auch zur Influenza). Dass inzwischen der Impfstatus eines einzelnen Menschen zum tagelangen Hauptthema wird, ist vermutlich nur noch psychopathologisch zu erklären.

22. April 2021. Die journalistische Erregung über #allesdichtmachen war wohl weniger einschneidendes Medienereignis als viel mehr eine publikumswirksame Feueralarmübung, schließlich ging es um nichts, aber die mediale Schlagkraft war beeindruckend. Der Journalismus hatte den öffentlichen Diskurs sofort unter Kontrolle, die meisten Sünder wurden schneller denn je reuig, die nicht-reuigen wurden vom weiteren Mitspielen ausgeschlossen. Ein völlig neben sich stehender Jan Josef Liefers bei Maybrit Illner dürfte jedem Künstler eindringliche Mahnung sein, den schmalen Korridor des Sagbaren nicht zu verlassen (siehe Podcast-Gespräch).

Soweit einige markante Medienereignisse. Die Probleme des Corona-Journalismus, die in dieser Serie nur punktuell aufgezeigt werden konnten, sind zwar grundsätzlich in der zugehörigen Fachwissenschaft angekommen - eine kleine Übersicht gibt z.B. die Einleitung der gerade erschienenen Studie "Konstruktiv durch Krisen? Fallanalysen zum Corona-Journalismus" von Leif Kramp und Stephan Weichert. Nur: Wer das Ergebnis des Corona-Journalismus für gut hält, ist für Kritik daran wenig empfänglich. Nach den Kriterien von Kramp und Weichert kann man für große Teile der Pandemie-Berichterstattung attestieren, dass "redaktionelle Angebote aktivistische Züge kultivierten". Denn der Journalismus hat sich gemein gemacht mit der vermeintlich guten Sache der Politik (und zwar mit ihrer Stoßrichtung, nicht mit jeder einzelnen Entscheidung natürlich, was die Claqueure des Corona-Journalismus leicht übersehen).

Damit hat er allerdings die ihm zugedachte Beobachterrolle unbesetzt gelassen und steht nun vor denselben Problemen wie Politik und alle Lobbyisten (die in den Medien gerne als "Experten" neutralweiß gewaschen werden): es gibt kein Zurück mehr, keine Offenheit für Alternativen, gar Fehlereingeständnisse. Man hat sich festgelegt, und zwar in allen möglichen Details auch bar jeglichen Wissens. Einige Spotlights:

  • Das begann schon mit dem Ursprung von SARS-CoV-2. Nicht nur, dass es für den Journalismus eindeutig aus der Natur auf den Menschen übergesprungen ist, schon Trumps Begriff "China-Virus" galt als Rassismus. Tatsächlich ist der Ursprung bis heute ungeklärt, die frühe Festlegung des Journalismus war falsch, selbst wenn irgendwann die Tiermarkt-Hypothese überzeugend belegt sein sollte.
  • Nach einem etwas unkoordinierten Start, bei dem selbst Christian Drosten Corona noch mehrfach "ähnlich einer Grippe-Pandemie" nannte, war es alsbald medial völlig tabu, Covid-19 irgendwie mit Influenza zu verglichen. Auch dieses Dogma gilt bis heute, so unsinnig es auch ist (nicht nur, weil man natürlich grundsätzlich alles miteinander vergleichen kann). Anstatt eine Impfflicht bei Corona mit einer Impfflicht gegen Grippe zu vergleichen, werden lieber die Pocken bemüht. Und auch die Pest kann mit zwei Jahren Corona-Wissen unbedenklich für Vergleiche bemüht werden. Aber Influenca ist tabu. Deswegen keine Zahlenvergleiche, keine Kosten- und Maßnahmenvergleiche, keine Vergleiche der Impfquote o.ä.
  • Weil Corona sehr schlimm und keinesfalls mit der Grippe zu vergleichen ist, muss sich das in Zahlen widerspiegeln. Alle Einzelfälle und singulären Ereignisse dienten als Beleg, selbst Traueranzeigen in Zeitungen wurden von Journalisten als Hinweise auf die Todeswellen angeführt. Was zur Erzählung passte, wurde publiziert, was ihr entgegenstand, fiel so weit als möglich unter den Tisch. Dass es dann in 2020 gar keine Übersterblichkeit gab (dazu ganz am Ende noch ein Wort), wurde nicht so groß aufgehängt und von manchem Redaktionsleiter schlicht ignoriert. Nun wartet man auf die Auswertung für 2021, bis dahin werden der schlimme Dezember 2020 und Januar 2021 auch ohne Statistik als Beleg für die Katastrophe bemüht.
  • Da Corona so besonders schlimm ist, sind auch alle drastischen Maßnahmen der politischen Herrschaft in Ordnung. Dieses Credo hat der Journalismus vor 20 Monaten formuliert, nach ihm arbeitet er bis heute (von den üblichen verdächtigen Abweichlern abgesehen). Vom ersten Tag an haben auch die wirtschaftlich Gebeuteltsten in den Medien stets nur gesagt, dass "die Maßnahmen" für sie persönlich zwar schmerzhaft, aber für die Solidargemeinschaft natürlich notwendig seien. In einer gerade erschienenen Pressemitteilung unter dem Titel "COVID-19 Lockdowns mit drastischen Auswirkungen" steht die unvermeidliche Relativierung, dass "einschränkende Maßnahmen, wie Lockdowns und andere Eingriffe ins öffentliche Leben zu Beginn der Pandemie unumgänglich waren". Was braucht es Evidenz, wenn alle einer Meinung sind? Und wo sollte sich Evidenz bahnbrechen, wenn auch der Journalismus täglich Glaubensbekenntnisse spricht?
  • Selbst der bei allen Regenten dieser Welt unabhängig von ihrem Despotenranking beliebte, weil simple aber maximal PR-trächtige Hausarrest für das Volk, galt dem Journalismus ohne jede Evidenz als einzig richtige politische Option. Das demokratische Wording ersetzte dabei nach Möglichkeit "Ausgangssperre" durch "Kontaktbeschränkung" oder "Lockdown" (wobei Letzteres manchem Journalisten immer noch zu extrem klang). Der Journalismus suchte nicht nach Belegen aus der Vergangenheit für die Wirksamkeit, er suchte nicht selbst nach der Logik, und er verzichtete ganz überwiegend darauf, diese drastischste aller Maßnahmen seit Bestehen der Bundesrepublik demokratisch einzuordnen. Vom Entsetzen unter Verfassungsrechtlern war im Journalismus wenig mitzubekommen. Entsprechend waren (späte) gerichtliche Korrekturen auch allenfalls ganz kleine Meldungen, bspw. als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Ausgangsbeschränkung der entsprechenden Infektionsschutzverordnung vom 27. März 2020 als unwirksam verwarf, "weil sie gegen das Übermaßverbot verstoßen hat" und damit unverhältnismäßig war (Bay. VGH, Az 20 N 20.767 vom 03.10.2021). Was der Verwaltungsgerichtshof nun entschieden hat, hätte der Journalismus ohne Mühe schon im März 2020 diskutieren lassen können und müssen. Die späte juristische Korrektur müsste der Journalismus eigentlich als deutliches Versagen seiner Wächterfunktion lesen, zumal das Bundesverfassungsgericht bisher kein Urteil zu den Corona-Maßnahmen gesprochen hat (nur einige Beschlüsse), trotz hunderter Verfassungsbeschwerden und dem Fehlen eines regulären Klagewegs gegen Maßnahmen der "Bundesnotbremse".