Pakistan: Islamisten und Kapitalisten contra Wissenschaft
Seite 2: Falsches Bild von Pakistan in den Medien
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Die Bhuttos, Sharifs, und Musharrafs sind nichts anderes als Kapitalisten, die die Religion für ihre Zwecke missbrauchen und London als Finanzstandort stellt ihnen selbstverständlich einen Rückzugsort (für ihr Kapital) zur Verfügung.
Im Jahr 2008 setzten sich beim IWF ein paar weitsichtige Köpfe durch. Die Bewilligung eines 7,6-Milliarden-US-Dollar-Kredits wurde an die Forderung geknüpft, dass Pakistan endlich eine Landwirtschaftssteuer einführt, damit auch die Großgrundbesitzer Steuern bezahlen. Doch Dank des Drucks der USA wurde die Forderung wieder fallen gelassen, da Pakistan ein Freund im "Kampf gegen den Terror" ist.
In den deutschen Medien bekommt der Leser jedoch über Pakistan bevorzugt von benachteiligten Frauen, Christenverbrennungen und Bombenanschlägen zu hören. In Pakistan gab es im Jahr 2017 bei 26 größeren Terroranschlägen 401 Tote zu beklagen. In Mexiko sollen 24.000 der 29.168 Morde im Jahr 2017 in Zusammenhang mit dem Drogenkrieg im Land stehen.
Wer den Menschen Pakistans bei einem Besuch eine Chance gibt, stellt ziemlich schnell fest, dass diese Pakistan-Geschichten, wie sie uns zu Hause aufgetischt werden, nur einen Bruchteil der Zustände im Land aufzeigen: Ja, die Gesellschaft ist konservativ - aber auf keiner der mehr als 20 monatelangen Reisen durch Pakistan fühlte ich mich bedroht. Im Gegenteil: Als Gast konnte ich gefahrlos beinahe die komplette Liste der Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes abreisen. Was dabei ins Auge fällt, ist die ungerechte Wohlstandsverteilung, und wie klaglos der überwältigende Teil der Menschen das hinnimmt - dank der Religion.
In Pakistan wird immer noch überwiegend ein Islam praktiziert, der sich auf den mystischen Sufismus beruft. So waren frühere Sufis in diesem Teil der Erde oft eine Art Sozialarbeiter, die den Großgrundbesitzern auf Missstände in ihrem Gebiet hinwiesen. Heute benutzen die Landlords diese Religion, um ihre Untertanen kleinzuhalten, indem sie sich selbst als Nachfahren bekannter Sufis ausgeben.
Die extremeren Formen des Islam kamen erst ab 1978 durch General Zia-ul-Haq und mit der Hilfe der Saudis und der Vereinigten Staaten, die Pakistan als Basislager für den Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan benutzten. Davor waren extrem religiöse Mullahs in Pakistan so etwas wie die Dorfclowns, über die Mann und Frau Witze machten.
Religiöse Extremisten sind Spielball der Mächtigen
Für eine Veränderung der ungerechten Reichtumsverteilung setzten sich die extremen religiösen Führer nicht ein - sie sind immer nur zu hören, wenn es um angebliche Angriffe gegen den Islam geht. Auch in Indien prangert Narendra Modis radikaler Arm, die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), nicht die mangelhaften Lebensumstände an. Sie geht lieber gegen Menschen vor, die gegen religiöse Rindfleischtabus verstoßen. Hauptschuldige für die Extremisten sind in beiden Fällen nicht diejenigen, die ihre Länder ausplündern, sondern religiöse Minderheiten.
Auch in Pakistan dürfen Coca Cola und Nestle ungestört ihren Tätigkeiten nachgehen. Wenn alles Unislamische angeblich der Grund für den Niedergang Pakistans ist, wie es die extremen Religionsgelehrten predigen, müssten diese westlichen Vorzeigekonzerne doch ihre Hauptzielscheibe sein - aber es sind die eigenen Landsleute (darunter gerade diejenigen, die sich für die Verbesserungen der Lebensumstände aller Pakistaner einsetzen), die zu Opfern der Extremisten werden.
