Päpstliche "Laudatio" auf Hitler

Seite 3: Das Konkordat, oder: "Der Pakt mit dem Teufel"

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Spätestens seit dem bayerischen Konkordat nahm Pacelli die rechtkatholischen Deutschnationalen aufmerksamer wahr. Für gute Verträge und insbesondere eine kirchenfreundliche Lösung der "Schulfrage", so schien es ihm ab Mitte der 1920er Jahre, kommt man am ehesten über die Rechte zum Ziel.

Wer die von Christoph Hübner nachgezeichnete Vorgeschichte zur Kenntnis nimmt, braucht für das Jahr 1933 nicht mehr die Konstruktion eines geheimnisvollen Konkordats-Komplotts. Es gab deutliche "Kommunikationsangebote" schon viel früher. Eine mit den Nazis zu erzielende Konkordatslösung analog zu der im faschistischen Italien wird u.a. in Aussicht gestellt durch ein Votum Hitlers vom Februar 1929, durch die im Mai 1931 in 3. Auflage erschienene parteioffiziöse (!) NSDAP-Schrift "Nationalsozialismus und Katholische Kirche" von Johannes Stark sowie zuletzt durch die vatikanfreundliche Passage in Hitlers Regierungserklärung vom 23. März 1933.

Schon im Dezember 1930 schickt der rechtskatholische Münchener Historiker Max Bucher, den Pacelli seit den bayerischen Konkordats-Auseinandersetzungen 1924/25 persönlich kennt, einen langen Brief nach Rom, der gleichsam auf eine "Taufe der NS-Bewegung" zielt und in diesem Zusammenhang (politische Macht der NSDAP) die "italienische Lösung" auch für Deutschland in Aussicht stellt.

Auf kirchlicher Seite fallen frühe Signale zugunsten einer "italienischen Lösung" in Deutschland auch recht eindeutig aus:

  • Ostern 1929 schreibt Eugenio Pacelli in der deutschsprachigen Konkordats-Edition, die Lateranverträge hätten eine "säkulare Bedeutung für die ganze Kirche" und könnten als Modell "auch in anderen Ländern" zu Erfolgen führen.
  • Bei einer Vatikanaudienz von Reichskanzler Heinrich Brüning im August 1931 wird dieser nach Ausweis seiner Memoiren mit der Forderung von Kardinalstaatssekretär Pacelli konfrontiert, er müsse "mit Rücksicht auf ein Reichskonkordat eine Regierung der Rechten bilden und dabei zur Bedingung machen, daß sofort ein Konkordat abzuschließen sei".
  • Eugenio Pacelli überreicht am 25.10.1932 dem deutschen Botschafter ein "Promemoria" für die Regierung des rechtskatholischen Zentrumsabtrünnigen Franz von Papen, das auf Juli-Vorschläge Kurt von Schleichers zur Gestaltung der Militärseelsorge eingeht. Hier wird erstmals in einem offiziellen (!) Vatikandokument das italienische Konkordat mit den Faschisten als mögliches Vorbild auch für ein deutsches Reichskonkordat genannt. (Im Vatikan wünschte man sich schon Mitte 1932 eine freundlichere Bewertung des Kabinetts von Papen durch die Zentrumspresse!)
  • Der Pacelli eng verbundene Kanonist und Zentrumsvorsitzende Prälat Ludwig Kaas hat dann Ende 1932 ein Manuskript "Der Konkordatstyp des faschistischen Italien" weitgehend abgeschlossen, welches allerdings erst im Herbst 1933 erscheinen wird. Der Text enthält die These, "es ließen sich mit autoritären Staaten leichter Konkordate schließen als mit liberalen Demokratien".

Am 9./10. April 1933 beginnen in Rom die Vertragsverhandlungen. Trotz der Bedrängnisse von Katholiken im keineswegs mehr "nur autoritären" NS-Staat unterzeichnen Pacelli und der Rechtskatholik Franz von Papen am 20. Juli 1933 das Reichskonkordat mit Hitler-Deutschland. Man will, so sagen später die Apologeten, die Kirche angesichts düsterer Erwartungen schützen und nicht etwa dem NS-Regime zu einem erhöhten Ansehen verhelfen. Hat die Nazi-Propaganda also alles nur verdreht?

