Panama Papers: Bombe oder Blindgänger?

Die bisher größte Menge an geleakten Daten bestimmt weltweit die Nachrichten. Aber auch die Fragen zu dem Fall werden lauter

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Die Panama Papers werden uns noch eine Weile beschäftigen, was maßgeblich an den medialen Akteuren und der Datenmenge liegt. Unter Federführung der Süddeutschen Zeitung haben, was immer wieder betont wird, rund 400 Journalisten aus rund 100 Medien gut 11,5 Millionen Dokumente punktuell überprüft.

Seit Wochenbeginn bestimmt das Thema nicht nur die westlichen Medien. Immerhin gibt das massive Datenleck der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca Hinweise auf Steuerhinterzieher weltweit. Aber das ist auch schon alles. Beweise liefern die im International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) zusammengeschlossenen Redaktionen nicht. Dafür werfen die Art der Enthüllungen, der Datenfluss und die Berichterstattung einige Fragen auf. Hier ein erster Überblick über die Debatte.

Bild "Panama Skyline": Nico2panama. Illustration: TP. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Um eines gleich vorwegzunehmen: Die als "Panama Papers" bezeichneten Enthüllungen haben ohne Zweifel neue Maßstäbe im Journalismus gesetzt. Dies erklärt sich alleine schon aus der Anzahl der beteiligten Redaktionen aus allen Teilen der Welt. Die Recherche von Mitgliedern des 1997 in den USA gegründeten ICIJ bricht schon jetzt alle bis dato bekannten Maßstäbe.

Auch das Thema ist wichtig. Steuerhinterziehung ist ein weltweites soziales Problem, das vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer trifft. Nach Angaben des Europäischen Parlaments gehen "in der EU pro Jahr schätzungsweise eine Billion Euro durch Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und aggressive Steuerplanung verloren". Auf die EU-Bürger umgerechnet entspricht das einer Belastung von rund 2.000 Euro pro Person. Die sozialpolitische Relevanz des Themas ist also erheblich.

Doch die Debatte um die Panama Papers geht in ihrer Gesamtheit - Ausnahmen gibt es in der Berichterstattung immer - derzeit in eine ganz andere Richtung. Und das hat mit den beteiligten Redaktionen ebenso zu tun wie mit der medienpolitischen Matrix und der Funktionsweise eines immer schnelllebigeren Aufmerksamkeitsjournalismus.

Die Rolle der beteiligten Medien

Zunächst muss man festhalten, dass das Panama-Leak gerade einmal ein Leakchen ist, wie man an anderer Stelle auch schon festgestellt hat. Die Daten sind nicht öffentlich, sondern wurden zunächst der Süddeutschen Zeitung und dann über das ICIJ weiteren Medienhäusern zugespielt. Obwohl der Verband Offenheit vorgibt ("We are always open to new collaborations"), ist die Auswahl begrenzt und erscheint willkürlich. In vielen Fällen sind ohnehin Diskurs bestimmende Redaktionen vertreten, daneben stehen nahezu unbekannte Redaktionen.

Überdies haben nicht alle im ICIJ organisierten Presseorgane Zugang zu den Panama Papers, sondern nur ein extra zusammengestelltes Team. Eine Debatte über eine mutmaßlich politische Vorauswahl der Medien und deren politische Ausrichtung, ob sie also transatlantisch orientiert sind und also Russland schaden wollen - ist im Grunde zweitrangig. So oder so werden wir im Fall der Panama Papers Zeugen einer Oligopolisierung von Information. Demokratisch geht anders. Auch deswegen schießen derzeit Theorien über einen mutmaßlichen politischen Missbrauch der Papiere im Netz wie Pilze aus dem Boden.

