Panik bei den Brexit-Befürwortern
Auch Regierungschefin May flüchtet in Verschwörungstheorien, weil sich die britische Regierung nun erstmals und vor den Wahlen konkret mit den Kosten und Folgen des Brexit beschäftigen muss
Gestern schon hatte der Telegraph die Meinung einiger Brexit-Anhänger unter den Tories verbreitet, dass die EU und vornehmlich Deutschland versuchen, die Anfang Juni stattfindende Wahl in Großbritannien zu beeinflussen (Britische Politiker: Deutschland will die Wahl beeinflussen). Überraschend hatte die Theresa May, die nach dem Rücktritt von David Cameron zur Regierungschefin ernannt wurde, im April vorgezogene Wahlen anberaumt (Neuwahlen in Großbritannien).
Die Stimmung im Lande schien auch so, als wäre der Sieg der Befürworter eines harten Brexit, also die Konservativen, sicher, was die Position von May als dann gewählte Premierministerin gestärkt hätte. Ukip, die die Tories in den Brexit gedrängt haben, wurde zum Außenminister, Labour haben die Konservativen abgehängt. Noch letzte Woche lagen bei einer Yougov-Umfrage die Konservativen bei 44 Prozent und Labour bei nur 31 Prozent, die Liberaldemokraten erreichten 11 Prozent, Ukip gerade noch 6 Prozent.
May hatte sich an die Spitze der Brexit-Befürworter gesetzt und den Briten eines bessere Zukunft außerhalb der EU versprochen (May: "Wir verlassen die EU - und umarmen die Welt"). Unterwürfig war sie auch zum neu gewählten Donald Trump geeilt, um sich hier die Weihen einzuholen (Trump und May wollen "Interessen der arbeitenden Bevölkerung" in den Mittelpunkt stellen). Bislang lief es auch mit der Wirtschaft gut, der Einbruch, den viele prophezeit hatten, stellte sich nicht ein. Allerdings hatten die Brexit-Befürworter keinen Fahrplan, versprochen wurde nur, dass der Austritt alles besser machen würde.
Vermutlich hatte die erste Begegnung mit dem EU-Präsidenten Jean-Claude Juncker und dem Brexit-Verhandler Michel Barnier Panik bei den Konservativen ausgelöst, zumal einige Details an die Öffentlichkeit gelangten und man davon ausgehen muss, dass dies nicht durch die Umgebung von May geschah. So hieß es, Juncker habe gesagt, er sei nach dem Gespräch zehnmal skeptischer als zuvor über ein Abkommen und kritisierte den abwegigen Optimismus von May. Die EU will zunächst die Austrittsverhandlungen führen, bevor über neue Abkommen gesprochen wird. Zudem wurde die Summe von 60 Milliarden Euro angesetzt, die Großbritannien der EU schulde.
Michael Barnier legte heute auf einer Pressekonferenz noch einmal den Finger in die Wunde und sagte: "Manche haben die Illusion geschaffen, dass der Brexit keinen materiellen Einfluss auf unser Leben hat oder dass die Verhandlungen schnell und schmerzlos geführt werden können. Das ist nicht der Fall."
Wer sage, dass es keine Folgen habe, die EU zu verlassen, "der sagt einfach nicht die Wahrheit". Es könne "explosive" Konsequenzen haben, wenn Großbritannien versuche, die EU zu verlassen, ohne seine Schulden zu bezahlen. Großbritannien habe der Finanzierung des Haushalts 2014-2020 oder auch Programmen zugestimmt, um Ländern wie die Ukraine oder die Türkei zu unterstützen. Überdies solle Großbritannien die Umzugskosten für EU-Behörden zahlen. Da komme das Land nicht heraus, der Europäische Gerichtshof werde an dem Prozess beteiligt sein. Er bekräftigte, dass zuerst über den Austritt und damit auch über die Kosten gesprochen werde und dann erst über ein Handelsabkommen. Die Verhandlungen könnten nicht schnell geführt werden, es sei Zeit notwendig.
Für May zeigen nun die letzten Tage, dass Großbritannien "erst recht von einer Premierministerin und einer starken und stabilen Regierung" geführt werden müsse. Einige in Brüssel würden nicht wollen, dass die Verhandlungen erfolgreich werden und Großbritannien gedeihen kann, sagte sie heute nach einem Treffen mit der Queen. Und sie schloss sich den Verschwörungsreden ihrer Parteigenossen an. Die Verhandlungsposition sei von den Medien im Resteuropa falsch dargestellt worden, beklagte sie sich, die Verhandlungsposition der EU habe sich verhärtet. EU-Politiker und EU-Vertreter hätten "Drohungen gegenüber Großbritannien" geäußert: "All diese Handlungen fanden absichtlich so zeitlich statt, um das Ergebnis der Parlamentswahl zu beeinflussen." Damit unterstellt sie, dass es eine Art Komplott gibt, an dem nicht nur Politiker, sondern auch die kontinentaleuropäischen Medien mitarbeiten.