Unter den bei Adolf Hitler eingehenden Dankesschreiben zum Konkordat sticht ein Telegramm des Münchner Kardinals Michael von Faulhaber vom 24. Juli 1933 hervor:

Was die alten Parlamente und Parteien in 60 Jahren nicht fertig brachten, hat Ihr staatsmännischer Weitblick in sechs Monaten weltgeschichtlich verwirklicht. Für Deutschlands Ansehen nach Westen und Osten bedeutet dieser Handschlag mit dem Papsttum, der größten sittlichen Macht der Weltgeschichte, eine Großtat von unermeßlichem Segen

Die "Selbstauflösung" der Zentrums-Partei

Es sei noch einmal betont: Das ursprünglich rechtskatholische und hernach vatikanische "Entpolitisierungsprogramm" stammt bereits aus den 1920er Jahren! Rückblickend muss man sagen, dass die Zukunftsperspektive für die deutsche Zentrumspartei aufgrund der veränderten Einschätzungen in Rom bereits Ende 1932 ganz düster ausfiel und das Schicksal der katholischen Partei schon im Februar 1933 besiegelt war. Die "Selbstauflösung" des Zentrums erfolgte dann am 4. Juli 1933, die der BVP einen Tag später. Den (in der Forschung kontrovers beurteilten) Sachverhalt gibt Hübner in seiner Dissertation auf den Seiten 781-782 wie folgt wieder:

Den letzten Auslöser für die Beschlüsse stellte wohl ein Anruf des in Rom weilenden Zentrumsvorsitzenden Ludwig Kaas bei seinem Stellvertreter Josef Joos am Abend des 4. Juli dar. Unmittelbar vorher hatte Pacelli in den Konkordatsverhandlungen die Entpolitisierung des deutschen Klerus zugestanden, wenn dafür als Gegengabe ein umfassender Vereinsschutz gewährleistet werden würde. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Kaasʻ in seiner genauen Wortwahl unklarer Anruf bei Joos tatsächlich eine Art Auflösungsordre beinhaltete - da der Vatikan annahm, unmittelbar danach werde der Vertrag paraphiert.

Doch nach Auflösung des Zentrums schickte Hitler stattdessen einen neuen Unterhändler nach Rom, der eine durchtriebene "Zweiteilung der Sicherheiten" für das katholische Vereinswesen durchsetzte. Die klerikalen Kirchenpolitiker ließen sich hier von den Nazis übers Ohr hauen und konnten dann nicht mehr zurück. Die bitteren Folgen zu tragen hatten die Getreuen aus dem Laien- und Verbandskatholizismus, dessen Strukturen alsbald ganz zerschlagen waren.

Sehr zu begrüßen wären solide regionale Studien zur Frage, wie sich das ehemalige Zentrums-Personal ab März bzw. Juli 1933 verhalten hat und wie hoch das Ausmaß einer Kollaboration katholischer "Milieu-Manager" mit dem NS-Staat anzusetzen ist. Einzelne Zentrumsleute - Laien und Priester - aus meiner sauerländischen Heimat gaben aber recht deutlich zu verstehen, was sie von der neuen "Reichsdrecksflagge" und den Verbrechen unterm Hakenkreuz hielten. Schon in der Anfangsphase der "nationalen Revolution" konnte ja jeder, der es wissen wollte, ohne großen Aufwand erfahren, mit welchem mörderischen Terror der NS-Staat gegen Juden, Linke ... und eben auch Katholiken vorging.

Mit dem Konkordat war - gemäß Hitlers Strategie - ein offener katholischer Widerstand gegen die totale Gleichschaltung ausgeschlossen. Die frommen Oberhirten, nunmehr auch selbst vertraglich über allem "Weltlichen" stehend, verstummten und schauten zu. In allen Gottesdiensten ließen sie - bis hin zum bitteren Ende - konkordatstreu für das Staatsoberhaupt Adolf Hitler beten. Aber man hielt keine öffentliche Fürbitte für die Drangsalierten und NS-Mordopfer aus den eigenen Reihen - geschweige denn für die ungleich zahlreicheren Verfolgten des Hitler-Regimes aus anderen Gruppen.

