"Parlament aus Warlords und Druglords"

Wie geht es nach der "historischen Wahl" in Afghanistan weiter?

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"Historisch" lautet das Eigenschaftswort, das der Wahl in Afghanistan wie ein siamesischer Zwilling beigegeben wird Zwei Worte, zwei Risiken für die Lebensfähigkeit der Demokratie im Land. Sollte sich in naher Zukunft heraustellen, dass die Wahlen in größerem Stil für Manipulationen anfällig waren, dürfte es der große Favorit auf die Präsidentschaft, der bisherige Amtsinhaber Karsai, noch schwerer als bislang haben, als legitimes Staatsoberhaupt zu regieren. Die andere Gefahr: Sollte sich in fernerer Zukunft nach den "historischen" Wahlen herausstellen, dass Karsai dazu gezwungen ist, weiterhin nur in obskurer Zusammenarbeit mit dem Warlord-Klüngel regieren zu können, wird die Hoffnung der Afghanen auf die Segnungen der Demokratie rasch erlöschen.

Gegenwärtig herrscht noch Konfusion darüber, wie "fair" die Wahlen durchgeführt wurden; trotz einiger "Irregularitäten" orientiert sich der Tenor der Berichterstattung am Urteil der Wahlbeobachter der Free and Fair Elections Foundation of Afghanistan (FEFA), wonach die Wahlen "fairly (ziemlich)" demokratisch abgelaufen seien. Wie bereits berichtet (vgl. Fairly democratic), hat sich auch die gut beleumundete Organisation OSCE in diesem Sinne ausgesprochen.

Zwar haben bislang nur zwei der 15 Gegenkandidaten ihren Aufruf zur Annullierung der Wahlen wegen jener "Irregularitäten" zurückgezogen, aber auch der unermüdlich herumreisende Salmai Khalilsad, US-Botschafter im Land und großer Unterstützer von Karsai, kann nicht alle gleichzeitig überzeugen. Die beiden wichtigsten Widersacher Karsais und "Anführer" des Protestes, Qanuni und Muhaqiq, hat er einer Reuters-Meldung zufolge schon davon überzeugt, ihren Protest zurückzuziehen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass auch die restlichen 13 ihren Protest zurückziehen werden.

Am Wahltag um vier Uhr nachmittags, also ungefähr um die Zeit, als viele Wahlstationen schlossen, ließen 15 der 17 Gegenkandidaten in einem Statement erklären, dass ihre Unterstützer die Wahlen wegen "großräumigen Betrugs" boykottieren sollten. Man warf den Organisatoren der Wahl vor, dass man zum Abstimmen abwaschbare Tinte verwendet habe (vgl. Fairly democratic), was mehrmaliges Wählen für diejenigen ermöglichte, die sich mehr als eine Registrierungskarte beschaffen hatten können – dass dies möglich war, wurde den Organisatoren, dem Joint Electoral Management Body (JEMB), schon vor der Wahl angekreidet. Interessant ist, dass in den weiteren Vorwürfen der Anfechter der Wahl, dem amtierenden Präsidenten Karsai und dessen Anhänger Manipulationen unterstellt werden, die man eigentlich von Seiten der Warlords und Provinzfürsten befürchtete, wie etwa, dass Karsais Anhänger Wahllokale geschlossen hätten, wo man für den "falschen Mann" gestimmt habe, und Stimmzettel selbst ausgefüllt hätten.

Kritiker der vormalig 15 "Aufrechten" wandten demgegenüber ein, dass der Protest der Karsai-Gegner nicht durch Wahrheitsliebe motiviert sei, sondern von Taktik bestimmt. Unterstellt wird ihnen, dass sie auf eine niedrige Wahlbeteiligung gehofft hätten, weil dies Karsai abhängiger von ihnen gemacht und ihnen womöglich einen Platz in der neuen Regierung eingeräumt hätte; als sich aber herausstellte, dass mehr Menschen als erwartet zur Wahl gingen, hätten sich die Rivalen zum Boykott entschlossen, so diese Spekulation.