Dazu tragen aber auch die führenden Medien bei, die Zugang zu den Panama Papers haben und mit ihrer Berichterstattung das internationale Meinungsbild über die darin enthaltenen Informationen bestimmen. So etwa der britische Guardian: Anfang 2014 zerstörten Journalisten der Tageszeitung nach intensiven Verhandlungen mit der Regierung unter Aufsicht von Agenten des Geheimdienstes GCHQ die Festplatten mit den sogenannten Snowden Files, also Informationen des US-Whistleblowers Edward Snowden. Die Redaktion knickte damit vor Drohungen der Regierung ein, die mit dem Schutz nationaler Interessen argumentierte.

Der Fall liegt bis heute wie ein Schatten über dem britischen Journalismus. Zufall oder nicht: Der Guardian und auch die beteiligte französische Tageszeitung Le Monde lehnen aktuell eine vollständige Publikation der Panama-Papers-Dateien - sei es als Rohmaterial oder in einer Datenbank - ab. Zur Begründung heißt es, die Dokumente enthielten sensible oder private Informationen.

Die Interpretation des Materials

Die Panama Papers könnten eine politische Bombe sein, wie sich an den ersten Rücktritten in, naja, Island und einigen lateinamerikanischen Staaten zeigt. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet, salopp gesagt: Wem wird diese Bombe unter den Hintern geschoben?

Mehrere kritische Kommentare wiesen unmittelbar nach Publikation der ersten Artikel in Europa auf die Fokussierung auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin hin. Wer das beanstandete, wurde rasch als "Verschwörungstheoretiker" abgetan (etwa hier oder hier), der gleiche Vorwurf traf Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, der die zahlreichen Berichte über Putin zurückwies.

Von der Hand zu weisen ist die Kritik aber nicht so einfach, schließlich kommt der russische Präsident nicht einmal namentlich in den Papieren vor. Dennoch rückten ihn Süddeutsche Zeitung, Guardian und andere beteiligte westliche Medien in Text und Bild ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Ein besonders krasses Beispiel lieferte auch hier der Guardian, dessen Mitarbeiter Luke Harding in einem 1800-Wörter-Beitrag exakt 32 Mal den Namen "Putin" ausschrieb, den Text aber mit der Feststellung einleitete, dass "der Name des Präsidenten in keinem der Papiere auftaucht".

Interessanterweise wurde bei den meisten beteiligten Medien etwa in Lateinamerika anders berichtet, hier spielte Putin nur eine untergeordnete Rolle. Was belegt: Die Auswertung der Panama Papers findet im Rahmen einer politischen Matrix statt, denen die Journalisten - ob bewusst oder unbewusst - folgen.

Ein weiteres Beispiel betrifft dann auch Lateinamerika: Auf der Startseite des ICIJ wird ein Bericht über die "Power Players" mit einem Bild von Argentiniens Ex-Präsidentin Cristina Fernández illustriert. In der Auflistung der betroffenen Personen ist jedoch lediglich ein "Berater der früheren argentinischen Präsidenten Kirchner" aufgeführt. Dass Argentiniens aktueller Staatschef Macri - ein politischer Rivale Fernández' - als besonders brisanter Fall an allererster Stelle der Liste steht, wird im Anriss nicht ersichtlich.

Netzwerk und Methoden

Mehrere Kommentatoren, vor allem aus dem angloamerikanischen Raum, haben seit Wochenbeginn auf die Verbindungen des ICIJ und die Financiers hingewiesen (etwa hier oder hier). Auch bei Telepolis zitierte Markus Kompa einen kurzen Blogbeitrag des ehemaligen britischen Diplomaten Craig Murray, der die Geldgeber auflistete, darunter die Ford Foundation, die Open Society Foundation und die Rockefeller Foundation.

Das ICIJ ist zugleich Teil des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), das von der US-amerikanischen Entwicklungshilfeagentur USAID mit mindestens drei Millionen US-Dollar unterstützt wird. Auch an anderer Stelle führen die Netzwerke der beteiligten Akteure nach Washington: Die Kyiv Post etwa, eine englischsprachige Wochenzeitung aus der Ukraine, wird über Durchführungsorganisationen der USAID vor Ort indirekt unterstützt. Angesichts dieser Verbindungen stellt sich natürlich die Frage, weshalb aus Russland lediglich die regierungskritische Novaja Gaseta vertreten ist.

