Palästinenser fordern Verhandlungen mit Israel
Weiterer Siedlungsbau im Westjordanland. Nach israelischem Abzug aus Gazastreifen sollen palästinensische Gruppen entwaffnet werden
Israel hat Armee und Siedler aus dem Gazastreifen zurückgezogen. Seit Montag unternehmen tausende Palästinenser Familienausflüge zu den verlassenen Militärbasen und den zerstörten Häusern. Andere nutzen die offene Grenze nach Ägypten, um Verwandte und Freunde zum ersten Mal seit Jahren wiederzusehen. Trotz vieler Konflikte mit Oppositionsgruppen hat die Palästinensischen Autonomiebehörde den israelischen Abzug ohne Probleme über die Bühne gebracht. Die erste Bewährungsprobe ist bestanden.
Palästinensische Komitees sollen mit internationaler Hilfe den Streifen entwickeln. Die Vereinten Nationen bauen die von Israel zerstörten Häuser im Flüchtlingslager Rafah wieder auf. Mit Geld aus den Golfstaaten sollen auf den geräumten Gebieten zwei völlig neue Städte entstehen, um dem Wohnungsproblem im dicht bevölkerten Gazastreifen Herr zu werden.
Die Palästinenser sollen nun, so US-Präsident Bush gegenüber dem israelischen Ministerpräsidenten am Mittwoch in New York, „zusammenkommen und eine Regierung einrichten, die Israel mit friedlichen Mitteln begegnet“. Palästinenser merken dazu nicht nur an, dass Bush dabei offenbar vergisst, dass das Westjordanland immer noch militärisch besetzt ist. Man befürchtet darüber hinaus die gewollte politische Trennung der territorial nicht zusammenhängenden Gebiete. „Falls im Gazastreifen Ruhe und Ordnung nicht einkehren“, so Bush weiter, „dann wird es auch keine Fortschritte im Friedensprozess geben.“ Sprich: Keine Verhandlungen mit den Palästinensern.
Aber die internationale Euphorie über den israelischen Abzug aus dem Gazastreifen hat auch die palästinensische Führung angesteckt und Lust auf mehr geweckt. „Unsere Freude wird erst vollständig sein, nachdem wir alle Bedingungen für nationale Souveränität erreicht haben“, so Präsident Abbas auf einer Feier am Dienstag. Eigene Kontrolle über das Westjordanland und Ost-Jerusalem sind gemeint.
Mahnende Stimmen will man nicht hören. So sagte Abbas kürzlich der Tageszeitung Al-Quds, dass Ariel Scharons Äußerungen zu den israelischen Maßnahmen im Westjordanland schlicht „Worte sind, die wir uns anhören“, die aber nicht weiter wichtig seien. Die israelische Regierung hat den Ausbau seiner Siedlungen im Jordantal angekündigt. Und östlich des palästinensischen Ost-Jerusalems wurde bereits mit dem Bau für eine völlig neue Stadtsiedlung für 50.000 jüdische Bewohner begonnen. Deren Grenzen ziehen sich bis nach Jericho beim Toten Meer hinunter. Dadurch wird das Westjordanland in der Mitte getrennt (Das israelische Siedlungsprojekt E1).
Scharon hat zwei Möglichkeiten: Er kann mehr israelische Siedlungen im Westjordanland bauen und damit die Konfrontation mit den Palästinensern provozieren. Die andere Möglichkeit ist, die momentane Stimmung relativer Ruhe zu nutzen, um seinen Abzug aus dem Gazastreifen in gemeinsame Verhandlungen münden zu lassen. Das wird all jene stärken, die für eine friedliche Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts argumentieren.
Der palästinensische Planungsminister Ghassan Khatib
Aber während die Palästinenser im Gazastreifen am Montag einen Teil ihrer Bewegungsfreiheit zurück erhielten, wird sie für die palästinensischen Bewohner des Westjordanlands weiter eingeschränkt. Hunderte von Militärkontrollpunkten und unterbrochene Straßen verhindern den Menschen- und Warenverkehr innerhalb des Westjordanlands. Der Bau der israelischen Sperrbarriere aus Mauern und Zäunen läuft mit Hochdruck und wird nicht nur etwa zehn Prozent des wasserreichsten Nutzlands von seinen palästinensischen Besitzern trennen. Tausende von Palästinensern wohnen darüber hinaus bereits jetzt westlich des Walls, abgetrennt von ihren Landsleuten. Sie erhielten von Israel eine „Aufenthaltsberechtigung“, um weiterhin in ihren Häusern wohnen zu bleiben. Um zu Schulen, Arbeitsstellen oder Krankenhäusern zu gelangen, müssen sie Tore passieren, die nur eine Stunde täglich geöffnet werden.
Einige der Betroffenen nahe der Siedlung Alfei Menasche bei Qalqilia haben mit Hilfe von Menschenrechtsorganisationen beim Obersten Gerichtshof Israels Klage gegen diese Behandlung eingereicht. Am Donnerstag haben die Richter nun beschlossen, dass die Behörden einen Verlauf des Walls prüfen müssen, der, so das Urteil, „das Leben der Bewohner der betroffenen palästinensischen Dörfer in der Enklave in geringerem Ausmaß beeinträchtigt“.
Unterdessen stellte am Donnerstag einer von AbbasŽ Beratern einen Plan zur Befriedung des internen Konflikts vor. „Nach den Parlamentswahlen (im Januar 2006)“, so Rafik Husseini, „sollen die Bewegungen, die Mandate erringen, ihre bewaffneten Arme auflösen.“ Diese Entwaffnung soll nicht mit Gewalt, sondern über Verhandlungen erreicht werden. Die Milizen der Fatah, die dominierende Gruppe in der Autonomiebehörde, werden anfangen. Sie sollen bereits ab nächster Woche in den Sicherheitskräften aufgehen. Mahmud Zahar von der islamistischen Hamas-Bewegung lehnte diesen Ansatz aber ab. Die Hamas gebe ihre Waffen nicht ab, solange das Westjordanland noch von Israel besetzt sei.
Zur Beilegung des internen Sicherheitschaos wird jedoch hauptsächlich die Auflösung der Fatah-Milizen beitragen. Aufgrund der Reformunwilligkeit der Fatah-Führung setzen verschiedene Flügel ihre Forderungen mit Waffengewalt durch. So wurde am 7. September Musa Arafat in Gaza erschossen, ein Neffe des ehemaligen Präsidenten Jassir Arafat. Der ehemalige Chef des militärischen Geheimdiensts wurde auf öffentlichen Druck hin wegen Korruptionsvorwürfen entlassen, verlor seine Machtbasis aber nicht vollständig. Wenn die Fatah ihre Probleme aber nicht bald löst, wird sie weiter an Glaubwürdigkeit verlieren.