Eine unabhängige Kommission soll jetzt die Wahl prüfen. Anders als etwa von der Menschenrechtsorganisation AIHRC, Muhaqig und dem Protestierer Ahmad Shah Ahmadzai – "Wir trauen nicht einem einzigen der JEMB-Mitglieder" - gefordert, soll sie aber nicht von Afghanen besetzt werden, die unabhängig vom Joint Electoral Management Body (JEMB) agieren, sondern von drei ausländischen Experten, einem Kanadier, einem Schweden und einem Mitglied, das von der EU bestellt werden soll. Umstritten ist allerdings die Nominierung des schwedischen Ermittlers Darnolf, da er angeblich bei der Ausbildung der Mitarbeiter des JEMB mitgeholfen hat und genau dieser Organisation werden viele der "Irregularitäten" angelastet. So wurde von kritischen Beobachtern schon Tage vor der Wahl deren Erfolgsmeldung, wonach sich mehr als 10 Millionen Afghanen für die Wahl haben registrieren lassen, argwöhnisch mit dem Hinweis bedacht, dass diese Zahl höher sei als die Zahl der Wahlberechtigten insgesamt (vgl. 300 Esel und rege Tätigkeiten im Hintergrund). Dass nicht alles so sauber abgelaufen ist, wie es gerechte Wahlen eigentlich voraussetzen würden, zeigt auch der distanzierte Kommentar aus "EU-Kreisen": man wolle erst einmal die Voraussetzungen für die Arbeit der Ermittler sehen, bevor man die Teilnahme an der Prüfungskommission bestätige. An einem "Weißwaschen" wolle man sich nicht beteiligen.

Ungewissheit herrscht auch darüber, wann mit der Auszählung in den acht Zählstationen begonnen wird. Während einerseits berichtet wird, dass die wackeren Esel noch Wahlunterlagen durch schwieriges Gelände zu den "Rechenzentren" zu transportieren haben, und andrerseits lokale Blätter melden, dass die Zählungen schon begonnen haben, zitiert Reuters einen Repräsentanten von JEMB, dem zufolge die Zählungen verschoben werden, bis man wisse, wie mit den "verdächtigen Stimmzetteln" verfahren werden sollte, was bis heute Abend der Fall sein sollte. Viel Zeit hat man nicht. Die größten Erwartungen an diese Wahl werden - wie hinlänglich bekannt - von den USA, genauer der amerikanischen Regierung gestellt; bis Anfang November sollte, so die Erwartung der amerikanischen Führung, ein gültiges Ergebnis vorliegen, das am Besten so aussieht, wie es eine Umfrage des amerikanischen Think Tanks International Republican Institute (IRI) schon vor der Stimmenauszählung ermittelte: klarer Sieger nach der von den Europäern kritisierten Umfrage ist natürlich Karsai.

Manchmal sind auch die Afghanen schneller, als es das westliche Vorurteil denkt. So hat eine lokale Nachrichtenagentur namens Hindukosh (siehe hier) eine ziemlich schnelle Umfrage durchgeführt; Ergebnis der Umfrage, deren Modalitäten nicht zugänglich waren: die Bevölkerung sei gegen eine Wiederholung der Wahl. Nach einem Bericht aus der Provinz Ghazni waren viele besorgt über die hohen Kosten der Wahl und beteuerten, dass sie bei einer Wiederholung der Wahl nicht mehr dasselbe Interesse an den Tag legen würden.

Während man allenthalben (und mit guten Gründen) die hohe Wahlbeteiligung der Afghanen als Erfolg wertet, wirft der bekannte amerikanische "Mittendrin"-Reporter Nir Rosen einen skeptischen Blick in die Zukunft Afghanistans nach den Wahlen. Dabei stützt er sich auf einen Kenner der afghanischen Szenerie, Andrew Wilder von der Afghanistan Research und Evaluation Unit (AREU) - (vgl. Deals in Hinterzimmern):

Wenn das, was in Bonn und der Loya Dschirga passiert ist, nochmal passiert und die Afghanen sehen, dass der neue Präsident ein Kabinett bestellt, das von denselben Gesichtern beherrscht wird, die sie für den 25 Jahre langen Krieg verantwortlich machen, dann werden sich die Afghanen fragen, warum man überhaupt Wahlen abgehalten hat. Wahlen sind ein unglaublich wichtiges Mittel - eines der wenigen politischen Mittel, die wir in Afghanistan haben, um eine neue politische Ordnung zu legitimieren. Es ist deshalb sehr wichtig, dass sie korrekt durchgeführt werden und dass sie als etwas wahrgenommen werden, was einen positiven politischen Umschwung bringt. Wenn das Endergebnis der Präsidentschafts -und Parlamentswahlen darin besteht, den Status Quo zu legitimieren und das Parlament von Warlords und Druglords dominiert wird, dann haben wir eine unglaubliche Möglichkeit vertan und demokratische Wahlen in den Augen der Afghanen diskreditiert. Ich glaube nicht, dass wir nochmal so eine Gelegenheit in Afghanistan haben werden.