Ausblick: Christliche Demokraten und Deutsche Bischofskonferenz in der Ära des Franziskus-Pontifikates

Der rechte Sonderkurs besonders des politischen Katholizismus in Bayern hat während der Weimarer Republik zu einem gefährlichen Brückenbau geführt und am Ende überproportional viele Katholiken gerade in bayerischen Kreisen zu NSDAP-Wählern werden lassen.

Eugenio Pacellis Politisieren und Zugehen auf die Rechte ab Mitte der 1920er Jahre ist der Weimarer Republik ebenfalls nicht gut bekommen. Unter dem Papst aus Bayern schien jüngst das rechtskatholische Projekt eine Beatifikation bzw. Seligwaschung dieses selektiv schweigsamen Kirchenführers schon nahe am Ziel angekommen zu sein, wobei sogar das Bayerische Fernsehen zusammen mit einem italienischen Kooperationspartner massenkulturelle Schützenhilfe gewährte.

Man sollte beunruhigt bleiben und sich zu Wort melden. Die "Causa Pacelli" ist noch nicht vom Tisch! Wie wäre es mit einer Initiative von Katholiken aus der "Zentrums-Nachfolgepartei" CDU zur Seligsprechung von Matthias Erzberger (1875-1921), dessen Gedenken unserer Republik doch nur zum Guten dienen kann?

Unter der Protestantin Angela Merkel scheint die Abgrenzung der Union nach rechts eine relativ zuverlässige Konstante zu sein. Das sollte der Kanzlerin auch gedankt werden. Indessen stellt sich die Frage, wo denn die ganz pragmatisch gewordene "Christdemokratie" heute einen ausgesprochen christlichen Blick auf die Zukunft entwickelt?

Bischof Franziskus von Rom spricht in einem Pontifikat der Wende vom aggressiven Kapitalismus, von Reichtumsverteilung, vom Hunger auf der Erdkugel, vom Flüchtlingselend und von Kriegen zur Aufrechterhaltung des ökonomischen Systems. Wäre es nicht an der Zeit, dass der noch verbliebene "politische Katholizismus" die CDU zu einem gänzlich neuen Programm drängt?

Zu fragen bleibt aber auch, wo denn der deutsche Episkopat die Agenda des gegenwärtigen Bischofs von Rom mit Nachdruck in Kirche und Öffentlichkeit auf die Tagesordnung bringt. In diesem Jahr werden die Bischöfe am 1. September wohl wieder vortragen, ihre Vorgänger hätten zumindest den Zweiten Weltkrieg nicht als eine "gerechte Sache" gepriesen. Dies jedoch trifft nur auf einen zu. Die restlichen Oberhirten waren ganz dem - seit der späten Weimarer Republik bis ins Zentrum hinein getragenen - rechtskatholischen Paradigma "Antibolschewismus" ergeben. Sie predigten den Gläubigen Gehorsam gegenüber der staatlichen Kriegsobrigkeit und stützten sehr wohl mit "frommen" Voten den verbrecherischen Feldzug Hitlers gen Osten! (Hätten sie ab September 1939 wenigstens die unselige Kirchenlehre vom "gerechten Krieg" hervorgeholt und sachgerecht konsultiert!)

Bei alldem geht es keineswegs um rein akademische Fragen, sondern um historische Erkenntnisse mit Handlungsfolgen in der Gegenwart. Heute hätten die deutschen Bischöfe und Laiengremien - unabhängig von ihrer vielfachen Affinität zur CDU - ein deutliches Wort zur Remilitarisierung der Politik zu sprechen.

Literaturempfehlung:

Hübner, Christoph: Die Rechtskatholiken, die Zentrumspartei und die katholische Kirche in Deutschland bis zum Reichskonkordat von 1933. Ein Beitrag zur Geschichte des Scheiterns der Weimarer Republik. Berlin: Lit Verlag 2014. [875 Seiten]

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