Pakistan: Wann putscht die Armee?

Seite 3: Was denkt man in der Armee?

Die entscheidende Frage ist unmöglich zu beantworten, denn die Armee Pakistans ist eine höchst professionell abgeschirmte Institution. Was in ihr gedacht wird, wissen außer ihr selbst nicht einmal die US-Amerikaner, von der Bevölkerung Pakistans oder in- oder ausländische Journalisten ganz zu schweigen.

Man kann nur aufgrund vergangener Erfahrungen Prognosen für die Zukunft abgeben. Sicherlich kann man annehmen, dass die Generäle über die aktuellen Entwicklungen unglücklich sind. Denn seit sie 2008 zum letzten Mal die Macht zumindest zum Teil an die Zivilisten zurückgeben mussten, waren die Dinge ganz in ihrem Sinn gelaufen.

Das "Hybride System" funktionierte, die Armee kontrollierte ohne zivile Einmischung Außen- und Sicherheitspolitik, ihren Haushalt, das Atomwaffenarsenal und indirekt auch den Rest der Politik.

Nachdem Nawaz Sharif, der nie ein Freund der Männer in Khaki war, 2017 mit dem Skandal um die "Panama Papers" endgültig kaltgestellt wurde, glaubte man in Imran Khan einen willigeren Befehlsempfänger auf dem Posten des Premiers zu haben.

Das sollte sich als großer Irrtum herausstellen. Khan war nicht direkt illoyal, aber einfach (zu) unfähig, die vielfältigen Krisen zu meistern und auch nicht besonders empfänglich für Rat von außen. Im Konflikt um seine Amtsenthebung konnte sie ihn kaum unterstützen, das wäre zu offensichtlich gewesen.

Als er sein Amt verloren hatte, machte er in seinem Gerechtigkeitsfeldzug, manche würden sagen "Wahn", nicht einmal mehr vor seinen ehemaligen Gönnern in der Armee halt. Kein ziviler Politiker hatte es je gewagt, sie öffentlich so direkt zu attackieren und man musste denken, Khan sei bereit, als Märtyrer in die Geschichte einzugehen.

Kein Sympathisant mehr unter den Führern der großen Parteien

Das Band zwischen ihm und den Generälen war zerschnitten, irreparabel. Nun haben sie keinen Sympathisanten mehr unter den Führern der großen Parteien, denn auch Maryam Sharif steht ihnen nach der Disqualifikation ihres Vaters feindselig gegenüber und die PPP unter Asif Ali Zardari und Bilawal Bhutto will von ihnen nichts mehr wissen, seit 1979 Zulfiqar Bhutto auf Anordnung von General Zia-ul Haq gehenkt wurde.

Die Armee drängt es sicherlich nicht danach, die Macht direkt zu übernehmen, das würde auch keiner ihrer Alliierten – ob die USA, Saudi-Arabien oder China – gerne sehen. Andererseits kann man nicht ernstnehmen, was der ausgeschiedene Armeeoberbefehlshaber Qamar Javed Bajwa sagte: Dass sie in Zukunft nichts mehr mit zivilen Angelegenheiten und Politik zu tun haben wolle und werde.

Beobachter urteilten ganz zu Recht, dass es wichtig sei, was der neue Chef sagt, und nicht das, was der alte von sich gibt. Und der neue Chef, General Asim Munir, hat sich bis jetzt noch nicht zur Rolle der Armee im Staat geäußert.

Aktuell versucht sie soviel Distanz wie möglich zu halten. Sie ließ verlauten, personell nicht in der Lage zu sein, die Verantwortung für die Sicherheit der anstehenden Wahlen übernehmen zu können. Das wäre eine bedenkliche Entwicklung, weil Sicherheit eine so große Rolle spielen wie zuletzt bei den Wahlen 2008 spielen wird, als de facto Bürgerkrieg herrschte.

Denn nicht nur sind die Taliban wieder aktiv. Vor allem auch, weil für Khan und die Sharifs so viel wie noch nie auf dem Spiel steht. Die Armee kann glaubwürdig behaupten, mit der Niederschlagung des neu aufflammenden Aufstandes der Paschtunen beschäftigt zu sein.

Was ist der Plan?

Doch kann man genauso vermuten, dass sie mit den Wahlen nichts zu tun haben will, damit ihr danach nicht Betrug und Einflussnahme vorgeworfen werden können. Wiederum muss es ihr ureigenstes Interesse sein, diese erfolgreich über die Bühne zu bringen, damit endlich wieder etwas Ruhe im Land einzieht. Einen Plan, wie das in der völlig überhitzten Situation geschehen soll, hat sie vermutlich selbst nicht.

Die Sharifs, Bhutto-Zardaris und anderen Mitgliedern der gegenwärtigen Regierungskoalition wird es wohl jetzt schon frösteln, wenn sie an einen nicht auszuschließenden Wahlsieg Khans denken und er ihnen in gleicher Münze zurückzahlt, was sie seit seinem Sturz am 10. April 2022 an ihn und seine PTI austeilen.

Die Versuchung, die Wahlen so weit wie möglich hinauszuzögern, besteht. Shehbaz hat angekündigt, die Entscheidung des Supreme Court, die Wahlen in Punjab am 14. Mai durchzuführen, anzufechten. Wie Khan darauf reagieren wird, kann man sich ausmalen.

Doch eines ist klar: Bevor durch diesen inhaltsleeren Machtkonflikt das Land endgültig über den Rand geschoben wird, schreitet die Armee ein und die Verbündeten werden stillhalten.

"Gerettet" würde damit das Gebilde Pakistan; seinen Bewohnern bringt dieser Teufelskreis aus Versagen der Zivilpolitiker und Intervention der nicht zuständigen Generäle überhaupt nichts. Das Land hat nun den drittniedrigsten Human Development Index in Asien.

In den 1950er-Jahren galt es als Hoffnungsträger und Vorbild für andere Entwicklungsländer.