Coca Cola und Nestle bauen besonders tiefe Brunnen, um dann für nahezu umsonst das nasse Gut hochzupumpen und teuer zu verkaufen, während etlichen pakistanischen Großstädten das Grundwasser ausgeht: Scheinbar kann kein extremer Mullah in Pakistan daran irgendetwas Unislamisches entdecken.
Es ist doch sehr seltsam, dass ein 14-jähriges Schulmädchen (Malala Yousafzai) den Taliban so gefährlich erschien, dass sie ihr in den Kopf schossen, aber der Baumogul Riaz Malik ein Jahrzehnt lang ungestört bestechen und staatliches Land klauen konnte, um dort Smart Cities für die obere pakistanische Mittelklasse zu bauen.
In Pakistan sind die religiösen Extremisten nichts anderes als ein (manchmal außer Kontrolle geratener) Spielball der Mächtigen, um von den wahren Problemen des Landes abzulenken: Die höchste Kindersterblichkeit der Erde. Verdreckte Luft, Wasser und gepanschte Lebensmittel. Ein staatliches Gesundheits- und Bildungssystem, das seinen Namen nicht verdient - und vieles mehr.
Die Gründe dafür sind die Korruption der Eliten und ihrer Helfer sowie die pakistanische Armee, die mit Hilfe des Geheimdienstes ISI einen Staat im eigenen Staat errichtet hat: 28 Prozent des jährlichen Haushalts gehen an die Armee - und da sind noch nicht einmal die Kosten für das Atomprogramm drin. Dazu ist die Armee das größte Wirtschaftsunternehmen des Landes - nicht, weil die Soldaten so gut wirtschaften können (wie gerne behauptet wird), sondern weil sie sich Monopole geschaffen haben. Dass dies so ist, daran ist nicht der Islam Schuld. Fast jede Religion und fast jede Ideologie (wie etwa der Nationalismus) können benutzt werden.
Positive Veränderungen in der Gesellschaft wie Arbeiterrechte, Umweltverbesserungen, kostenlose Bildung, Schutz der Persönlichkeitsrechte, wurden auf Druck der Zivilgesellschaft eingeführt, nicht weil Konzerne darauf bestanden haben. In Pakistan wird jeder Aufbau einer hörbaren Zivilgesellschaft durch die Geheimdienste und Extremisten im Keim erstickt. Der größte Teil der Bevölkerung bleibt so von Bildung und Wohlstand ausgeschlossen - und diese beiden Faktoren fördern das Bevölkerungswachstum.
Die Botschaft von Moses - "Seid fruchtbar und mehrt euch" - wird auch in den Vereinigten Staaten nicht für bare Münzen genommen. Einem Land, in dem knapp 50 Prozent der Bevölkerung daran glauben, dass Gott das All und die Erde kreiert hat und auch den Menschen erschaffen oder zumindest an seiner Entstehung mitgewirkt hat.
Wie Menschen ihre jeweilige Religion interpretieren, hat viel mit dem jeweiligen Bildungsstand des Gläubigen zu tun und nicht mit der Religion an sich. Auch in Indien, Pakistan und Bangladesch habe ich unzählige religiöse Menschen getroffen, die sich in den Bereichen Umweltschutz, Bildung und Wissenschaft engagieren und denen oft bewusster als anderen ist, dass Zufriedenheit nicht allein durch die Anhäufung von Reichtum und Dauerkonsum zu erreichen ist.
Wie sagte ein Klima-Wissenschaftler in Pakistan schon vor vier Jahren zu mir: "Der Glaube an Gott kann Halt geben und Schmerz erträglich machen, aber die Probleme, die den Schmerz verursachen, muss der Mensch lösen, und dabei sollte die Wissenschaft führen, nicht die Wirtschaft." Kurz darauf wurde seine Abteilung aus Kostengründen geschlossen. Derweil werden Pakistans Wasserprobleme Jahr für Jahr größer - und im Gleichschritt mit diesen Probleme wächst der Umsatz von Nestle in Pakistan.
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