Der diskursive Rahmen der bisherigen Berichte über die Informationen aus den Panama Papers scheint sich aber auch aus der Art der Auswertung zu ergeben. Durch die digitale Aufbereitung sei es möglich gewesen, die Daten mit Hilfe von Listen zu durchsuchen, heißt es etwa bei der Süddeutschen Zeitung. So habe man die Namen wichtiger Politiker, internationaler Verbrecher oder bekannter Sportstars gesucht. Die Liste "Parteispenden-Affären" habe am Ende 130 Namen umfasst, die UN-Sanktionsliste mehr als 600.

"In wenigen Minuten glich der mächtige Such-Algorithmus die Listen mit den 11,5 Millionen Dokumenten ab", heißt es bei der Süddeutschen Zeitung. Der Abgleich mit UN-Sanktionsdaten alleine aber würde die Gefahr einer politischen Verzerrung bergen, wie der Guardian bestätigt, wenn er schreibt, man habe Konten "von 22 Personen gefunden, gegen die wegen der Unterstützung der Regime in Nordkorea, Syrien, Russland und Simbabwe Sanktionen erlassen wurden". Hier hätte ja auch mit anderen Selektoren gesucht werden können: Nato-Datenbanken, EU-Funktionäre, MI5, MI6, 1-866-672-4473 ...

Effekte unklar, Vorwürfe ungeklärt

Obwohl die Panama Papers die Nachrichtenlage weiterhin beherrschen, werden Fragen lauter. Denn auf der einen Seite geht die Veröffentlichung mit einem enormen PR-Gewitter einher: Werbefilmchen, Interviews, Buchveröffentlichungen. Das ist angesichts des Drucks, unter dem vor allem der investigative Journalismus in den vergangenen Jahren geraten ist, auch verständlich. Überall wurden Redaktionen in der globalen Medienkrise eingestampft, betroffen davon sind staatliche ebenso wie private Medien. Zwei der Pulitzer-Preisträger aus dem vergangenen Jahr verdienen inzwischen im PR-Bereich ihre Brötchen. Auf der anderen Seite stellt sich aber die Frage, welche Konsequenzen die Veröffentlichungen haben werden - außer, wie gesagt, für Island und ein paar drittrangige Funktionäre in Lateinamerika.

Am Ende nämlich ist der Panama-Papers-Coup nicht mehr und nicht weniger als das Ergebnis einer immensen Fleißarbeit. Hier wurden riesige Datenmengen, die Rede ist von 2,6 Terabyte, nach regional variierender medialer Vermarktungsfähigkeit systematisch ausgewertet. Nach Abschluss dieses Prozesses erleben wir ein massives Blaming von Persönlichkeiten aus Politik und Sport und Kultur.

Ob diese Personen sich aber tatsächlich etwas zuschulden haben kommen lassen, wüsste man erst mit Sicherheit, wenn man ihre Angaben aus den Panama Papers mit den jeweiligen Steuerdaten vergleicht. Eben das ist aber nicht geschehen. Dieser Ablauf ist ein bisschen so, als würde man die Angaben aus dem Fahreignungsregister veröffentlichen und die so publik gewordenen Namen mit Verkehrstoten in Verbindung bringen.

Was aus den Panama Papers wird, lässt sich freilich noch nicht sagen. Die Chancen stehen aber nicht schlecht, dass sie keine Konsequenzen haben oder Vorwürfe sich - wie schon bei den Offshore-Leaks - als falsch herausstellen. Effizienter wäre freilich, vor der Haustüre zu recherchieren. Nach Angaben des Schattenfinanzindex des Tax Justice Networks liegt Panama im Ranking der Steueroasen auf Platz 13 - nach Deutschland (8), Luxemburg (6), den USA (3) und der Schweiz (1).